Boxberg
Bewaffnete Jagd auf Polizisten – über 14 Jahre Haft für Reichsbürger
Nach 32 Verhandlungstagen im Prozess gegen Ingo K. aus dem Reichsbürger-Milieu hat das Oberlandesgericht Stuttgart den Angeklagten wegen versuchten Mordes in mehreren Fällen zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht blieb damit knapp unter den Forderungen der Bundesanwaltschaft, die für eine lebenslange Haftstrafe plädiert hatte.

Es waren Szenen wie in einem Fernsehkrimi: Im April 2022 hatte sich der damals 54-jährige Ingo K. zwei Stunden lang in seiner Wohnung im badischen Boxberg verschanzt und mit einem Schnellfeuergewehr durch die herunter gelassenen Rolladen auf Polizisten und SEK-Beamte geschossen. Die Polizisten, die seine Wohnung durchsuchen wollten, um ihm eine Waffe abzunehmen, fanden sich im Kugelhagel wieder, ein Beamter wurde durch Schüsse in die Beine schwer verletzt. Der Schütze stammt aus dem Reichsbürger-Milieu, nach seiner Verhaftung stießen die Ermittler auf seinem „Selbstverwaltungsbauernhof“ auf ein begehbares Waffenlager mit mehreren Schusswaffen wie vollautomatischen Gewehren und Maschinenpistolen sowie mehr als 5.000 Schuss Munition.
Nun verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) den früheren Kampfsportler wegen versuchten Mordes in mehreren Fällen zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten. K. musste sich seit Anfang April vor dem OLG in Stuttgart Stammheim u.a. wegen mehrfachen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verantworten.
Polizisten waren für K. „Eindringlinge“
In ihrem Plädoyer Mitte Oktober hatte die Bundesanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen, er habe regelrecht Jagd auf Polizeibeamte gemacht. Nur durch Zufall sei es dabei nicht zu Toten gekommen. Die Strafverfolgungsbehörde plädierte wegen vierfach versuchten Mordes auf eine lebenslange Freiheitsstrafe und forderte die Sicherungsverwahrung für den Angeklagten. Die Generalbundesanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen der besonderen Bedeutung des Falls übernommen, weil die Attacke gegen Polizisten als Vertreter des Rechtsstaats gerichtet gewesen sei.
Neben versuchtem Mord warf die Strafverfolgungsbehörde K. unter anderem gefährliche Körperverletzung und Verstöße gegen das Waffengesetz vor. In einem Beschluss des Bundesgerichtshofs heißt es, K. habe sich entschlossen, „die Polizeibeamten, die er als solche erkannte und als Repräsentanten der aus seiner Sicht nicht existenten Bundesrepublik Deutschland und damit als widerrechtlich handelnde Eindringlinge betrachtete, zu erschießen, um jegliche staatliche Einflussnahme, insbesondere die Sicherstellung der von ihm unrechtmäßig verwahrten Waffen, zu verhindern.“
Verteidigung sieht Notwehr
K.s Verteidiger hingegen sahen die erforderlichen Mordmerkmale nicht erfüllt. Sie bezeichneten das Eindringen des SEK in die Wohnung des Angeklagten als rechtswidrig und „unmittelbar angsteinflößend“. In „Rambo-Manier“ seien die Beamten auf das Gelände und zum Haus ihres Mandanten vorgedrungen. K. sei in Panik geraten und habe aus Notwehr geschossen. Aus diesem Grund müsse er vom Vorwurf des versuchten Mordes freigesprochen werden, denn er habe nicht aus Heimtücke gehandelt, sondern in einer psychischen Ausnahmesituation, erklärte seine Anwältin vor Gericht. Der Beschuldigte hatte in dem Prozess zugegeben, geschossen zu haben, und erklärt, es sei ihm jedoch nicht bewusst gewesen, wer vor der Tür gestanden habe. In seinen abschließenden Worten vor Gericht bat er um Entschuldigung für sein Verhalten.
Die Ermittlungen gegen K. waren innerhalb kurzer Zeit das zweite Verfahren gegen Reichsbürger, das Generalbundesanwalt Peter Frank an sich gezogen hatte. Er hatte bereits im Juli vergangenen Jahres eine neue Linie der Strafverfolgungsbehörde erläutert. Beim Presseempfang der Bundesanwaltschaft hatte er erklärt, die Brutalität der Reichsbürger-Szene und ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien massiv gestiegen. Zwar habe in Georgensgmünd schon 2016 ein Reichsbürger einen Polizisten erschossen, die heutige Szene sei mit der damaligen aber nicht mehr vergleichbar.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.