8. Januar

Bauernproteste und Umsturzfantasien

Das Rechtsaußen-Spektrum mobilisiert auf breiter Front zur Unterstützung der Bauernproteste. Der Bauernverband hat sich zwar distanziert – das stört die rechte bis neonazistische Szene aber wenig. Man hofft auf ein Ende der Ampelkoalition, Neuwahlen und einen Umsturz.

Freitag, 05. Januar 2024
Michael Klarmann
Rechtsextreme Gruppen und Parteien mobilisieren ebenfalls zur Teilnahme an den Protesten am 8. Januar bzw. organisieren eigene Aktionen
Rechtsextreme Gruppen und Parteien mobilisieren ebenfalls zur Teilnahme an den Protesten am 8. Januar bzw. organisieren eigene Aktionen

Am Donnerstag überschlugen sich die Ereignisse: Die Bundesregierung gab bekannt, dass sie geplante Subventionskürzungen und das Ende einiger Steuerbefreiungen für land- und forstwirtschaftliche Betriebe teilweise ganz zurücknehmen, teilweise aber auch nur in mehreren langfristigen Schritten umsetzen will. Nahezu zeitgleich blockierten über hundert Landwirte die Rückreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck nach einem privaten Kurzurlaub. Sie belagerten am Donnerstagabend den Anleger des Fährhafens Schüttsiel. Die Landwirte ließen Habeck nicht an Land, wollten zu Beginn sogar die Fähre entern.

Die Stimmung war so aufgeheizt, dass die Polizei kurzzeitig Pfefferspray einsetzen musste. Am Ende musste die Fähre wieder ablegen – an Bord aus Sicherheitsgründen immer noch der Vizekanzler. Auslöser für die Protestaktion waren Postings in den sozialen Medien sowie auf Telegram-Kanälen und in Chats auch der extrem rechten Szene gewesen. Darin war zum Teil detailliert über Habecks Rückreise informiert sowie verklausuliert oder ganz offen zu Störaktionen aufgerufen worden.

„Verrohung der politischen Sitten“

In eben jenen Filterblasen feierte die Protestszene später diesen Erfolg der Landwirte euphorisch. Auf Facebook postete aber auch die AfD Euskirchen hämisch: „Habecks Urlaub ist vorbei. Das Urlaubsfeeling dürfte schnell verflogen sein!“ An der Spitze des sich weiterhin bürgerlich darstellenden Kreisverbandes stehe ein Unternehmer, ein Lehrer an einem erzbischöflichen Gymnasium und ein Oberstleutnant a.d.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit kritisierte die Protestaktion und diese Eskalation in Schüttsiel auf der Plattform X scharf: „Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein.“ Die Blockade von Habecks privater Ankunft im Fährhafen sei „beschämend und verstößt gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders“, postete Hebestreit. Längst scheinen sich die Bauernproteste durch Trittbrettfahrer aus dem bürgerlichen und extrem rechten Spektrum verselbstständigt zu haben.

Die Macht der Influencer

Der Bauernverband wird also die Geister, die er rief, nicht mehr los – wenngleich er sich förmlich davon distanziert. Unterschätzt zu haben scheint man die Dynamik und neuen Netzwerke von Influencern und Medienaktivisten aus dem Bereich der Landwirtschaft oder dem unternehmerischem Umfeld. Deren neu gewonnene Macht und Reichweite in den sozialen Netzwerken war schon bei der Fluthilfe im Ahrtal spürbar. Jener Kreis aus Unternehmern und Aktivisten ist nicht nur mit Bauern und deren Verbänden verwoben, besagter Kreis hat zuweilen selbst die Nähe zum rechten Spektrum nicht gescheut oder sogar gesucht.

Angesichts der kurz vor Weihnachten einsetzenden Bauerndemonstrationen und Straßenblockaden war das aus der Pandemie hervorgegangene Protestmilieu aus Verschwörungsgläubigen, Querdenkern, Rechten bis Rechtsextremen, AfD-Anhängern und Reichsbürgern zunächst völlig euphorisiert. Das in Westdeutschland eher isolierte und im Osten deutlich schlagkräftigere Protestspektrum vermittelt seitdem das Bild, man wolle sich an den ab dem 8. Januar weiter anwachsenden Bauernprotesten beteiligen. Teilweise hofft man, diese in einigen Regionen zu majorisieren, die Deutungshoheit zu gewinnen und äußert erneut Umsturzfantasien.

Generalstreik auch für „Arbeitssuchende“

Bereits kurz zuvor waren aus diesem Spektrum bundesweite, jedoch eher irrelevante und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene „LKW-Demos“ gegen die Erhöhung der LKW-Maut zum 1. Dezember initiiert worden. Angesichts der massiven Proteste der Landwirte, die einen zumindest vagen Weihnachtsfrieden einhalten wollten, war die Szene aber auch sprichwörtlich zwischen den Jahren aktiv. Da die Bauern für den 8. Januar einen großen Protesttag mit anschließender Aktionswoche ankündigten, rief die Szene unisono zum Generalstreik auf und forderte alle Bürger dazu auf, an diesem Tag die Arbeit zu verweigern – selbst „Arbeitssuchende“ und Rentner sollten das machen.

Diese Gemengelage ist nicht zu unterschätzen, das gemeinsame Feindbild bei allem ist die Bundesregierung und die Ampelkoalition. Hauptgegner sind aber SPD und die Grünen. Da weite Teile der Bevölkerung und insbesondere ein sich radikalisierender Mittelstand sowie eine ebensolche Mittelschicht Kanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Habeck „weghaben“ wollen, hofft das Protestmilieu und die rechtsextreme Szene einmal mehr – siehe die Proteste gegen die Corona-Schutzimpfungen und die Impfpflicht – breite Bevölkerungsschichten ansprechen zu können.

„Bauernaufstand“ gegen „Great Reset“

Im rechten bis rechtsextremen Spektrum mobilisieren nahezu alle Gruppen, Akteure und Parteien zu den Bauernprotesten, zum Generalstreik und zu Solidaritätsaktionen. So mobilisierte die ehemalige NPD in Lüneburg mit dem Bild eines vermummten Aktivisten der „Kampfgemeinschaft Lüneburger Heide“ und dem Hashtag aka Slogan, es gelte, nun die Lüneburger Heide zu „verteidigen“. Einer der führenden Identitären, Martin Sellner, griff eine zunächst aus dem verschwörungsideologischen Spektrum verbreitete Parole auf. Der „Bauernaufstand“ richte sich gegen den „Great Reset“, so Sellner via Telegram.

Der Cottbuser AfD-Chef Jean-Pascal Hohm mobilisiert via Instagram zu einem Autokorso und einer Demonstration am 8. Januar. Motto: „Ampel abschalten[!]“. In AfD-Kreisen wird zudem ein ikonisches Sharepic verbreitet, das große Traktor-Kolonnen und jubelnde Menschenmassen am Straßenrand zeigt. Menschen und landwirtschaftliches Gerät sind mit zahlreichen Deutschlandfahnen ausstaffiert. Motto: „Der Tag der Wende! Deutschland steht auf!“ Der demonstrationserprobte AfD-Politiker Karsten Hilse, vor Jahren noch als Polizeibeamter im Einsatz, will dem sächsischen Landtagspräsidenten geschrieben haben. Er könne nicht zum Neujahrsempfang am 8. Januar kommen, weil er dann „mit den Bauern in Berlin auf der Straße“ sei.

AfD inszeniert sich als Bauernpartei

Erstaunlich an diesen Protesten und dem Aufruf zum Generalstreik ist, dass weder Gewerkschaften noch linke Bewegungen dazu aufrufen, sondern beispielsweise die in Teilen auch wirtschaftsliberal und adelig geprägte AfD sowie Unternehmer. Die AfD, die eigentlich eher für den freien Markt und gegen Subventionen eintritt, stilisiert sich in dieser Gemengelage unterdessen zu einer Art Bauernpartei.

In Sachsen mobilisiert die AfD zur Teilnahme an den Protesten
In Sachsen mobilisiert die AfD zur Teilnahme an den Protesten

Bereits am 23. Dezember sah sich der Bauernverband wegen all dem offenbar genötigt, in den sozialen Netzwerken zu verkünden: „Demonstrieren? Ja. Aber wir stehen für friedlichen und demokratischen Protest! In aller Deutlichkeit distanzieren wir uns von extremen Randgruppen, die unsere Aktionswoche kapern wollen. Nicht mit uns!“ Kritiker wiesen darauf hin, dass manche Vertreter der Landwirtschaft, des Handwerks und des Transportgewerbes seit langem mit dem beschriebenen Protestmilieu und der AfD sowie den Freien Wählern anbändeln oder kooperieren.

Der gestörte Weihnachtsfrieden

Bereits an den Weihnachtstagen war die Lage unübersichtlich geworden. Während die Bauern zumindest teilweise noch ihren Weihnachtsfrieden hielten, kursierten in den Chats der beschriebenen Protestszene(n) und von Seiten der AfD bereits unzählige Aufrufe zu eigenen Versammlungen bis zum 8. Januar und für den Tag selbst. Landwirte, Spediteure und Handwerker wurden aufgerufen, sich anzuschließen. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es nicht nur Anfang 2024 ein undurchschaubares Protestgemenge geben würde, sondern dass ein solches bereits aktiv war und das Bild nach Außen hin dominieren wollte.

Die Mobilisierung des rechten bis neonazistischen Spektrums ist dabei umfassend. Alle Parteien, alle rechts-„alternativen“ Medien und Medienaktivisten sowie nahezu jede noch so kleine Splittergruppe mobilisieren. In der Neonaziszene kursiert dabei eine andere Version des Bildes mit den Trecker-Kolonnen und den Menschen am Straßenrand. Hier dominieren schwarze Fahnen das Bild, ein Relikt des Nationalen Widerstandes und lange Zeit prägend für neonazistische Aufmärsche. Dazu der Spruch: „Wer die Bauern nicht ehrt, ist Brot und Bier nicht wert!“

„Reichstagstreppen als Biergarten“

In ähnlicher Optik wie die Neonazis, nur eben in modernerer Aufmachung und in den neuen Parteifarben ruft auch die ehemalige NPD, jetzt Die Heimat, zur „Solidarität mit unseren Bauern“ auf. Die rechtsextremen „Freien Sachsen“ mobilisieren hingegen gezielt für eine Demonstration in Dresden unter dem Motto „Tag des Widerstandes. Alle auf die Straße“. Der Telegram-Kanal „Stuttgart Widerstand“ – der seine Propaganda angeblich nur unter dem Label „Satire“ verbreitet – mobilisiert hingegen zu allen Protesten mit dem Hinweis, man demonstriere gegen einen „Vernichtungs-KRIEG gegen UNS ALLE!!“

Weniger dramatisch und salopper formuliert es dagegen der Rechtsextremist und Antisemit Nikolai „Volkslehrer“ Nerling auf seinem Telegram-Kanal – nicht ohne eine Anspielung auf den „Sturm auf den Reichstag“ im Jahr 2020. „Also, erhebt eure Ärsche, packt euren Bollerwagen mit Bier voll und Abmarsch […] zu den Protesten“, schreibt Nerling. Denn: „Möglicherweise bieten sich ja die Reichstagstreppen als Biergarten an.“

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