Brauner Germanen-Kult

In der rechtsextremen Szene wird gerne auf Figuren, Bilder und Versatzstücke aus der nordischen Mythologie zurückgegriffen - Rituale und Symbole dienen zur Legendenbildung für eine eigene frühgeschichtliche Kultur, der mit regelmäßigen Brauchtumsfeiern gehuldigt wird.

Freitag, 20. Oktober 2017
Horst Freires

Neonazis aus Dortmund benennen ihr Kampfsport-Event „Kampf der Nibelungen“, die Nürnberger Rechtsrock-Band „Nordwind“ titelte schon vor über 20 Jahren einen ihrer Tonträger „Walhalla ruft“, eine rechtsextreme Bürgerwehr in Finnland hat sich den Namen „Soldiers of Odin“ gegeben. Das sind nur drei Beispiele, die aufzeigen, dass die rechte Szene zur selbst erfundenen Legendenbildung und Klischeebedienung in den eigenen Reihen nur allzu gern auf Figuren, Bilder und Versatzstücke aus der nordischen Mythologie zurückgreift.

Mit dieser Thematik beschäftigte sich jüngst eine Tagung der Arbeiterwohlfahrt Schleswig-Holstein unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein, die sich den Titel „Odin mit uns! - Wikingerkult und Rechtsextremismus“ gab. Diverse Rechtsrock-Bands damals wie heute sind auf dieser Geschichte instrumentalisierenden und verfälschenden Spur unterwegs, kaum ein brauner Onlinehandel oder Vertrieb verzichtet in seiner Produktpalette darauf. So gibt es den vom früheren Landesvorsitzenden der Jungen Nationaldemokraten Siegfried Birl seit knapp 20 Jahren betriebenen Wikinger-Versand aus dem bayerischen Geiselhöring oder ein Textilanbieter aus Niedersachsen beflockt T-Shirts mit Parolen „Operation Walküre 2.0“.

Auf Sippe und nach Blutsherkunft definierter Stammbaum

Rituale und Symbole werden zur eigenen frühgeschichtlichen Kultur erklärt und dann in Form von Brauchtumspflege bei etwa regelmäßig stattfindenden Sonnenwendfeiern wie beispielsweise zuletzt am 24. Juni auf dem Hof von Joachim Nahtz in Eschede als heimatbewahrend dargestellt. Häufiger ergibt sich da auch eine Schnittmenge mit antichristlichen, neuheidnischen und rechtsesoterischen Gruppierungen. Eine Gesinnung vom Germanentum über Arier-Denken hin zu Ausgrenzung, Rassismus, Antisemitismus und einer Islam-Feindschaft bildet rasch ein mit Vorurteilen behaftetes Weltbild. Mit jeder Erzählung zum Teil veränderte Überlieferungen, Sagen und eigens kreierte Idealbilder oder Wunschvorstellungen positionieren sich dann gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und aktuellen Forschungsstand - im Zeitalter von alternativen Wahrheiten ein zunehmender Trend.  

Ein Beispiel für solch völkisches Denken mit Wertlegung auf Sippe und nach Blutsherkunft definiertem Stammbaum ist die als Verein registrierte „Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ mit Sitz in Stockstadt in Bayern. Nicht völkisch sondern martialisch kommt die Rocker-Gruppierung „Huskarlar MC“ aus Stralsund daher, in deren Reihen sich laut gerade vorgestelltem Verfassungsschutzbericht auch ausgewiesene Rechtsextremisten tummeln und in deren Clubhaus ein Rechtsrock-Konzert stattfand. Der Name der braun orientierten Biker bezieht sich auf die nordische Mythologie: Huskarlar ist ein Begriff aus dem Altnordischen. Krieger der persönlichen Leibgarde von skandinavischen Adligen oder Königen wurden so bezeichnet. Anknüpfungspunkt ist in diesem Falle neben dem regional-geografischen Aspekt das verkörperte Rollenbild, mit dem man sich identifiziert.

Schaffung einer „historisch-fiktionalen Gegengeschichte“

Irminsul, Thorshammer oder Runen - bei einem Gang über einen Mittelaltermarkt stößt man fast unweigerlich auf solche Insignien, die schon seit langem auch zum Portfolio in rechten Kreisen gehören. Beim Nachspielen historischer Szenen, dem so genannten Reenactment, tauchen immer wieder einmal Embleme und Zeichen auf, die zeitgeschichtlich dort überhaupt nicht hingehören. Dazu zählen auch verwendete Swastika-Motive. Bei den so genannten „Wikingertagen“ in Schleswig wurde im vergangenen Jahr etwa ein achtarmiges Hakenkreuz gezeigt, allgemein bekannt als slawische Kolovrat, und beliebt bei russischen Neonazis. Ulf Ickerodt vom Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein appelliert daher an die besondere Verantwortung, die Darsteller von Living History-Ensembles haben, wenn sie Szenen umsetzen. Solch eine Tagung sieht er als Möglichkeit, aufzuklären und zu sensibilisieren.

Gideon Botsch von der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus der Universität Potsdam beschreibt das auf der Tagung behandelte Phänomen als Schaffung einer „historisch-fiktionalen Gegengeschichte“ durch das rechtsextreme Spektrum.

Wissenschaftler: Deutsche keine direkten Nachfahren der Germanen

Eine fachdetaillierte Handreichung zu der Materie mit Erklärung von Szene-Codes hat bereits im Vorjahr Karl Banghard vom Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen unter dem Titel „Nazis im Wolfspelz“ veröffentlicht. Als weitere hilfreiche Lektüre zum Thema dürfte auch die in diesem Jahr erfolgte Veröffentlichung des Germanisten Georg Schuppener („Sprache und germanischer Mythos im Rechtsextremismus“, Edition Hamouda, Leipzig) dienen. Letzterer stellt klar: Die Deutschen sind keine direkten Nachfahren der Germanen, vielmehr dürfen Einflüsse römischer und griechischer Kultur, aus dem Kelten- und Slawentum sowie aus dem Christentum ebenso stark prägend gewesen sein.

Interessierter, aber wortkarger Tagungsteilnehmer war übrigens Volker Schnurrbusch, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Schleswig-Holstein. Wegen der Übernahme eines Posts von der bayerischen AfD auf die Facebook-Seite der AfD Schleswig-Holstein am 7. März dieses Jahres, bei dem auch ein verbotenes SA-Symbol Verwendung fand, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den 59-Jährigen, der zum besagten Zeitpunkt als Pressesprecher der Partei für den Auftritt im Internet und in den sozialen Medien verantwortlich zeichnete.

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