Gerichtsverhandlung

Beinahe Haftstrafe für ehemalige NPD-Spitzenfunktionärin

150 Tagessätze Geldstrafe zu 15 Euro verhängte gestern das Amtsgericht Bamberg gegen die ehemalige Spitzenkandidatin der bayerischen NPD, Sigrid Schüßler. Sie hatte sich bei einer Rede Anfang 2016 der Volksverhetzung schuldig gemacht. Die Staatsanwaltschaft hatte eine sechsmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung gefordert.

Freitag, 03. März 2017
Thomas Witzgall
Schüßler bei der angeklagten Rede in Bamberg am 30.Januar 2016 (Archivbild)
Schüßler bei der angeklagten Rede in Bamberg am 30.Januar 2016 (Archivbild)

Grundlage für das juristische Nachspiel war ein Auftritt von Sigrid Schüßler bei einer Veranstaltung der Partei Die Rechte in Bamberg am 30. Januar 2016. Die Kundgebung war auch eine Art Antwort der neonazistischen Organisation auf die Ermittlungen und Verhaftungen einiger Kader nach der Razzia im vorausgegangen Herbst. Der Landesvorsitzende Hasselbach zeigte sich unbeeindruckt und bekundete seine Solidarität mit den Inhaftierten. Weitere Versammlungen würden folgen. Wahr gemacht hat er diese Drohung bislang jedoch nicht.

Für Schüßler war die Veranstaltung Gelegenheit, über ihre Sicht auf die „Flüchtlingskrise“ zu sprechen, befeuert durch die Ereignisse der Silvesternacht von Köln und anderen Orten. Sie sprach dabei von jungen, gefährlichen, männlichen Flüchtlingen als „Testosteronbomben“, die zum Jahreswechsel nicht anderes getan hätten, als das „wofür sie hier“ seien, also ein gewisse Bestimmung andeutend. Das Ziel dieser Männer sei laut der ehemaligen Bundesvorsitzenden der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“ nicht nur die individuelle Belästigung und Erniedrigung ihrer Opfer, sondern der Aufbau einer anderen staatlichen Ordnung ohne „deutsches Gesicht“. Deshalb sei dies alles auch geplant, organisiert und abgesprochen worden.

Wenn Populismus auf einen erfahrenen Richter trifft

Um diese Passagen dreht sich dann auch die Diskussion in der Verhandlung. Der Wortlaut des Gesagten war durch eine Tonbandaufzeichnung unstrittig. Laut Staatsanwaltschaft hätte sich die studierte Schauspielerin auf muslimische Einwanderer generell bezogen, die Verteidigung wollte die Worte auf die Täter der Silvesternacht und ausländische Sexualstraftäter generell begrenzt wissen, denn für den Straftatbestand der Volksverhetzung braucht es eine nach gewissen Merkmalen klar abgrenzbare Gruppe innerhalb der inländischen Bevölkerung, gegen die aufgehetzt wird.

Mit Aussagen wie: Sie halte nicht alle muslimischen Flüchtlinge für Straftäter und Taten wie in Köln würden auch Deutsche begehen, versuchten Schüßler und ihre Anwältin Gisa Pahl noch die Situation zu retten. Worte, die auf Veranstaltungen höchst selten von ehemaligen und aktuellen NPD-Funktionären zu hören sein dürften. Aber auch das half nichts. Der Richter fand laut seiner Urteilsbegründung keinen Anknüpfungspunkt für die Version der Rechtsextremistin.

Auswah von Kommentaren auf der Facebook-Seite von Sigrid Schüßler unter der Prozessankündigung
Auswah von Kommentaren auf der Facebook-Seite von Sigrid Schüßler unter der Prozessankündigung

Eben solches Stirnrunzeln riefen auch seine weiteren Nachfragen hervor. Wie sie das mit dem „geplant und organisiert“ gemeint habe, wollte er mehrfach wissen und lies sich auch durch ihr eingeworfenes „mit Handy und Smartphone“, mit dem ja „jeder Flüchtling ausgestattet werde“, nicht überzeugen. Mit „Staat“ wollte sie den IS gemeint haben, was ebenfalls nicht zum tatsächlich Geäußerten passen wollte. Wenn in vielen Städten am gleichen Tag Ähnliches passiere, dann sehe das für sie organisiert aus und könne kein Zufall mehr sein, so ein letzter Klärungsversuch. In ihrer Rede hatte sie mit Blick auf die Gegendemonstranten und ihre Parole „Refugees welcome“ noch von Zuarbeitern einer „Neuen Weltordnung“ gesprochen. Entsprechende Verschwörungstheorien kursieren in der rechten Szene, Stichwort „Hotton-Plan“ oder etwa auch „Der große Austausch“.

Schüßler verteidigt sich mit „RTL2 Unterschichtenfernsehen“, Alice Schwarzer und Broder

Entkräften wollten Pahl und Schüßler auch noch das Wort von den „Testosteronbomben“. Dazu zitierten sie etwa den Publizisten Henryk M. Broder, der dieses Wort mit Blick auf Anti-Israel-Demonstranten benutzt habe. Auch suche etwa die Bachelorette aus dem „RTL2-Unterschichtenfernsehen“ neue Testosteronbomben für die Sendung, wobei sie in der jungen Staatsanwältin gewisse Ähnlichkeiten zur Fernsehfrau sehen wollte. Auf ein gewisses Wohlwollen war Schüßler an dem Tag offenbar nicht aus.

Ihre Äußerungen seien nicht mehr als zugespitzte Kritik an der Flüchtlingspolitik gewesen und gingen nicht über das hinaus, was etwa Alice Schwarzer oder die Gewerkschaft der Polizei über Straftaten, besonders sexuelle Übergriffe von Flüchtlingen, angeblich gesagt haben sollen, so Rechtsbeistand Pahl. Im „Lichte der Meinungsfreiheit“ forderte sie einen Freispruch. Die Staatsanwältin sah dagegen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten als straf- und schuldangemessen an. Der zunächst ausgestellte Strafbefehl hatte noch eine Höhe von 120 Tagessätzen.

Der Richter begründete den Wechsel von Freiheits- auf Geldstrafe vor allem damit, dass er Schüßler zugute hielt, sie habe sich frei sprechend und ohne Notizen durch die Ereignisse von Köln möglicherweise vergaloppiert und lasse sich auch die hohe Geldstrafe eine Lehre sein. Ein Einschätzung, die nur schwer mit der Vita einer studierten Schauspielerin und ehemaligen Spitzenfunktionärin der NPD in Einklang zu bringen ist.

Mit der Rechtskraft des gestrigen Urteils würde die ehemalige NPD-Funktionärin auch landläufig als vorbestraft gelten. Obwohl sie sich nach momentanen Angaben auf Gerichtstour befindet, weist ihr Eintrag im Bundeszentralregister keine Einträge auf. Bis es zur Rede von Bamberg ein rechtskräftiges Urteil gibt, dürfte ebenfalls noch Zeit vergehen. Zur Verhandlung vor dem Amtsgericht waren ein halbes Dutzend Unterstützer erschienen, darunter der noch unter Lucke aus der AfD ausgetretene Mathias R., der bei Pegida Nürnberg mitmarschiert war und schon früher Kontakte zur ehemaligen NPD-Frontfrau unterhielt.

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