Brauner Spuk in Dortmund
Am Samstag sind in Dortmund knapp 600 Neonazis, abgeschirmt von 3000 Gegendemonstranten, unter dem bizarren Motto „Europa erwache“ aufmarschiert. Die braunen Aktivisten verbindet ihr Hass auf Juden sowie ihre demonstrative Militanz.
Die Dortmunder Neonazis haben in den vergangenen Jahren ein dichtes Netz zu militanten europäischen Neonazi-Gruppen aufgebaut. Immer wieder nahmen Vertreter des militanten Dortmunder Spektrums an zum Teil geheimen internationalen Treffen teilgenommen.
So beteiligten sie sich am im Mai 2017 an einem Kongress in Paris. Die Bulgarien-Kontakte der Neonazi-Partei „Die Rechte“ reichen noch bis in die Zeit des ehemaligen, inzwischen verbotenen „Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) zurück. Die Dortmunder Neonazis waren regelmäßig am „Lukov-Marsch“ in Sofia dabei.
Mitte der 2000er Jahre entstanden Dortmunder „Blood&Honour“- sowie „Combat 18“- Kontakte. Vor zwei Jahren, am 4. Juni 2016 beim Dortmunder „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ), waren auch einige wichtige Aktivisten des „Combat 18“-Netzwerkes vor Ort.
Riesiges Konterfei von Ahmadinetschad
Der Dortmunder Robin S. präsentierte sich bei der aktuellen Demonstration immer wieder, ein Transparent tragend, an vorderster Stelle. S, gehörte zur „Oidoxie Streetfighting Crew“ und soll gleichfalls Teil der „Combat 18“-Zelle gewesen sein; er saß wegen eines Raubüberfalls im Sommer 2007 in Haft. Bundesweite Bekanntheit erlangte S. durch seine Brieffreundschaft mit Beate Zschäpe.
Auf der Bühne der Auftaktkundgebung – vor einem riesigen Konterfei des ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinetschads und dem Schriftzug „The world without Zionism“ – traten neben dem kürzlich zu sechs Monaten Haft verurteilten Sascha Krolzig mehrere Sprecher radikaler osteuropäischer Gruppierungen auf. Antisemitisch-rassistische Begriffe wie „Volksfeinde“, „Rothschilds Finanzimperialismus“ und ein politischer „Kampf“, der „kompromisslos geführt werden müsse“ waren ideologische Versatzstücke.
Bizarres nationales Pathos
Der Dortmunder Michael Brück, der sich neben dem verurteilten Düsseldorfer Sven Skoda sowie Christoph Drewer als agiler Einpeitscher und Zuchtmeister der Demonstrationsteilnehmer präsentierte, feierte in seiner Rede die Früchte der polizeilichen Verhinderung von hörbaren und sichtbaren Gegenprotesten: Seit 1945 hätten „noch nie so viele Reichsfahnen in einer deutschen Stadt geweht“ wie 2018, frohlockte er. Mehrere 100 gleichförmige Fahnen wurden zentral und gut organisiert an die Neonazis verteilt.
Ein Teil der osteuropäischen Redner zeichneten sich eher durch sprachliche Hilflosigkeit und bizarres nationales Pathos aus. Deutlich wurde hingegen Zwezdomir Andronow vom „Bulgarischen Nationalbund“: Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hätten „dunkle Mächte“ das Ruder in Europa übernommen. Europa sei heute „ein Konzentrationslager mit dem Ziel, unsere völkische Identität zu zerstören“. Sascha Krolzig, der seine Haftstrafe noch nicht antreten musste, nutzte seine Rede zu einer Generalabrechnung mit der Dortmunder Polizei: Im Vorfeld hatte diese ein Redeverbot gegen ihn verhängt, welches von einem Gericht wieder aufgehoben wurde. Krolzig sprach von „Rechtsbrechern aus der Markgrafenstraße“. Er bezeichnete Europa als ein „Bollwerk der weißen Rasse“.
Abfotografieren und Einschüchterung von Journalisten
Der mehrfach wegen Gewalttätigkeiten und volksverhetzender Äußerungen verurteilte Matthias Drewer sowie Martin W. – mit professioneller Filmausrüstung – betätigten sich während der gesamten Demonstration mit dem Abfotografieren und Abfilmen von Journalisten. Sascha Krolzig verließ sogar vor Beginn der Kundgebung mehrfach demonstrativ die für die Neonazis reservierte Straße und marschierte minutenlang, mit einer Handykamera filmend, zwischen den Journalisten herum.
Während des knapp drei Kilometer langen Marsches, bei dem die Dortmunder Polizei jegliche demokratische Blockadeversuche sehr rigoros unterband, wurden fortdauernd unbeanstandet aus dem Nationalsozialismus entlehnte Losungen gebrüllt wie „Die Straße frei für die deutsche Jugend“, Straßenkampf“, „Alles für Volk, Rasse und Nation“, „Frei, sozial und national“ und „Hier marschiert der nationale Widerstand“. In einem langgezogenen Tunnel schrieen Neonazis die Losung „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“. Daraufhin wurde vom Lautsprecherwagen mitgeteilt, dass man doch wisse, dass dies eine vorab untersagte Losung sei. Dennoch machte die Polizei auch hierbei keinen Versuch, gegen die Losung einzuschreiten.
Weitere neonazistische „Prominenz“
Auch der mehrfach wegen einschlägiger Delikte verurteilte Neonazi Thomas „Steiner“ Wulff war in Dortmund erschienen. Der frühere NPD-Landesvorsitzende in Hamburg trat 2016 nach etlichen Querelen aus der NPD aus. Sein Erscheinen – er suchte fortdauernd die Nähe Siegfried Borchardts („SS-Siggi“) sowie von Neonazi-Sprechern aus Osteuropa – offenbarte wohl seine Suche nach neuen, noch militanteren Kreisen.
Der langjährige prominente Christian Worch, Mitbegründer der Partei „Die Rechte“, tauchte ebenfalls in Dortmund auf. Im November 2017 hatte er den Bundesvorsitz von „Die Rechte“ nach seiner Wiederwahl gleich wieder niedergelegt. Er wirkte verloren, niemand sprach mit ihm.
Mutige Proteste von Anwohnern
Die Kundgebung und der anschließende Demonstrationszug muteten gespenstisch an: Sie fanden nahezu vollständig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mehr als 3000 Polizisten wurden für die Neonazis eingesetzt, ein Hubschrauber, eine Reiterstaffel und zumindest sechs Wasserwerfer. Diese standen in den Seitenstraßen jedoch nicht den Nazis, sondern den antifaschistischen Demonstranten gegenüber. Insgesamt hatten sich wohl 3000 Gegendemonstranten an verschiedenen Orten eingefunden. Mit ihnen, die meisten von ihnen waren sehr jung, wurde keineswegs zimperlich umgegangen.
Am Rande des Neonazi-Aufzuges formulierten einige Anwohner Proteste, trotz der Eigengefährdung: Eine großformatige Israelfahne wurde an den martialischen Sperrgittern entrollt. Auf einem von mehreren Demonstranten bevölkerten Balkon hing ein riesiges Transparent mit der Forderung „Aufstehen gegen Rassismus“.
Besonderen Mut zeigte eine junge dunkelhäutige Frau mit dem auf braunem Karton geschriebenem Spruch „Fuck Nazi, RACISM“. Unbeeindruckt von den sehr zahlreichen Drohungen der 30 Meter entfernt vorbeimarschierenden 600 Neonazis blieb sie den ganzen Zug vor der Häuserzeile stehen und zeigte das Victory-Zeichen.
„SS-Siggi“ im Abseits
In einer Häuserzeile hatten mehrere Bewohner mehrere großformatige Protestplakate angebracht. Zahlreiche Hausbewohner schlugen lautstark mit Löffeln auf Töpfe. Ein Neonazi stürmte auf einen Hauseingang zu, in dem eine dunkelhäutige Frau zu sehen war. Erst als er begann, diese abzufotografieren, wurde er von der Polizei weggedrängt.
Symbolträchtig war eine Szene am Ende der Kundgebung: Die Neonazis bildeten abschließend einen Kreis. „SS-Siggi“ hingegen, mit seinem Gehstock, setzte sich 50 Meter abseits des Neonazi-Kreises, unbeachtet von den braunen Kameraden, auf eine Bank. Er wird nicht mehr gebraucht – die Botschaft war eindeutig.
Sebastian Schmidtke statt Udo Voigt
Der verurteilte Düsseldorfer Sven Skoda ließ während der gesamten Demonstration keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass er der radikalste Kämpfer der militanten Neonazi-Szene ist. Er bezeichnete die Bundesrepublik in seiner Abschlussrede als „den Staat, der uns“ von den Alliierten nach 1945 „aufgedrängt“ worden sei. Er sprach von „unserem Feind in Washington“. Europa würden sie in nicht zu ferner Zeit „auf den Schutthaufen der Geschichte werfen.“ Es gehe ihm um „Blutlinien“. Dann ging er zum Brüllen über: „Und dort wo wir auf unseren Gegner stoßen“ würden sie deutlich machen, „dass mit uns nicht zu verhandeln ist.“
Ganz am Ende erwähnt Skoda, dass der in den Wochen zuvor groß als Hauptredner angekündigte NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt einen Tag zuvor abgesagt habe. Für NPD-Ersatz war jedoch gesorgt: Der Berliner NPD-Kader Sebastian Schmidtke setzte sich vielfältig in Szene, auch auf der Rednertribüne unter dem Konterfei von Ahmadinedschad. Eine Gruppe muskulärer Männer war unter dem Banner der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten versammelt.