Braune Kameradschaften. Die neuen Netzwerke der militanten Neonazis (2004)
Ein Überblick über die Szene der so genannten Freien Kameradschaften. Gewalt gehört zum politischen Konzept.
Nach dem im September 2003 vereitelten Sprengstoffanschlag auf die Baustelle der Münchner Synagoge verfuhren Politik und Medien nach bewährtem Muster: Kurze heftige Aufregung, dann tiefes verstocktes Schweigen. Hintergründe wurden nur ausnahmsweise beleuchtet. Zwar bemühte man nicht wie beim Bombenattentat auf das Oktoberfest 1980 die Abwiegelungsthese vom verirrten Einzeltäter, stattdessen verkleisterte der Begriff einer „braunen RAF“ die tatsächlichen Verhältnisse. Keine Untergrundarmee war hier am Werk, sondern die Täter entstammten einem in aller Öffentlichkeit agierenden rechtsextremen Milieu. Die Gruppe um Martin Wiese „konnte sich unter den Augen der Behörden zu einer militanten Organisation entwickeln“, stellen die „blick nach rechts“-Autoren Andrea Röpke und Andreas Speit in ihrem Buch fest, das erstmals einen Überblick über die Szene der so genannten Freien Kameradschaften gibt. Bomben sind kein Ausrutscher, sondern gehören in deren Konzept. Der breiten Öffentlichkeit ist die wahre Dimension des militanten Rechtsextremismus weiterhin nicht bewusst. Aber auch wer nicht gänzlich ahnungslos ist, wird erschrecken über die Befunde, die das Buch ausbreitet. Der Nationalsozialismus ist zu einer mächtigen Welle der Subkultur geworden, die in antisemitischen Ausfällen a’la Hohmann immer wieder auch an die Oberfläche der Mehrheitsparteien spült und in den Leserbriefspalten der Zeitungen gar nicht klammheimliche Zustimmung erfährt. Der Ton, den die Neonazis anschlagen, wird zusehends selbstbewusster. Ihr Einfluss auf Jugendliche wächst beständig: Gewalttaten gegen Ausländer und andere missliebige Bevölkerungsgruppen sind so alltäglich wie von der Polizei geschützte Aufmärsche; „national befreite Zonen“ sind keine Utopie mehr. Doch nicht Parteien wie die NPD, deren Funktionäre nach dem gescheiterten Verbot den Kopf um so höher tragen, spielen bei der Rekrutierung von Anhängern und der Verfestigung neonazistischer Strukturen die Hauptrolle, sondern die „Freien Nationalisten“ der Kameradschaften. In zehn Kapiteln zeichnet das Buch die Topografie eines „kriminellen Netzwerks mit politischem Hintergrund“, das sich über die ganze Republik erstreckt. Die Freien Kameradschaften sind eine „Organisation ohne Organisation“. Ohne Statuten, Mitgliederlisten und Vereinskassen sind sie weitgehend immun gegen staatliche Zugriffe. „Unsere Struktur hat den Vorteil, dass wir nicht miteinander in Verbindung gebracht werden können, wie bei einer Partei“, erklärt Thomas Wulff, einer der Köpfe der Szene. Gleichwohl sind die 160 bekannten lokalen Zellen mit fünf bis 30 Mitgliedern nur scheinbar autonom. Das von Wulff geleitete „Aktionsbüro Norddeutschland“ lieferte das Modell für ihre Vernetzung. Mittels Handy und Internet gelingt es, Demonstrationen mit hunderten von Teilnehmern und konzertierte Flugblatt-Aktionen durchzuführen. Vielfältige Verflechtungen bestehen außerdem mit den Parteikadern der NPD. „Kleine rechtsradikale Inseln strahlen in die Umgebung aus“ Ein Beitrag von Christian Dornbusch und Jan Raabe skizziert die zentrale Rolle, die der Musik bei der Herausbildung der Subkultur zukommt. Das 1987 in Großbritannien gegründete Netzwerk „Blood&Honour“ ist zwar in Deutschland inzwischen förmlich verboten, aber das Gefüge existiert weiter. Im Ausland produzierte CDs werden über etablierte Schmuggelrouten importiert. Der Ruch des Illegalen erhöht noch die Attraktivität von Bands wie der unlängst als „kriminelle Vereinigung“ eingestuften „Landser“. „Eines Tages werden sie sich wünschen, wir würden nur Musik machen“, höhnen die „Terroristen mit E-Gitarren“. Musik ist eine erstrangige Propagandawaffe: „das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen“, wie der verstorbene Gründer von „Blood&Honour“, Ian Stuart Donaldson, sagte. Musik dient nicht nur als emotionaler Kitt der Kameraden, sie lockt auch solche Jugendlichen an, die der mörderischen Ideologie noch fern stehen. Mit 380 Bands, deren Produkte von 30 Firmen verkauft und von 50 Zeitschriften beworben werden, ist „Rechtsrock“ eine kaum zu unterschätzende Macht. „Nationalisten wollen nicht aus der Gesellschaft aussteigen, sondern sie beeinflussen und verändern. Das bedeutet, dass eine befreite Zone nicht nur die materielle Basis unseres Kampfes, sondern auch seine geistige, moralische und seelische Kraftquelle sein muss. Sie muss unsere Nachschubbasis und unsere Heimatfront sein.“ So umschreibt Steffen Hupka das Motiv für den verstärkten Kauf von Großimmobilien. Auf Privatbesitz können rechtsradikale Schulungen, Feiern, Konzerte weitgehend ungestört abgehalten werden. Im Fall des von Hupka erworbenen Schloss Trebnitz bei Halle spürten die Autoren die Geldquellen auf. Sie zeigen, wie desinformiert die Behörden sich geben und wie sich die Nachbarn über die fleißigen jungen Leute freuen, die das alte Gemäuer herrichten. Allenthalben entstehen so „kleine rechtsradikale Inseln, die dann in die Umgebung ausstrahlen“. Und das nicht nur im Osten. Kameradschaften sind eine „Organisation ohne Organisation“ Am Beispiel der ostdeutschen Kleinstadt Anklam verdeutlicht Heike Kleffner das Klima von Ignoranz und Akzeptanz, in dem die rechte Szene gedeihen und blühen kann. Bekennenden Neonazis als Gewerbetreibenden gelingt „der Sprung aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft. Sie schaffen Arbeitsplätze für Gesinnungsgenossen, bedienen aber eine weitaus größere Kundschaft und werkeln am ‘nationalen’ Landidyll.“ Zum Marsch in die Mitte der Gesellschaft gehört auch die Veränderung beim Outfit der „national Gesinnten“, die nicht mehr durch Glatze und Springerstiefel identifizierbar sind. Ein Beitrag widmet sich dieser Neuorientierung bei den „Dresscodes“. Studien zur Rolle der Frauen in den Kameradschaften und zu den internationalen Kontakten runden das Panorama ab. Eingestreut sind Porträts maßgeblicher Figuren der Szene wie Christian Worch. Der in langjährigen Recherchen gesammelte Fundus an Fakten wird in flüssigem Reportagestil dargebracht. Register der Organisationen, Bands und Personen machen das Buch auch als Nachschlagewerk brauchbar. Es sei vor allem denen ans Herz gelegt, die beim Thema Rechtsextremismus sogleich beschwichtigen und relativieren; die Neonazis für eine Randerscheinung der Gesellschaft halten und die Illusion nähren, sie würden von selbst wieder verschwinden.