Boxen, Wrestling und ein AfD-Parteitag

In Braunschweig findet am 30. November und 1. Dezember der Bundesparteitag der „Alternative für Deutschland“ statt. Streit ist vor allem bei der Wahl des neuen Vorstands zu erwarten. Außerdem soll es um einen Antrag gehen, der die Aufnahme von Ex-Mitgliedern aus Bernd Luckes Partei „Liberal-Konservative Reformer“ ausschließen soll.

Donnerstag, 22. August 2019
Rainer Roeser

Normalerweise kämpfen hier die Spieler der „Basketball Löwen Braunschweig“ um Körbe und Punkte. Doch auch Dariusz Michalczewski und Vitali Klitschko haben in der Volkswagenhalle schon geboxt. Dass es wesentlich ruhiger hergehen wird, wenn sich die AfD am 30. November und 1. Dezember zum Bundesparteitag in der Mehrzweckhalle am Rande des Braunschweiger Bürgerparks trifft, ist noch nicht ausgemacht.

Konfliktpotenzial bietet bereits die turnusgemäß anstehende Wahl eines neuen Bundesvorstands. Björn Höcke hatte beim „Kyffhäusertreffen“ seines „Flügels“ unter dem Jubel seiner Anhänger eine Kampfansage Richtung Berlin geschickt: „Ich kann euch garantieren, dass dieser Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewählt wird!“ (bnr.de berichtete) Zwar ruderte er wenige Tage später wieder ein wenig zurück. Doch seine gemeinsam mit Andreas Kalbitz verfasste Beteuerung, der „Flügel“ stehe „unbenommen sparsamer sachlicher Kritik hinter dem amtierenden Bundesvorstand mit seinen beiden Bundessprechern als demokratisch legitimierte Institution“, wirkte eher wie ein taktisches Manöver. Wie ein Treueschwur, der lediglich seinen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen sollte.

„Flügel“ contra „Gemäßigte“

Auf der Abschussliste des „Flügels“ stehen jene (Noch-)Vorstandsmitglieder, die sich besonders intensiv als Vertreter eines „gemäßigter“ wirkenden Optik gerieren. Parteivize Georg Pazderski gehört dazu, dessen Wahl zum Bundessprecher der „Flügel“ bereits vor zwei Jahren mit Erfolg verhindert hatte. Auf heftigen Widerspruch aus Höckes Lager muss sich auch Pazderskis Vize-Kollege Kay Gottschalk gefasst machen. Der Bundestagsabgeordnete aus NRW ist stets mittendrin statt nur dabei, wenn Nationalkonservative wie er und Rechtsradikale aus Höckes Riege aneinandergeraten.

Alice Weidel hat sich derweil ein wenig aus der Schusslinie gebracht. Mit Höcke hat sie eine Art Nichtangriffspakt geschlossen. Rechtsausleger in der Bundestagsfraktion lässt sie gewähren. Im September ist sie gar beim neurechten Institut für Staatspolitik zu Gast – dort, wo Höcke sein „geistiges Manna“ bezieht, wie er einmal sagte. (bnr.de berichtete) Ihre Vorstandskollegin Beatrix von Storch hat solche Dehnungsversuche nach weit rechts außen noch nicht – jedenfalls nicht erkennbar – gestartet. Wegen ihrer Liebäugeleien mit der „Alternativen Mitte“ bleibt sie erst einmal auf der Negativliste des „Flügels“.

Bundessprecher Meuthen in der Kritik

Auf dessen Stimmen verzichten muss nach Lage der Dinge diesmal Jörg Meuthen, einer der beiden Bundessprecher. Im völkisch-nationalistischen Lager der AfD wird ihm unter anderem sein Auftritt bei einem Landesparteitag in Baden-Württemberg im Februar angekreidet. Rechtsradikale Kräfte hätten keinen Platz in der AfD, erklärte er dort und: „Wer hier seine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausleben möchte, dem sage ich ganz klar: Sucht euch ein anderes Spielfeld für eure Neurosen!“ Sein Standing bei den Partei-Rechtsaußen wurde auch nicht gestärkt, als er jüngst in einem „Sommerinterview“ den mindestens missverständlichen Satz sagte: „Der Flügel ist nicht Teil der AfD.“ Welche Folgen der Liebesentzug durch jenen „Flügel“ haben kann, demonstrierten die Mitglieder seines Heimatkreisverbands, als sie ihn bei der Wahl der Parteitagsdelegierten durchfallen ließen.

Mit dem Mann, der in AfD-Kreisen als potenzieller neuer Ko-Bundessprecher gehandelt wird, könnte Höckes Lager hingegen ganz gut leben: Dem sächsischen Bundestagsabgeordneten Tino Chrupalla, der den 78-jährigen Alexander Gauland ablösen könnte, wird nachgesagt, mit allen, so ganz unterschiedlichen Kräften in der Partei klarzukommen.

Lucke-Partei aus Unvereinbarkeitsliste gestrichen

Eigentlich bietet das Personalgerangel schon genug Konfliktstoff für die zwei Tage in Braunschweig. Doch in den letzten Tagen ist ein weiterer Streitpunkt hinzugekommen. Der Bundesvorstand hat in der vorigen Woche beschlossen, dass Ex-Mitglieder von Bernd Luckes Minipartei „Liberal-Konservative Reformer“ (LKR), die früher als „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) firmierte, wieder problemlos aufgenommen werden können. Rund 2000 Mitglieder zählte die LKR in ihren Hochzeiten. Bei der Europawahl kam die Partei nur auf 0,1 Prozent. Längst sind die Auflösungserscheinungen unverkennbar.

In früheren Versionen einer Unvereinbarkeitsliste der AfD hatte es in einer „Zusatzbemerkung“ ganz am Ende geheißen: „Bewerber, die Mitglied der Partei 'Allianz für Aufbruch und Fortschritt' (sic!) sind oder waren, können nicht Mitglied der AfD werden.“ Das schloss zwar die Aufnahme von LKR/ALFA-Mitgliedern nicht völlig aus, weil der Bundesvorstand über Ausnahmen von der Regel entscheiden konnte. Doch nun wurde der Passus zur Unvereinbarkeit komplett gestrichen – und das, ohne dass es in dieser Frage eine breite parteiinterne Diskussion gegeben hätte.

„Wir möchten die nicht wiederhaben“

Prompt regte sich Widerspruch. Hansjörg Schrade, Sprecher des AfD-Kreisverbands Reutlingen, sammelte 50 Mitzeichner für einen Antrag, der in Braunschweig auf die Tagesordnung kommen soll. „Ehemalige LKR-/Alfa-Mitglieder werden grundsätzlich nicht in die AfD aufgenommen“, heißt es darin. „Wir kennen die meisten von denen, wir möchten die nicht wiederhaben“, meint Schrade.

Erwartungsgemäß wandte sich auch Björn Höckes Thüringer AfD gegen den Beschluss des Bundesvorstands. Bei nur zwei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen votierten die rund 230 Delegierten des Landesparteitags in Arnstadt am Wochenende für eine Dringlichkeitsresolution: „Wir befürchten, dass (...) die Richtungsentscheidung des Essener Parteitags unterlaufen wird. Wir wollen eine wirkliche Alternative bleiben!“ Im Thüringer Landesverband würden auch zukünftig ehemalige Mitglieder der LKR nicht aufgenommen.

„Flügel“ droht mit Abstraf-Aktion

Höcke persönlich hatte für die Resolution geworben. 2015 in Essen sei Luckes Versuch, aus der AfD eine „FDP 2.0“ und einen „Juniorpartner für die CDU“ zu machen, „eine klare und eindeutige Absage erteilt“ worden, betonte Höcke: „Zu dieser Entscheidung stehen wir heute immer noch!“ Zu seinem „Leidwesen“ habe er erfahren, dass nach dem Willen des Bundesvorstands nun LKR-Leute wieder aufgenommen werden könnten, „die keine klare Kante wollen in dieser Partei und diese Partei immer noch auf den Kurs von Lucke zurückdrängen wollen“.

Höckes „Flügel“ droht schon einmal indirekt damit, dass Befürworter des Vorstandsbeschlusses in Braunschweig abgestraft werden könnten: „Fassungslos fragen wir nun nach dem Grund für diese Entscheidung: Welchen Anlass gab es ausgerechnet jetzt für den Antrag, diese Partei von der Unvereinbarkeitsliste zu nehmen? Auf wessen Initiative geht dieser Antrag zurück? Angesichts der bevorstehenden Vorstandswahlen haben die Mitglieder auch ein Recht darauf, zu erfahren, wer genau dafür gestimmt hat und warum jemand meint, dass dies zum Wohle der Partei geschah.“ Die Lucke-Anhänger hätten 2015 die AfD in ihre schwerste innerparteiliche Krise gestürzt, meint der „Flügel“. Fast jeder „dieser Abtrünnigen“ habe die Gelegenheit des Parteiaustritts genutzt, „um in den Medien Stimmung gegen die AfD zu machen“. Von einem einfachen Irrtum könne bei ihnen keine Rede sein: „Hier wurde aktiv gegen die AfD agiert.“

„Klammheimlicher Umbau zur systemgetreuen Partei“

Hansjörg Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion mit ausgeprägter „Flügel“-Nähe, hat den Eindruck, „dass man jetzt versucht, unsere AfD umzubauen in eine systemkonforme Partei“. Zum einen werde versucht, mit Ausschlussverfahren auch solche Mitglieder aus der Partei zu drängen, die lediglich „aufrechte Patrioten“ seien, zum anderen solle die AfD „klammheimlich systemgetreu umgebaut werden“. Auch er sammelt derzeit Unterschriften. Müller will durchsetzen, dass nicht mehr Delegierte das Sagen in der Partei haben, sondern Parteitage stets als Mitgliederparteitage stattfinden müssen.

Auch die benötigte Hallengröße sei nicht das Problem, meint Müller. Zwischen 4000 und 6000 Mitglieder würden zu Parteitagen kommen. „Und für 6000, wenn man den oberen Bereich nimmt, finden wir immer eine Halle.“ Damit könnte er recht haben. Sogar die Braunschweiger Volkswagenhalle würde ausreichen. Sie böte auch mit großer Bühne für die Vorstandsgranden Platz für rund 6350 weitere Teilnehmer. Nebenbei – für turbulentere Auseinandersetzungen, wie man sie etwa beim Mitgliederparteitag 2015 erlebte, wäre sie offenbar ebenfalls geeignet: Neben Basketball und Boxen war dort auch schon Wrestling zu bestaunen. 

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