Voice of Anger
„Billige Tricks“: Kapituliert Staatsregierung vor Neonazi-Konzerten?
Pfingsten tarnen Neonazis ein Konzert mit Bands aus Chile, Mexiko und USA als „Geburtstag“ – jetzt stellt sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hinter die Polizei, die den „billigen Tricks“ von Voice of Anger nichts entgegensetzte – trotz „Freibriefs“ zur Auflösung.
Das Konzert der Neonazi-Kameradschaft Voice of Anger Anfang Juni in Memmingen hat nun ein politisches Nachspiel im Bayerischen Landtag. Während die Polizei das Ereignis trotz internationaler Bands als „private Geburtstagsfeier ohne öffentlichen Charakter“ und ohne Außenwirkung einordnete, stellt sich Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in seiner Antwort auf eine Landtagsanfrage von Cemal Bozoglu (Grüne) hinter diese Bewertung.
Die Veranstaltung im eigenen Clubhaus am 7. Juni war Teil der Reihe „Angry, live and loud“ – ein Format, bei dem Voice of Anger bereits seit Jahren immer wieder Neonazi-Bands aus aller Welt ins Allgäu zieht. Angekündigt waren dieses Jahr Gruppen aus Chile, Mexiko, den USA und Deutschland. Schon im Vorfeld hatte das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die Behörden informiert. Die Stadt Memmingen erließ eine Allgemeinverfügung, die öffentliche Vergnügungen ohne vorherige Anmeldung untersagte – eigentlich ein Freibrief für die Polizei, um das Neonazi-Event aufzulösen.
Staatsregierung gehe „billigen Tricks“ auf den Leim
Doch vor Ort ließen die Beamten die Erklärung des Veranstalters gelten, es handle sich um eine private Geburtstagsfeier. Dass Neonazis seit Jahrzehnten ihre Konzerte unter diesem Vorwand tarnen, ist ein alter Hut – auch im Allgäu. Herrmann rechtfertigt dennoch das Nicht-Einschreiten: Der ausländische Bandauftritt sei „kein hinreichender Anhaltspunkt“, um den öffentlichen Charakter rechtssicher festzustellen. Weil sich der „Charakter einer privaten Feier“ nicht habe widerlegen lassen, habe die Polizei nicht eingreifen können.
Anfragesteller Cemal Bozoglu alarmiert die Antwort. „Die Antwort auf die Anfrage zeigt, dass es die Bayerische Staatsregierung der rechtsextremen Skinhead-Kameradschaft Voice of Anger viel zu einfach macht. Selbst der naivste Bürger kann erkennen, dass der Geburtstag nichts anderes als eine Tarnung ist. Auf solche billigen Tricks dürfen unsere Sicherheitsorgane und auch die Staatsregierung nicht hereinfallen“, kritisiert der Sprecher für Strategien gegen Rechtsextremismus der Grünen-Landtagsfraktion. „Ein Konzert mit vier internationalen Neonazi-Bands im Rahmen einer Europatournee ist keine private Veranstaltung. Auf Basis der Allgemeinverfügung der Stadt hätte es meines Erachtens verhindert werden müssen.“
Fatales Signal an bayerische Neonazis
Dabei hätte es auch abgesehen von den international angereisten Bands einige deutliche Hinweise auf den öffentlichen Charakter der Veranstaltung gegeben. So liegen etwa „Allgäu rechtsaußen“ Fotos vor, die Mitglieder von „Orgullo Sur“, der bekanntesten und beliebtesten Rechtsrock-Band aus Chile, auf der Bühne im Clubhaus von Voice of Anger zeigen. Hinter ihnen ist ein Banner mit dem Motto und dem Datum des nun schon vierten Konzerts der Reihe zu sehen. Es gab eigens bedruckte Trinkbecher, im Internet kursierte ein Sharepic zum Konzert. Doch das „Banner wurde polizeilich nicht festgestellt“, so Herrmann. „Auch strafbare Liedinhalte konnten polizeilich nicht festgestellt werden“. Außerhalb des Geländes indes griff die Polizei einen 21-jährigen Konzertteilnehmer aus Österreich auf, der eine Hakenkreuzfahne schwang.
Dennoch stellt sich Staatsminister Herrmann hinter das Vorgehen des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West und dessen Auffassung, es habe keine Außenwirkung gegeben – und sendet damit ein fatales Signal: Wer seine Neonazi-Events als Geburtstagsfeier ausgibt, kann in Bayern weiterhin weitgehend ungestört auftreten.