Germania Marburg

Brutaler Burschenschafter-Angriff bleibt weitgehend ungesühnt

Mehr als zweieinhalb Jahre nach dem Überfall rechter Burschenschafter auf eine liberalere Studentenverbindung in Marburg fällt die strafrechtliche Bilanz mager aus. Lediglich einer der rund zehn Angreifer wurde ermittelt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt – und das auch nur für einen Teil der Taten. Zwei weitere Männer wurden freigesprochen, auch weil die Polizei nachlässig gearbeitet hatte.

Mittwoch, 01. März 2023
Joachim F. Tornau
Das Gebäude der Burschenschaft Germania in Marburg, Foto: Joachim F. Tornau
Das Gebäude der Burschenschaft Germania in Marburg, Foto: Joachim F. Tornau

Am steilen Hang der Marburger Lutherstraße reihen sich, mächtigen Trutzburgen gleich, die Häuser von Studentenverbindungen aneinander. Auch die Burschenschaft Germania hat hier ihr Zuhause – ein Mitgliedsbund der völkisch-nationalistischen Deutschen Burschenschaft (DB), an dem sich die Bedeutung, die DB-Burschenschaften für die Vernetzung der extremen Rechten haben, geradezu idealtypisch ablesen lässt. Aus den Reihen der Germania stammen führende AfD-Mitglieder wie Torben Braga, Landtagsabgeordneter und Sprecher der Thüringer AfD, ebenso wie der ehemalige „Identitären“-Rapper und heutige Rechtsanwalt Patrick Bass oder der Leiter des Kampagnennetzwerks „Ein Prozent“, Philip Stein. Und wenn die Verbindung wieder einmal zum Vortrag eines rechten Vordenkers lädt, erstreckt sich das Publikum bis ins neonazistische Spektrum.

Direkt daneben steht das Haus der Frankonia – einer Korporation aus dem liberaleren Schwarzburgbund, die sich schon seit Jahren vom Rechtsextremismus distanziert und mit den Germanen von nebenan deshalb nichts zu tun haben will. Den rechten Burschenschaftern sind die als „links“ verachteten Nachbarn deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Wie man bei ihnen auf die Frankonen schaut, zeigte sich in einer Juni-Nacht des Jahres 2020, über die nun vor dem Marburger Amtsgericht verhandelt wurde.

Burschenschafter als „Zecken“ beschimpft

Bei einer Begegnung am Zigarettenautomaten, so stellte das Gericht fest, beleidigte Nicolas K., der damals noch Mitglied der Germania war und auch in dieser Nacht stolz das schwarz-weiß-rote Band der Burschenschaft trug, eine Gruppe der Frankonen unter anderem als „Schwuchteln“, „Judensäue“ und „Zecken“. Auch die Worte „So was wie dich hätte man früher an die Wand gestellt“ seien gefallen. Dann habe Nicolas K. Verstärkung herbeitelefoniert, worauf umgehend rund zehn weitere Männer aufgetaucht seien. Es gab Schläge und Geschubse. „Ich habe in ihren Augen eine Aggression gesehen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe“, erinnerte sich ein Angehöriger der Frankonia. „Das werde ich nicht vergessen.“

Nicolas K. wurde deshalb am Dienstag wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Als Einziger. Der mitangeklagte Germane Heinrich M., ehemals hessischer Regionalleiter der „Identitären Bewegung“ und wie Nicolas K. bereits früher wegen Hausfriedensbruchs bei „Identitären“-Aktionen vor Gericht, war zwar von dem 30-Jährigen angerufen worden, als der wegen der „Zeckenaction“ am Zigarettenautomaten um tatkräftige Unterstützung bat. Aber dass der 26-Jährige der Aufforderung auch persönlich Folge leistete, ließ sich nach Ansicht des Gerichts nicht beweisen.

Gebäude gestürmt

Ebenso wenig wie die Beteiligung aller drei Angeklagter an dem, was wenig später geschah. Auf den unscharfen Bildern einer Überwachungskamera ist zu sehen, wie ein regelrechtes Rollkommando auf das Haus der Frankonia zustürmte, vermummt und mit Eisenstangen oder Schlagstöcken bewaffnet, einer der Männer in einer Wehrmachtsuniform, die anderen in einer Art Trachtenlook. Gekommen sein sollen die Angreifer von der Germania. Sie rammten die Tür der Frankonen-Villa mit einem Holzklotz ein, drangen in das Haus ein und verwüsteten das Erdgeschoss. Sie schlugen fast alle Fensterscheiben ein, rissen Bilder von den Wänden, zerschlugen Gläser, zerstörten einen Fernseher, versprühten Pfefferspray. „Es war Chaos“, sagte ein Frankone. „Ein Scherbenmeer.“

Doch zur Rechenschaft gezogen wird dafür nun niemand: Das Marburger Amtsgericht sprach nicht nur Nicolas K. und Heinrich M., sondern auch den dritten Angeklagten Hans F. vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs und der gemeinschaftlichen Sachbeschädigung frei. „Es mag so gewesen sein, dass Sie dabei waren“, sagte Richterin Melanie Becker. „Aber die Beweisaufnahme hat das nicht ergeben.“ Einer der Angreifer war zwar sogar auf der Straße von einem Passanten gestoppt worden, als er gerade mit erhobenem Schlagstock auf einen Zeugen losging, und hatte deshalb nicht wie seine Mittäter entkommen können.

Nachlässige Polizeiarbeit

Laut Anklage soll das Hans F. gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft forderte für den 36-Jährigen, der nach eigenen Angaben derzeit arbeitslos ist und von Bürgergeld lebt, darum eine Geldstrafe in Höhe von 2.400 Euro (160 Tagessätze à 15 Euro).
Doch das Schöffengericht sah das anders. Denn: Der Streifenbeamte, der die Personalien dieses Mannes festgestellt hatte, wusste nicht mehr, wie er das gemacht hatte. Hatte er einen Ausweis gesehen? Oder sich einfach darauf verlassen, was ihm der Mann gesagt hatte? „Wenn ich top gearbeitet habe, würde es im Vermerk stehen“, gab der Polizist zu. Aber da stand nichts.

Und so erklärte Richterin Becker: „Es ist für das Gericht nicht auszuschließen, dass jemand, der seine Anwesenheit am Tatort vertuschen wollte, die Personalien von F. angegeben hat.“ Das Gericht folgte damit einem Argument von Verteidiger Andreas Schoemaker. „In der Welt der Studentenverbindungen kennt jeder jeden“, hatte der Anwalt gesagt. „Da weiß jeder: Der F. ist Raczek.“ Und kenne deshalb auch seine Adresse. Gemeint war die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks in Bonn, bekannt geworden vor allem durch ihre Forderung nach einer als „Arier-Nachweis“ kritisierten Aufnahmeregelung für die Deutsche Burschenschaft, die vor gut zehn Jahren in einen Massenaustritt der nicht offen völkischen Mitgliedsbünde aus dem Dachverband mündete. Hans F. hat laut seiner vor Gericht bestätigten Anschrift auch heute noch dieselbe Adresse wie die Bonner Burschenschaft, legt allerdings Wert darauf, jedenfalls aktuell kein Mitglied zu sein.

Anwälte aus Burschenschafts-Milieu

Rechtsanwalt Schoemaker ist wie sein Co-Verteidiger Matthias Brauer selbst Raczek. Und auch die anderen beiden prozessbeteiligten Verteidiger waren Szene-Anwälte aus dem rechtsextremen Burschenschafter-Milieu: Heinrich M. ließ sich von Max Bartusch vertreten, Mitglied der Burschenschaft Rugia in Greifswald. Und für Nicolas K. trat Björn Clemens von der Marburger Burschenschaft Rheinfranken auf, der sich nicht nur als Verteidiger zahlreicher Neonazis einen Namen gemacht hat, sondern sich auch selbst als rechter Publizist und Aktivist betätigt. Dass man auf der Seite der Verteidiger und Angeklagten unter sich blieb, in der Familie der Burschenschafter sozusagen, sprach Clemens in seinem Schlussvortrag ganz offenherzig aus: „Ich verrate kein intimes Geheimnis, wenn ich sage, dass alle hier auf der Bank mal ein Band aufgenommen haben.“

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