Fretterode-Prozess

Bundesgerichtshof kassiert mildes Urteil gegen Neonazis

Der sogenannte Fretterode-Prozess um einen brutalen Überfall von Neonazis auf zwei Journalisten in Thüringen muss neu aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob das vielfach als skandalös kritisierte Urteil des Landgerichts Mühlhausen am Mittwoch auf. Jetzt muss eine andere Strafkammer des thüringischen Gerichts den Fall noch einmal ganz von vorn verhandeln.

Mittwoch, 13. März 2024
Joachim F. Tornau
Das Foto zeigt Gianluca  B., wie er mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet die Journalisten verfolgt und später einen von ihnen damit schwer verletzt.
Das Foto zeigt Gianluca B., wie er mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet die Journalisten verfolgt und später einen von ihnen damit schwer verletzt.

Selten hatte ein Urteil derart umfassend für Empörung gesorgt. Von einem „Schlag ins Gesicht“ aller engagierten Reporter*innen und einem „fatalen Signal an die rechtsextreme Szene“ sprach die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion in der Gewerkschaft Verdi. Von einem „Freifahrtschein“ für Neonazis die Grünen-Fraktion im Thüringer Landtag. Und selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung, krawalligen Zuspitzungen eher unverdächtig, konstatierte nüchtern einen „Skandal“.

Im April 2018 hatten zwei Männer aus dem nächsten Umfeld des Neonazi-Führers Thorsten Heise – der eine sein Sohn, der andere so etwas wie sein politischer Ziehsohn – zwei Göttinger Journalisten erst im Auto über die Straßen rund um das Dorf Fretterode im thüringischen Eichsfeld gejagt und sie schließlich mit einem Messer und einem gewaltigen Schraubenschlüssel schwer verletzt. Heise, Bundesvize der NPD (die sich heute „Die Heimat“ nennt), ist seit Jahrzehnten eine der einflussreichsten Figuren des militanten Neonazismus in Deutschland und Europa. Die beiden auf Recherchen in der rechten Szene spezialisierten Journalisten hatten an jenem Tag ein vermutetes Treffen von Rechtsextremen auf Heises Anwesen in Fretterode dokumentieren wollen.

Landgericht sah keine politisch motivierte Tat

Die Tat, bei der die Angeklagten auch alle Scheiben am Auto der Journalisten mit einem Baseballschläger einschlugen, wirkte wie ein Gewaltexzess. Die Strafen, die das Landgericht in Mühlhausen mehr als vier Jahre später wegen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung verhängte, fielen dafür jedoch äußerst milde aus. In einem sehr verständnisvollen Urteil ließ das Gericht Heise-Sohn Nordulf H. mit 200 Arbeitsstunden, seinen Gesinnungsgenossen Gianluca B. mit einer zwölfmonatigen Bewährungsstrafe davonkommen. Nach einjähriger Verhandlung erkannte das Gericht im September 2022 weder einen gezielten Angriff auf die freie Presse noch eine politisch motivierte Tat. Es sei den Angeklagten vorrangig darum gegangen, das Fotografiertwerden zu verhindern, befand die Strafkammer.

Als sich weitere anderthalb Jahre später nun der Bundesgerichtshof mit dem Fall befasste, stand die Milde des Urteils nur mittelbar auf dem Prüfstand. Die Höhe einer Strafe lässt sich in einem Revisionsverfahren, in dem es allein um mögliche Rechts- und Verfahrensfehler geht, nur in Ausnahmefällen angreifen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage stützten ihre Revisionsanträge vor allem darauf, dass die beiden Neonazis vom strafrechtlich schwerwiegendsten Vorwurf freigesprochen worden waren: dem Raub der Fotoausrüstung. Allein dafür drohte den Angeklagten, weil sie auch diese Tat unter Waffengewalt begangen haben sollen, eine Mindeststrafe von fünf Jahren.

Prozess wird komplett neu aufgerollt

Das Landgericht hatte diesen Freispruch im Wesentlichen mit widersprüchlichen Angaben der Journalisten begründet: Während der eine von einem Griff durchs Fahrerfenster ihres Autos berichtet hatte, glaubte der andere, den Raub auf der Beifahrerseite beobachtet zu haben. Dem Vertreter der Bundesanwaltschaft war das zu dünn. Die Beweiswürdigung sei „lückenhaft“ und werde den rechtlichen Anforderungen „nicht ansatzweise gerecht“, sagte er in der mündlichen Verhandlung. Nebenklageanwalt Rasmus Kahlen vermisste zudem eine Berücksichtigung des von der Strafkammer angenommenen Tatmotivs. Denn wenn es den Neonazis um ihr Recht am eigenen Bild gegangen sei, warum hätten sie dann ausgerechnet die Fotoausrüstung links liegen lassen sollen? „Dem Urteil“, bilanzierte Kahlen, „mangelt es an Plausibilität.“

Dem schloss sich der 2. Strafsenat des BGH mit seiner Entscheidung an. Die Aussagen von Beteiligten und Zeug*innen würden im Urteil nicht nachvollziehbar dargestellt, erklärte Senatsvorsitzende Eva Menges, es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien. „Gänzlich unerörtert bleibt die Frage nach dem Verbleib der Kamera.“ Denn dass die anfangs noch da, am Ende aber unauffindbar war, bestreitet niemand. Der Bundesgerichtshof hob jedoch nicht nur den Teilfreispruch auf, sondern das gesamte Urteil: Der mutmaßliche Raub lasse sich von Gesamtgeschehen nicht trennen. Deshalb muss nun eine andere Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen den Fretterode-Prozess komplett neu verhandeln.

Revisionsantrag von einem der Angeklagten zurückgewiesen

Den Revisionsantrag des Angeklagten Nordulf H. wies der Senat dagegen als unbegründet zurück. Obwohl einer der beiden angegriffenen Journalisten einen Messerstich im Bein davongetragen hatte, hatte Szene-Anwalt Wolfram Nahrath einen Messerangriff nicht für erwiesen gehalten. Und er forderte, seinen Mandanten von den Kosten des langen und aufwendigen Gerichtsverfahrens zu befreien. „Er ist durch einen höheren fünf-, wenn nicht sechsstelligen Betrag belastet“, klagte Nahrath. „Das hat den Charakter einer unbotmäßigen Geldstrafe.“

Für die Kostenentscheidung, beschied ihn Richterin Menges kühl, sei der BGH nicht zuständig. Dagegen hätte die Verteidigung in Mühlhausen Beschwerde einlegen müssen. Wofür es jetzt aber längst zu spät sei.

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