Braune Terrorzellen

Nach dem Konzept des „führerlosen Widerstandes“ sollen neonazistische Einzelaktivisten oder Kleinstgruppen ohne Befehlstruktur militante Aktionen durchführen.

Montag, 14. November 2011
Anton Maegerle

13 Jahre lang agierte die Neonazi-Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ aus dem Verborgenen. Das laut Eigenbezeichnung so genannte „Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte“ („Der Spiegel) um die Ende Januar 1998 Untergetauchten Beate Zschäpe (Jg. 1975), Uwe Böhnhardt (Jg. 1977) und Uwe Mundlos (Jg. 1973) hat mindestens 10 Menschen kaltblütig hingerichtet, mehrere Dutzend weiterer Personen schwer verletzt und mindestens 14 Banküberfälle begangen.

Dieser „Nationalsozialistische Untergrund“ zeigt erschreckend deutlich auf, dass einzelne Aktivisten und Kleinstgruppen aus braunen Kreisen ein unkalkulierbares Risiko darstellen. Militante Zellen fordern die Aufnahme des bewaffneten Kampfes und sehen sich in einem „Krieg mit dem System“. Inhaftierte Gleichgesinnte werden als „Prisoner of War“ (POW = „Kriegsgefangene“) verehrt.

US-amerikanischer Rechtsterrorist als Vorbild

Das Modell für diesen Krieg ist das vom US-Amerikaner Louis Beam entwickelte Konzept des „führerlosen Widerstandes“ („leaderless resistance“). Bei dieser Strategie ist die Befehlsstruktur abgeschafft, ein zentrales Hauptquartier gibt es nicht, die Einzelaktivisten oder Kleinstgruppen (geheime Widerstandszellen) sollen als „lone wolves“ dann militante und terroristische Aktionen durchführen, wenn die Zeit dafür reif ist. Ganz in diesem Sinne rief der Neonazi Michael Krick Gleichgesinnten zu: „Bildet Zellen nach dem Vorbild des führerlosen Widerstandes“. Krick weiter: „Greift das System und seine Knechte an, wo immer es geht. Auch die, die gegen unsere Rasse vorgehen und sie zu vernichten suchen – Staatsschutz, Staatsanwälte und Richter – haben Namen, Adressen, Familien. Macht ihnen klar, dass wir das ganz einfach nicht mehr dulden. Eurer Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.“

Als Vorbild wird in Neonazi-Kreisen der 2007 in der Haft verstorbene US-amerikanische Rechtsterrorist David Lane verehrt. Lane war Mitglied der kriminellen Organisation „The Order“ (1983 –1985), die unter anderem einen Bombenanschlag auf die Synagoge in Idaho verübte und den jüdischen Rundfunkmoderator Alan Berg (Denver) ermordete. Vom Knast aus gab Lane regelmäßig Interviews für Neonazi-Blätter. Nachdrucke finden sich auch in bundesdeutschen Szene-Publikationen. Lane ist Erfinder des bekanntesten Neonazi-Codes „14 Words“: „We must secure the existence of our people and a future for white children.“ (Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für weiße Kinder sichern.) Der Code wird weltweit von Neonazis als Ergänzung des Codes „88“  (8. Buchstabe im Alphabet: H; 88: HH = „Heil Hitler!“) benutzt.

Kriegserklärung an „das System“

Organisierter Terrorismus nach RAF-Muster dürfte es zwar, soweit absehbar, nicht geben, da sich zwar viele Neonazis als nationale Widerstandskämpfer gerieren, aber letztlich noch vor dem Schritt in den Untergrund zurückweichen.  Zudem fehlt es nach wie vor an einer ausreichenden Zahl intelligenter Führer, die bewaffnete Kleingruppen systematisch steuern könnten und logistischen Voraussetzungen, die für einen aus dem Untergrund heraus geführten Kampf unabdingbar sind. Hinzu kommt, dass eine straff organisierte Terrorgruppe, die Objekte oder Personen angreift, die das „System“ repräsentieren, vom Staat zerschlagen werden könnte.

Gefahr geht allerdings von so genannten ungebundenen Einzeltätern oder Kleinstgruppen – das hat nun der „Nationalsozialistische Untergrund“ auf schreckliche Weise demonstriert – aus, die auf dem Bodensatz der militanten Szene gedeihen. Ihre Gewalt entlädt sich systematisch gegen die „Anderen“. Die Konstellation dafür ist vorhanden: der Hass auf das Anderssein anderer einigt die „lone wolves“, ist ihr Programm, die Gewaltschranken sind niedrig, zunehmend kursieren Waffen und Sprengstoff in dieser Szene, Wehrsportübungen finden statt. Propagiert wird eine kompromisslose und gewaltorientierte Strategie zur Durchsetzung ihrer menschenverachtenden Ziele, die in ausdrücklichen Kriegserklärungen an „das System“, den „Unrechtsstaat“, gipfelt. Diese Szene bringt Fanaltäter hervor,  die mit ihren Aktionen ein Zeichen setzen wollen und sich dadurch verstanden fühlen.

 

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