Corona-Rebellen „rechtsoffen“

Diese Woche wird auf der Innenministerkonferenz in Weimar auch über die Brisanz, Dynamik und Entwicklung der bundesweiten Proteste gegen Corona-Maßnahmen gesprochen. Zur Disposition steht die Forderung aus einigen Ländern, die Initiative „Querdenken“ um Michael Ballweg aus Stuttgart als Verdachtsfall zum Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes zu machen. In Nordrhein-Westfalen ist abseits der vom Bundesamt für Verfassungsschutz im Hinblick auf das Ministertreffen dazu erstellten Expertise bereits mit einer Kurzstudie ein wissenschaftlicher Blick auf das umfängliche Protestgeschehen von Pandemie-Leugnern und -Verharmlosern vorgelegt worden.

Montag, 07. Dezember 2020
Horst Freires

In ihrer knapp 50-seitigen Untersuchung mit dem Titel „Pandemie-Leugnung und extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen“ haben Fabian Virchow und Alexander Häusler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf sich für den Zeitraum bis Ende September einen Überblick über die heterogene Zusammensetzung der Straßenproteste und die Diskursgestaltung in sozialen Medien zu der Materie verschafft. Sie haben sich dabei auch das von Verschwörungserzählungen geprägte inhaltliche Setting angesehen. Sie kommen dabei zu dem Schluss, dass die Protestierenden als durchaus neue soziale Bewegung anzusehen sind.

Teilnahme der extremen Rechten prägt Proteste

Die Demonstrations-Hotspots in NRW befanden sich in Dortmund, Düsseldorf, Paderborn, Köln und Münster. Nach der ersten Corona-Welle flachten die Teilnehmerzahlen zunächst ab, kletterten dann aber wieder nach den „Querdenken“-Groß-Events am 1. und 29. August in Berlin. Die „Querdenken“-Initiative hat sich nach ihren ersten Auftritten schnell dezentral aufgestellt, agiert mit ihrem Namen auch in vielen Städten und Orten von NRW. Trotzdem ist zu beobachten, dass viele Aktivitäten über die Stuttgarter Leitstelle gesteuert werden. Andererseits war die Gruppe „Querdenken“ Dortmund, Duisburg und Miltenberg in die Organisation der Berliner Großveranstaltungen eingebunden. Immer wieder überregionale Anlaufstelle für Proteste war Düsseldorf als Landeshauptstadt und Sitz des nordrhein-westfälischen Landtags.

Virchow und Häusler stellen fest, dass die extreme Rechte die Pandemie-Proteste durch ihre Teilnahme maßgeblich prägt, auch wenn sie die Aktivitäten auf der Straße, ob nun Mahnwache, Demonstration, Meditation oder Spaziergang gar nicht selbst organisiert. Die Events zeichnen sich durch die Teilnahme von Personen aus unterschiedlichen Milieus aus. Neben gewaltbereiten Kräften aus Hooligankreisen mit Neonazi-Anbindung sind organisierte rechtsextreme Partei-Aktivisten, völkische Nationalisten, Reichsbürger, oft antisemitischen Verschwörungsideologen, Vertreter der Neuen Rechten und Rechtspopulisten anzutreffen, die wiederum ein Klientel von Impfgegnern, Esoterikern oder aufgebrachten Lockdown-Branchenopfern an ihrer Seite wissen.

Zunehmende Radikalisierung

Im Laufe der Zeit hat sich dabei eine steigende Radikalisierung herausgebildet. Mit wachsender Aggressivität gegenüber Behörden, Verwaltungen, Polizei, Schulmedizin und etablierten Medien wollen Rechtsextremisten die unzufriedene Stimmung in Teilen der Bevölkerung aufgreifen, um sich diese zunutze zu machen und sie gegebenenfalls zu befeuern. Dabei gerät die Pandemie-Thematik zunehmend zur Randerscheinung, um vielmehr System, die geltende Verfassung und Demokratie in Frage zu stellen. Die extreme Rechte besteigt eine in der Regel nicht selbst bereitete Bühne, um dort neue Anhänger zu gewinnen und diffuse Proteste zu politisieren.

Die Untersuchung blickt auf die Strukturen der Proteste und deren Öffentlichkeitsarbeit, skizziert die Narrative und die Kernbotschaften der Verschwörungsideologen. Dabei werden die Geschehnisse und ihre Akteure als handelnde Protagonisten und damit wenn auch kleiner, aber lautstarker Teil der Gesellschaft seriös eingeordnet und nicht etwa lapidar als unrelevante Schwurbler oder Cov-Idioten abgetan. Aufgrund der Kürze der Beobachtung und des dynamischen Prozesses nehmen die Wissenschaftler aber Abstand von Handlungsempfehlungen und Entwicklungsprognosen.

Das Kurzgutachten ist hier abzurufen.

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