Brauner Wandermusiker in der Alpenrepublik

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht aus Österreich widmet sich ausführlich dem deutschen Neonazi Philipp Tschentscher alias Liedermacher „Reichstrunkenbold“. Ein weiterer Schwerpunkt  des Berichtes ist die „Identitäre Bewegung“.

Mittwoch, 03. September 2014
Anton Maegerle

574 rechtsextreme, fremdenfeindliche, rassistische, islamfeindliche, antisemitische und sonstige Tathandlungen (2012: 519) hat das österreichische  Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Jahr 2013 erfasst.  Die Aufklärungsquote lag bei 54,1 Prozent, so der aktuelle Verfassungsschutzbericht. Das rechtsextreme Spektrum setzt sich aus Parteien, Vereinen und Freundeskreisen, jugendlicher Subkultur, neonazistischen Kameradschaften und  Einzelaktivisten zusammen.

Seit Jahren seien es „immer wieder dieselben Personen, die hinter neu gegründeten einschlägigen Parteien und Vereinen stehen“, konstatiert der Verfassungsschutz der Alpenrepublik. Bestätigt habe sich im Berichtsjahr, „dass auch Gerichtsverfahren und Verurteilungen zu längeren Haftstrafen nicht dazu führen, dass ideologisierte Rechtsextremisten abschwören“.

Musik von deutschen Rechtsrock-Bands ist beliebt

Einer der Schwerpunkte des österreichischen Verfassungsschutzberichts ist die „Identitäre Bewegung“, die „eine Art Sammelbecken für Aktivistinnen und Aktivisten aus unterschiedlichen Bereichen, die Affinitäten zum Rechtsextremismus aufweisen“, darstelle. In dieser Szene tummelten sich dem Verfassungsschutz zufolge „studentisch-burschenschaftlichen Bereich“ wie auch „amtsbekannte Neonazis“. Die „Identitäre Bewegung“ wolle mit dem traditionellen Nationalismus brechen und vertrete die Idee des Ethnopluralismus, heißt es. Der Begriff Rasse werde durch Kultur ersetzt. Im Zentrum der Propaganda stehe die Identität des eigenen Volkes, die es zu erhalten und vor Zuwanderung und „Islamisierung“ zu schützen gilt. Genutzt würden in diesen Kreisen auch popkulturelle Protestformen wie Flashmobs, wissen die Verfassungsschützer.

Im Kapitel „Rechtsextremistische Indoktrinierung am Beispiel einschlägiger Musik“ wird betont, dass von rechtsextremer Musik nationalsozialistische Ideologie und Hassgewalt verbreitet würden, was ein „hohes Gefährdungspotenzial“ darstelle. Transportiert werde eine Ideologie von der „globalen Dominanz der weißen Rasse und der Kampf für deren Erhaltung“.  Beliebt in Österreich ist auch die Musik von deutschen Rechtsrock-Bands wie unter anderem „Nordfront“, „Sleipnir“ oder dem NPD-Liedermacher Frank Rennicke.

Politischer Ziehsohn von Manfred Roeder

Besonders intensiv widmet sich der österreichische Verfassungsschutzbericht dem deutschen Neonazi Philipp Tschentscher, der wegen politisch motivierter Kriminalität und Allgemeinkriminalität ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten war. Der Neonazi-Liedermacher wurde am 16. Januar dieses Jahres vom niederösterreichischen Landgericht Korneuburg als erster Deutscher wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz rechtskräftig zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Der politische Ziehsohn des jüngst verstorbenen Rechtsterroristen Manfred Roeder war in Österreich als Wandermusiker mit dem Pseudonym „Reichstrunkenbold“  (RTB) zugange. Dort hatte Tschentscher, zuvor seit 2000 in der Neonazi-Szene in Hessen und Thüringen aktiv, „rasch einen Vertrauensstatus weit über die einschlägige Szene hinaus“ erreicht.

Bei seiner Wanderschaft propagierte Tschentscher Liedgut aus den  RTB-CD-Produktionen „Viel Asche um nichts“ (2009) und „Der Untergrund stirbt nie“ (2010). In den hasserfüllten Liedtexten werden Antisemitismus, Nationalsozialismus, Rassenideologien und Mordaufrufe gegen Juden und Menschen mit nicht weißer Hautfarbe verbreitet. In einem der Lieder heißt es: „Seh ich nen Schwarzen, dann seh ich rot / Ich laufe Amok und schlag ihn tot / Seh ich ne Zecke, bring ich sie zur Strecke / Seh ich nen Jud, dann fließt sein Blut / Treff ich nen Verräter, werd  ich zum Attentäter.

„Der Giftpilz“ im Handgepäck

Mit Gitarre, Musterexemplaren von NS-Devotionalien wie Geschirr und Krügen mit Hakenkreuz-Aufdruck sowie verbotenen Waffen zog der Neonazi von Bundesland zu Bundesland. Seine „nationalsozialistische Ideologisierungsstrategie“ nutzte Tschentscher zugleich für „kriminelle, gewinnorientierte Machenschaften“, heißt es im Bericht. So bestritt er nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer seinen Lebensunterhalt durch den Erwerb, Schmuggel und Handel von und mit Waffen, verbotener pyrotechnischer Erzeugnisse, Zigaretten und NS-Devotionalien. Zum ideologischen Rüstzeug im Handgepäck von Tschentscher gehörte das  antisemitische Kindermärchenbuch „Der Giftpilz“. Das Machwerk wurde 1938 von Julius Streicher im Nürnberger Verlag „Der Stürmer“ zur Erziehung von Kindern herausgegeben.

Der österreichische Verfassungsschutzbericht weist darauf hin, dass in der Bundesrepublik Deutschland mehrfach Strafverfahren gegen den „Reichstrunkenbold“ eingeleitet wurden, die von den Behörden jedoch „mangels Ermittlungsansatzes hinsichtlich Täterschaft“ immer wieder vorläufig eingestellt werden mussten. Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung enttarnte das Pseudonym und so kam es am 20. Juni 2013 zur Verhaftung von Tschentscher. „Reichstrunkenbold“ war der Spitzname des alkoholkranken NSDAP-Reichsleiters Robert Ley.

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