Bröckelnde NPD-Machtbastion
Bei Sachsens NPD regiert vor der Landtagswahl am 31. August die Angst. Zehn Jahre nach dem erstmaligen Einzug ins Landesparlament in Dresden droht der Partei dort nun das Aus.
Auf drei, maximal vier Prozent taxierten die Meinungsumfragen die sächsische NPD in den letzten Wochen. Auch in ihrer „Hochburg“ kann sich die Partei nicht vom bundesweiten Trend lösen, der ihre Ergebnisse von 1,5 und 1,3 Prozent bei den Bundestagswahlen 2009 und 2013 bis hin zu nur noch 1,0 Prozent bei der Europawahl im Mai um ein Drittel schrumpfen ließ. Und damit nicht genug: Sorgen machen müssen sich die Parteioberen zwischen Leipzig und Görlitz insbesondere wegen der erstmals antretenden „Alternative für Deutschland“, die in Sachsen ihre besten Ergebnisse erreicht.
Seit Jahresbeginn attestieren alle Umfragen der AfD – wenn auch zuletzt wieder mit abnehmender Tendenz – mit fünf bis acht Prozent ein Stimmenpotenzial, das für Landtagsmandate genügt. So deutlich wie in kaum einem anderen Bundesland schielt die AfD in Sachsen auf die auch von der NPD umworbenen rechten „Protestwähler“, die sie mit ihren Forderungen nach permanenten Grenzkontrollen, einer Deutsch-Quote im Radio und Volksabstimmungen über den Bau von Moscheen mit Minaretten anzulocken versucht.
AfD ist „Wurmfortsatz der deutschen Zuwanderungsparteien“
Jürgen Gansel, Landtagsabgeordneter und einer der Vordenker der sächsischen NPD in Sachen Strategie und Taktik, hat die Gefahr erkannt. Mit Blick auf die neue Konkurrenz, die sich gegen den Vorwurf wehrt, eine Rechtspartei zu sein, zugleich aber mit ihrem Wahlprogramm kräftig nach rechts blinkt (bnr.de berichtete), wetterte er unlängst los: Die AfD sei „ein Wurmfortsatz der deutschen Zuwanderungsparteien“ und solle „lediglich Protestwählerstimmen systemkonform neutralisieren“. Die „Placebo-Partei“ AfD, schimpfte Gansel weiter, nehme „die Verausländerung Deutschlands und Islamisierung Europas tatenlos hin“ oder wolle sie sogar noch fördern.
„Heimat im Herzen“ ist auf den Wahlplakaten der NPD zu lesen. Der Spruch fürs Gemüt findet sich aber sozusagen nur im Kleingedruckten. Fettgedruckt dominieren die Slogans, die man von der NPD erwarten darf. Wo die AfD noch über Volksabstimmungen nachdenkt, plakatiert die NPD kurz und knapp: „Moschee? Nee!“ Gegen „Ausländer“ im Allgemeinen geht es („Heimat statt Zuwanderung“) und gegen Flüchtlinge im Speziellen („Asylantenheim? Nein danke!“, „Heimat schützen – Asylbetrug stoppen!“). Wie in vielen Wahlkämpfen zuvor will die NPD zudem von der Furcht vor Kriminalität profitieren, speziell wenn es um Kindesmissbrauch geht („Kinderschutz statt Kuscheljustiz“).
Müllcontainer „für braune Flaschen“
Provokative Aktionen sollten sie in den letzten Wochen in die Schlagzeilen bringen. NPD-Fraktionschef Holger Szymanski etwa brach zur persönlichen „Kontrolle“ in Asylbewerberunterkünfte auf, was ihm eine Strafanzeige des sächsischen Landtagspräsidenten Matthias Rößler wegen Amtsanmaßung eintrug. Der Parteinachwuchs von den Jungen Nationaldemokraten startete eine Kampagne, mit der man sich Zutritt zu Schulen verschaffte, um dort Propagandamaterial an die Jungwähler zu bringen. In Dresden und Leipzig nahmen NPDler eigenmächtig Plakate ab, die SPD, Linke und Grüne im Rahmen einer gemeinsamen Aktion mit dem DGB zuvor aufgehängt hatten. „NP... Nee“ stand auf ihnen, darunter das Foto eines Müllcontainers mit der Aufschrift „Für braune Flaschen“ – die NPD schäumte.
An vergangene, bessere Zeiten der Sachsen-NPD wollte die Partei mit der Aktion „Deutsche helfen Deutschen“ anknüpfen. 2004 hatte die Partei nicht zuletzt von den Protesten gegen „Agenda“-Politik und Hartz IV profitiert. Zehn Jahre später verteilte man unter dem Motto „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ Lebensmittelpakete, genauer: NPD-Tüten mit Lebensmitteln. Auf einem der Wahlplakate heißt es: „Arm trotz Arbeit? Nicht mit uns!“
Ausbildungsbetrieb für Nachwuchskader
Im September 2004 war die NPD mit sozialpopulistischen Tönen und 9,2 Prozent in den Dresdner Landtag gespült worden – der erste überregionale Wahlerfolg der Partei seit den 60er Jahren. Die Fraktion bot ihr seither ganz neue Möglichkeiten – personell, materiell und in der öffentlichen Wahrnehmung. Die NPD-Truppe im sächsischen Landtag wurde zum Ausbildungsbetrieb für Nachwuchskader. Sie bot führenden Funktionären die Möglichkeit, finanziell abgesichert für die Partei tätig zu sein. Sie war das Experimentierfeld, auf dem ihr Vorsitzender Holger Apfel seine Vorstellung von einer „seriösen Radikalität“ entwickeln konnte: die alte NPD-Programmatik, verpackt in softer klingende Töne. Die Fraktion war schließlich die Plattform, von der aus Apfel erfolgreich nach der Macht in der Partei greifen konnte.
Dass schon bald nach dem Einzug ins Parlament Probleme auftauchten, überraschte wenig. Die Landtagscrew der NPD zerstritt sich mit „parteifreien“ Neonazis. Sachsen in der Fraktion zofften sich mit den Westimporten, deren prominentester Vertreter Apfel war. Die Abgeordneten gerieten szeneintern in den Verdacht, es eher auf Diäten und Dienstfahrzeuge abgesehen zu haben als auf die Durchsetzung der reinen NPD-Lehre. Mindestens einmal endeten die Auseinandersetzungen sogar handgreiflich. Von den 2004 errungenen zwölf Mandaten waren der NPD nach drei Austritten und einem Ausschluss zum Ende der Wahlperiode 2009 nur noch acht geblieben.
Als die sächsischen Wähler vor fünf Jahren den Landtag neu bestimmten, kam die NPD trotz dieser Kalamitäten noch einmal mit einem blauen Auge davon: Mit 5,6 Prozent gelang ihr erneut der Einzug ins Landesparlament. Immerhin war auch das eine Premiere: Die Rückkehr in ein Parlament hatte die NPD zuvor noch nie geschafft.
Krisenstimmung in der Partei durch Scheitern befeuert
Ein ähnliches Ergebnis würde heuer vermutlich als Triumph gefeiert. Szymanski (Jahrgang 1972), seit 2013 Landesvorsitzender und nach Apfels Abgang aus der Politik Ende des vergangenen Jahres auch zum Fraktionschef gewählt, soll als Spitzenkandidat das Kunststück schaffen, die Partei erneut in den Landtag zu führen. Ein Wahlkampfbudget von immerhin 300 000 Euro steht ihm dafür zur Verfügung, berichtete „Spiegel Online“. Szymanski hat Jura studiert, dann Neuere und Neueste Geschichte, sächsische Landesgeschichte und Politikwissenschaften. Laut einer Biografie der NPD war er von 2000 bis 2005 Inhaber eines Versandantiquariats. Als bieder und unscheinbar wird er beschrieben. Jedes Charisma geht ihm ab – was ihn wiederum mit seinem Vorgänger Apfel verbindet. Und auch sonst setzt die Sachsen-NPD personell auf ein „Weiter so“. Von ihren derzeit acht Abgeordneten tritt lediglich Andreas Storr nicht wieder an. Als Bundesschatzmeister der finanziell gebeutelten Partei dürfte er auch ohne Mandat genug zu tun haben.
Würde die NPD die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, dürfte sie – je nach der Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate – zwischen sechs und acht Abgeordnete stellen. Mit einem solchen Erfolg könnte sie beim nächsten Bundesparteitag im Herbst Ansprüche anmelden, wenn personell und strategisch die Weichen in der NPD neu gestellt werden sollen. Mehr spricht aber derzeit für ein anderes Szenario: für ein Scheitern, das weit über Sachsen hinaus die Krisenstimmung in der Partei befeuern würde.