Prozessauftakt gegen Marvin E. in Frankfurt

CDU-Kandidat, Bombenbastler – und Rechtsterrorist?

Bei der Kommunalwahl im März 2021 kandidierte er noch für die CDU, kurz danach soll er mit dem Aufbau einer hessischen Dependance der militant-rechtsextremen „Atomwaffen Division“ begonnen und Anschläge mit selbstgebauten Bomben geplant haben: Vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt hat der Prozess gegen Marvin E. aus Spangenberg begonnen.

Dienstag, 02. August 2022
Joachim F.Tornau
Marvin E. als parteifreier Kandidat der CDU Spangenberg bei der Kommunalwahl. Foto: CDU Spangenberg / eigene Bearbeitung
Marvin E. als parteifreier Kandidat der CDU Spangenberg bei der Kommunalwahl. Foto: CDU Spangenberg / eigene Bearbeitung

Was man sieht und was man hört, ist schwer in Einklang zu bringen an diesem Morgen. Der Mann, der am Dienstag in Handschellen in den Saal II des Gerichtsgebäudes in Frankfurt am Main geführt wird, ist ein Hänfling. Klein, unscheinbar, mit strubbeligem Blondhaar und viel jünger aussehend als der 20-Jährige, der er ist. Doch er soll bereit gewesen sein zu morden. Um einen „Rassen- und Bürgerkrieg“ zu entfachen. Für eine „weiße Vorherrschaft“ in der Welt. So steht es in der Anklage, die Oberstaatsanwalt Michael Neuhaus beim Prozessauftakt im Oberlandesgericht vorträgt.

Sprengkörper nur knapp hinter der Wirkung militärischer Sprengmittel 

Die Bundesanwaltschaft hält Marvin E. für einen rechten Terroristen. Sie hat den Tischlerauszubildenden aus dem nordhessischen Spangenberg wegen der versuchten Gründung einer terroristischen Vereinigung, wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie wegen Verstößen gegen das Waffen- und das Sprengstoffgesetz angeklagt. Der Mann, der bei der hessischen Kommunalwahl im Frühjahr 2021 noch auf der Liste der örtlichen CDU angetreten war, habe mindestens 15 große Sprengkörper gebaut, zum Teil mit Stahlkugeln ummantelt und mit einer Sprengkraft, die „nur knapp hinter militärischen Sprengsätzen zurückbleibt“, wie der Oberstaatsanwalt sagt. „Er hatte vor, diese Sprengsätze für Anschläge im Sinne der AWD-Ideologie einzusetzen.“ 

AWD steht für „Atomwaffen Division“, eine der militantesten Organisationen des weltweiten Rechtsextremismus. Rassistisch, antisemitisch, nationalsozialistisch und mit offenem Bekenntnis zum Terror. Die AWD propagiert willkürliche Anschläge auf Schwarze, auf Jüd*innen, auf Muslim*innen, aber auch auf Politiker*innen oder auf kritische Infrastruktur, begangen von Einzelpersonen oder kleinen Zellen gemäß der Strategie des „führerlosen Widerstands“. Das Ziel ist Chaos, die Destabilisierung der staatlichen Ordnung, das Herbeiführen eines Bürgerkriegs, der dann in einen rechten Umsturz münden soll.  
 

In den USA, wo die AWD 2015 gegründet wurde, mittlerweile aber offiziell aufgelöst ist, werden ihren Mitgliedern mehrere Morde zur Last gelegt. In Deutschland gibt es keine feste Organisation, in den vergangenen Jahren aber haben sich immer wieder einzelne Neonazis zu der Terrortruppe bekannt. Das AWD-Logo mit dem Radioaktivitätssymbol tauchte auf Flugblättern in Frankfurt, Berlin und in der Kölner Keupstraße auf, Morddrohungen gegen den heutigen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) waren mit „Atomwaffen Division“ unterzeichnet. Im April wurden bundesweit die Wohnungen von 50 Neonazis durchsucht, die zur AWD oder ihrem Umfeld gehören sollen.

Suche nach Personen mit Erfahrung im Umgang mit Sprengstoff

Der Angeklagte saß da schon seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Marvin E. soll ab Juli 2021 versucht haben, so etwas wie einen hessischen Landesverband der „Atomwaffen Division“ zu gründen. „Er sah sich selbst als der Anführer“, heißt es in der Anklage. Gezielt habe er über das Internet nach Menschen gesucht, die Erfahrung mit Sprengstoff und Waffen haben sollten. Er habe zuerst Freundschaften knüpfen und dann nach und nach die AWD-Ideologie einfließen lassen wollen, so soll er es selbst notiert haben. Ein Plan, der allerdings offenbar nicht aufging: Nur ein ehemaliger Mitschüler soll nach dem Austausch von Propagandavideos und Hitler-Bildern schließlich per Chat einer Mitgliedschaft in der „Atomwaffen Division Hessen“ zugestimmt haben. Ansonsten seien die Rekrutierungsbemühungen erfolglos geblieben.

Gleichwohl gelang es Marvin E. laut Anklage, für eine Propagandaaktion in Kassel fünf Gleichgesinnte zu finden. Wer das war, ist nicht bekannt: Zwei Tage vor der Aktion wurde der Angeklagte im September 2021 festgenommen, das geplante Plakatieren fiel aus. Bezüge zu den 50 Neonazis mit mindestens AWD-Sympathien, bei denen im April die großangelegten Razzien stattfanden, soll Marvin E. keine haben – obwohl Bastian A., einer der Männer, die damals wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung festgenommen wurden, in Rotenburg an der Fulda lebte. Von Spangenberg ist das keine 20 Kilometer entfernt.
 

Die Polizei soll Marvin E., der bis dahin völlig unauffällig gewesen war, durch einen Tipp des Verfassungsschutzes auf die Spur gekommen sein. Allzu konspirativ ist er, wenn man den Angaben der Bundesanwaltschaft glaubt, bei seiner mutmaßlichen Terrorplanung allerdings auch nicht vorgegangen: Schwefel und Magnesium, Zündschnüre und Stahlkugeln für seine Sprengsätze bestellte er demnach einfach bei Amazon. Bei Instagram und bei Messengerdiensten wie Telegram trat er als „AWD Hessen“ auf.

Gegen Migranten und Juden im Lebensraum der weißen "Rasse"

Wie die rechtsterroristischen Attentäter von Halle und Hanau, von Christchurch und Utøya soll Marvin E. eine Art Manifest verfasst haben, mit einem unmissverständlichen Programm, wie der Vertreter der Bundesanwaltschaft sagt: „Migranten sowie Juden sollten aus dem Lebensraum der weißen ‚Rasse‘ vertrieben und dezimiert werden.“ Innerhalb von drei Jahren habe der Angeklagte durch Mordanschläge einen „Rassenkrieg“ entfesseln wollen. Ein ganzes Reservoir an Granaten, Bomben, Minen, Schusswaffen und Munition habe er dafür anlegen wollen – und im Internet unter anderem nach dem Grundriss des Bundestags gesucht. 

Beim Prozessauftakt hört sich Marvin E. das mit einer schwer zu entschlüsselnder Miene an. Er scheint leise zu lächeln, aber ob aus Unsicherheit oder Zufriedenheit, lässt sich nicht sagen. Er wolle sich äußern, kündigt seine Verteidigung an, aber erst vom nächsten Termin an. Für den Prozess sind bislang 13 weitere Verhandlungstage bis Anfang November angesetzt. 
 

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