Braune Familienbande
Für den NSU-Angeklagten André E. könnte es enger werden: Neue Aussagen und Indizien belasten ihn zunehmend. Auch der Zwillingsbruder wird interessanter.
„Ich fahr grad lisl und geri wohin“, die wenigen Worte einer SMS könnten das Neonazi-Ehepaar Sabine E.* (* Name geändert) und André Eminger aus Zwickau verstärkt in Bedrängnis bringen. Denn bei „Lisl“ und „Geri“ handelte es sich um Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt. Am 25. Oktober 2011 informierte Sabine E. ihren Ehemann, der nach einem Arbeitsunfall im Universitätsklinikum in Leipzig lag, über die Fahrt mit den beiden abgetauchten Freunden, die sie mit ihren Tarnnamen nannte. E.s Mobiltelefon loggte sich damals in einer Funkzelle zwischen Zwickau und Schreiersgrün ein. Ob einer ihrer Söhne mit im schwarzen Wagen mit Zwickauer Kennzeichen saß, ist ungeklärt.
Die Handy-Nachricht erhielt besondere Brisanz, weil Böhnhardt am selben Tag zum letzten Mal als Holger G. ein Wohnmobil anmietete. Angestellte der Firma konnten sich an ein Paar mit einem blonden Kind erinnern. Die anschließende Fahrt nach Eisenach führte Böhnhard gemeinsam mit Uwe Mundlos am 4. November 2011 in den Tod. In dem ausgebrannten Wohnmobil fand sich neben ihren Leichen, vielen Waffen auch Kinderspielzeug.
Zeuge belastet Angeklagten schwer
Die vertrauliche SMS der tätowierten Mittdreißigerin und wohl engsten Freundin von Beate Zschäpe könnte ihre Rolle als Helferin im Terrornetzwerk immer offensichtlicher werden lassen Mehrmals erwähnte sie in ihren Kurznachrichten „Max“, „Gerri“ oder „Lisl“. Fast wöchentlich sollen sich die beiden Frauen auch mit den Kindern getroffen haben, gemeinsam erledigten sie Besorgungen oder gingen zusammen aus. Im Haus in der Frühlingsstraße gab Zschäpe Sabine E. als Schwester aus.
André Eminger muss sich als mutmaßlicher Unterstützer des mörderischen NSU seit Mai 2013 vor dem Münchener Oberlandesgericht verantworten. Vergangene Woche belastete ihn der Zeuge Max-Florian B. schwer, als der sich erinnerte, dass Eminger bereits 1998 die drei Abgetauchten in einem der ersten Verstecke in Chemnitz getroffen habe. Auch hätten die immer wieder von Eminger berichtet. Damit scheint der Sachse neben Holger G. einer der beiden längsten Begleiter im Untergrund. Auf einem von Emingers Rechnern fand sich ebenso wie beim Trio ein Verzeichnis mit rund 2900 identischen Dateien, die in Ordnern mit den Namen „Hitlersbilder“ und „Nazibilder“ unterteilt waren.
Am 4. November 2011 starben Mundlos und Böhnhardt in Eisenach, Zschäpe flüchtete gegen 15.00 Uhr aus der brennenden Wohnung in Zwickau. Rund 90 000 Euro ließ sie zurück. Aber einige Bekenner-DVDs des NSU mit den Tatortphotos seiner Opfer steckte sie in ihre Handtasche. Zeitnah muss auch ein unbekannter Helfer in Nürnberg eine DVD genommen haben und in den Briefkasten der „Nürnberger Nachrichten“ eingeworfen haben. Der Brief war nicht frankiert, davon geht das Bundeskriminalamt aus. Gegen halb vier Uhr rief Zschäpe Eminger an. Der nahm kurz ab. Sie sprachen und er schickte eine SMS an seine Ehefrau, die beide sofort löschten. Die Behörden werfen ihr nun vor, die Flüchtende mit sauberer Kleidung versorgt zu haben. Gegen die Ehefrau wurden im Frühjahr 2013 allerdings nur Ermittlungen wegen des Verdachtes der Strafvereitelung eingeleitet.
Sonnenwendfeiern der „Artgemeinschaft“ besucht
Obgleich die Emingers wohl für die bürgerliche Abtarnung der Terrorzelle sorgten, ihnen Bahncards und Aliasnamen zur Verfügung liehen, gibt der Zwickauer im Gerichtssaal den Unbeteiligten. Eminger schweigt ebenso wie Zschäpe und der Angeklagte Ralf Wohlleben. Mit Sonnenbrille und Lederweste mimt der einstige Mitbegründer der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ den Rocker, liest Biker-News und trägt Harley-Pullover. In den Pausen steht er wie ein Lonesome-Cowboy abweisend und rauchend vor dem Gerichtsgebäude. Wenn überhaupt, dann plaudert er mit der Szene-bekannten Verteidigerin des Mitangeklagten, Nicole Schneiders.
Anders als für seinen Zwillingsbruder Maik scheinen für André Eminger weniger Partei – oder offene politische Aktivitäten im Vordergrund gestanden zu haben. Ihn zogen wohl eher konspirative Lebenswelt und braune Geschäfte vor allem mit rechter Musik und Merchandising an. Als er im November 2011 in Brandenburg verhaftet wurde, fanden die Ermittler fast 4000 Euro in bar in einer Plastiktüte neben seiner Schlafstätte.
Die Brüder gelten als völkisch und fanatisch. „Die Jew die“ hat André sich auf den Bauch tätowieren lassen. Beide besuchten mehrmals die Sonnenwendlager der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ von Jürgen Rieger in Thüringen. Anfang 2011 wünschte André dem NSU-Unterstützer Matthias D. in einer Neujahrs-SMS ein „siegreiches“ Jahr, zeichnete mit „1488“ und dem NS-Motto: Du bist nichts, dein Volk ist alles“, während der andere dem Kameraden aus dem Erzgebirge bereits Jahre zuvor ein „siegreiches neues Jahr“ und „deutschland erwache“ zukommen ließ. Brüder, die die rechte Gesinnung teilen, sind auch in Chemnitz keine Seltenheit, sie tauchen im NSU-Verfahren mit Szenenamen wie „die Geklonten“ oder „Kicke und Kacke“ auf.
Der geeignete Helfer im Verborgenen
Im Fall des Angeklagten Eminger war auch die Ehefrau involviert. Über dem Flachbild-TV der Emingers entdeckten Beamte bei einer weiteren Hausdurchsuchung in Zwickau im April 2013 eine Art Schrein. Zwei große Kohlezeichnungen der lächelnden Gesichter von Böhnhardt und Mundlos im braunen Rahmen, verziert mit Todesrunen und dem Wort „Unvergessen“ hingen an der Wand gleich neben den Kinderbildern. Zu Weihnachten verschickte die Familie schon mal Karten mit Hakenkreuzen. Konträr dazu stand dann eine Reise ins Disneyland Paris an, angeblich spendiert vom NSU-Trio.
Eminger schien der geeignete Helfer im Verborgenen. Nebenher pflegte der bullige Neonazi seine weitreichenden Szene-Kontakte. So kannte er nach dem Verbot des „Blood&Honour“-Netzwerks im Jahr 2000 Anhänger der sächsischen Sektion, die weitermachten. Näherte sich Jahre später dem radikalen „Freien Netz“ mit Schwerpunkt in Sachsen und baute Kontakte zu den bikerähnlich-elitären Strukturen der „Hammerskins“ auf. Auch der Zwillingsbruder verließ die Parteistrukturen inzwischen wieder. Zeitweise hatte er den JN-Stützpunkt in Potsdam mit geführt.
Während André Eminger folglich den Kontakt zum NSU-Kern hielt, jedoch keine Aussage dazu macht, belegen immer mehr Indizien, dass er parallel dazu Beziehungen ins militante Lager hatte. So waren etwa 2010 in seinem Telefon unter anderem die Nummern wichtiger Anführer des „Freien Netzes Chemnitz“ eingespeichert. Bei ihm im Schlafzimmer fand sich 2011 eine Sammeldose der „Freien Nationalisten Zwickau“. Die Chemnitzer Gruppe wurde jetzt Ende März vom sächsischen Innenministerium wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten.
Mobilnummer von Chemnitzer Neonazi im Telefonspeicher
Eminger kannte auch „Laschi“, den Begründer von PC Records aus Chemnitz und alten Mundlos-Freund aus Jugendtagen. Die ehemalige Zwickauer Szenegröße Ralf Marschner alias „Manole“ hatte bereits über vage Bekanntschaft zu Eminger ausgesagt. Jetzt tauchen allerdings die Namen von zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter in einer Baufirma bei Eminger auf. In diesem Zusammenhang ermittelte das BKA, weil 2001 – als der NSU in München und Nürnberg mordete – von dieser Baufirma, die auch in Bayern sehr aktiv war, auffällige Fahrzeuge angemietet worden waren, wie die „Süddeutsche“ berichtete. Der damalige Chef Marschner entpuppte sich als Spitzel „Primus“, dessen Akten teilweise 2010 geschreddert wurden und der trotz massiver Drogen- und Geldprobleme vor Jahren in die Schweiz einwandern konnte. Auf die Frage der Ermittler, ob „Primus“ oder seine Mitarbeiter dem Trio Mietwagen zur Verfügung gestellt hätten, soll er geantwortet haben: „Meines Wissens nicht“.
Spannend ist, dass Eminger auch Ralph H. kannte. Dessen Mobilnummer war im Speicher seines Telefons. Der Ausweis des Chemnitzer Neonazis H. fand sich aus bisher ungeklärten Gründen im Brandschutt der Zwickauer Frühlingsstraße. Bisher wurde er vom BKA nur als „verfahrensbekannt“ eingestuft, ein direkter Bezug zum Trio konnte H. nicht nachgewiesen werden. Nun scheint die Verbindung da. Auch mag es kein Zufall gewesen sein, dass das Trio dem „Thüringer Heimatschutz“ angehört hatte, während Ralph H. 2001 Mitbegründer eines „Chemnitzer Heimatschutzes“ war. Zudem belastete ein Neonazi-Zeuge H. letzte Woche im NSU-Prozess: Demnach sei es Ralph H. gewesen, der ihn Ende der 90er Jahre bat, für das abgetauchte Trio aus Jena eine Tarnwohnung in Chemnitz anzumieten. Damit stellt sich die Frage, ob der mutmaßliche Vermittler im Untergrund nicht doch vom Verbleib seines Passes gewusst haben könnte?
Bekannter aus Chemnitzer „Blood&Honour“-Strukturen in Anklam
André Eminger könnte zudem wichtiges Bindeglied zur äußerst konspirativen Szene in Ostvorpommern sein. Traditionell scheint es einen engen Draht zwischen den NPD- und Kameradschaftsaktivisten von der Küste und denen aus Chemnitz zu geben. Doch bisher schien nur bekannt, dass André Eminger noch im Mai 2011 an einer exklusiven Feier des „Kameradschaftsbunds Anklam“ (KBA) in Salchow nahe Anklam teilgenommen hatte, zu der nicht jeder Neonazi Einlass erhielt.
Emingers Telefoneinträge könnten jetzt Ausschluss geben: Ein Bekannter aus Chemnitzer „Blood&Honour“-Strukturen war dorthin gezogen. Der rechtsmotivierte Straftäter mit dem Spitznamen „Inge“ wohnt ganz in der Nähe des stadtbekannten Szene-Treffs in Anklam. Nach der Verhaftung von Andre Eminger im Dezember 2011 soll dessen Zwillingsbruder telefonisch Kontakt zu Ingolf W. in Anklam aufgenommen haben. Der zählte nach dem Verbot von „Blood&Honour“ zum Kreis derjenigen, die zunächst weiter machten. W. stand in Kontakt mit Thomas S., dem Vize-Chef der regionalen Chemnitzer Einheit und Polizeispitzel, der dem Trio beim Abtauchen half. W. kannte alle, wohnte zeitweilig in einer der Neonazi-Wohngemeinschaften im Heckert-Gebiet. In Ostvorpommern dagegen ist wenig bekannt über Ingolf W. Es heißt, er soll in rechte „Musikaktivitäten“ verwickelt sein.
Tatsächlich gab es im Raum Anklam einen starken „Blood&Honour“-Arm. Der „Kameradschaftsbund Anklam“ (KBA) ging daraus hervor, inzwischen tummeln sich seine Mitglieder mit dem „MC Bandidos“ und „Hammerskins“ der Einheit „Pommern“.
Eminger-Brüder kennen „Stefan Skandinavi“
Ein weiterer Eminger-Bekannter verfügt über einen Draht nach Anklam: Martin Wiese. Der 2003 mit Sprengstoff und Waffen aufgeflogene Neonazi-Terrorist aus München stammt ursprünglich aus Ostvorpommern. Seiner terroristischen Vereinigung, der „Kameradschaft Süd“, gehörte auch ein französischer „Hammerskin“ an, der für den bayerischen Verfassungsschutz als V-Mann arbeitete. Zur Waffenbeschaffung fuhren sie gemeinsam nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Einer der Wiese früh kannte, war der NPD-Mann Dirk Bahlmann. Das BKA ermittelte zeitweilig gegen den glatzköpfigen Bauunternehmer. Denn Bahlmann gehört zum Umfeld des „Kameradschaftsbund Anklam“ und soll kürzlich ein Solidaritätskonzert der Thüringer Band „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) in Ostvorpommern organisiert haben. Die Mitglieder der Rechtsrock-Band stehen dem mutmaßlichen NSU-Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben sehr nahe. Die Kreise schließen sich.
Eine Eminger-Connection geht sogar noch nördlicher bis nach Skandinavien. Dort kennen die sächsischen Zwillingsbrüder „Stefan Skandinavi“, wie er im Telefonbuchspeicher hieß. Stephan Günther aus Goslar wohnt in Dänemark, er stand ebenso wie Maik Eminger der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) nah und führt inzwischen das „Nordische Hilfswerk“ an. Diese Gruppe organisiert jährlich Lager mit Geländekampf und Schulungen für skandinavische und deutsche Neonazis. 2011 besuchte er mit Kameraden die NPD-Fraktion im Dresdner Landtag. Deutsche Neonazis werden zum so genannten „Salem-Marsch“ in die Nähe von Stockholm begleitet. Die Szene kennt sich eben.
Günther wiederum kannte die schwedischen und dänischen „Blood&Honour“-Anführer. Deren Versorgungsnetzwerke für Musik und Tonträger waren in Schweden und Dänemark maßgeblich verankert. Der militante Arm der Gruppe wird für politische Morde und Anschläge Ende der 90er Jahre verantwortlich gemacht. 2009 sollte Günther wegen eines bestehenden Haftbefehls an Deutschland ausgeliefert werden.
Verbindung zu militanter Brandenburger Gruppe
Auf dem Computer von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Zwickau fand sich unter anderem auch eine 13-minütige Videodatei vom schwedischen „Salem“-Marsch 2005. Eine andere Datei mit dem Redebeitrag des Neonazis Lutz Giesen heißt „salem2005-lutz“. Der bekannte Aktivist aus Mecklenburg-Vorpommern und Freund von Stephan Günther und Maik Eminger gilt als militant, zeitweilig lebte er in Dänemark.
2008 lud André Emingers Zwillingsbruder Günther und Giesen zum Geburtstag ein. Der damals 34-jährige Giesen wies bereits ein beachtliches Strafregister auf. Dennoch wurde er von der NPD-Fraktion im Schweriner Schloss als Mitarbeiter beschäftigt. Maik Eminger mokierte gegenüber Günther, dass sich „der Sack“ noch nicht gemeldet habe, obwohl er bei der NPD doch „nichts zu tun“ habe. Man einigte sich auf ein Treffen. Kurz danach, im Sommer 2008, telefonierten die beiden Zwillingsbrüder, der eine lebte längst in Brandenburg, der andere war von Chemnitz nach Zwickau umgezogen. Sie flachsten demnach am Telefon und machten subtile Andeutungen über eine mögliche Flucht, bis einer der beiden sagte: „Ne, ich hau’ doch nicht ab, ich mach doch nichts mehr, ich bin doch jetzt lieb.“
Davon kann kaum die Rede sein. Denn eine weitere Verbindung zu einer militanten Gruppe wird offensichtlich: NSU-Unterstützer André Eminger kannte auch den Berliner Neonazi Jan Gallasch. In seinem Telefonbuch werden dessen Verbindungsdaten aufgeführt. Gallasch sorgte im Frühjahr 2012 für Schlagzeilen, als er einen verstorbenen Kameraden mit einem Rucksack voller Waffen in einem Neonazi-Haus in der Prignitz (Brandenburg) vorfand. Der in Weißwasser geborene Gallasch zählte zum 2006 verbotenen „Schutzbund Deutschland“ und dessen Nachfolgerin, der „Bewegung Neues Deutschland“ (BND). Pikanterweise galt Maik Eminger als presserechtlich Verantwortlicher für die „Bewegung Neues Deutschland“, einem mutmaßlichen Pseudonym für die Gruppierungen „Schutzbund Deutschland“ und „Bewegung Neue Ordnung“. 2008 musste er sich vor dem Landgericht Neuruppin wegen Beleidigung verantworten, Zeugen wollen Beate Zschäpe im Gerichtssaal als Zuschauerin gesehen haben. Das könnte möglich sein. Denn das Trio wurde 2011 auch in der Nähe des Wohnhauses des Eminger-Zwillings in Brandenburg gesehen.