Proteste von Landwirten

„Bauernproteste“ – Landwirte als Opfer des „Great Reset“

Die Proteste niederländischer Landwirte werden von deutschen Rechtsextremen mit großer Euphorie beobachtet. Spätestens seitdem die Proteste auch auf Deutschland übergegangen sind, versucht man sie aktiv zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren.

Mittwoch, 13. Juli 2022
Florian Schäfer
Es dauerte nicht lange bis versucht wurde, die "Great Reset"-Erzählung auch auf die Bauernproteste zu übertragen, Foto: Screenshot
Es dauerte nicht lange bis versucht wurde, die "Great Reset"-Erzählung auch auf die Bauernproteste zu übertragen, Foto: Screenshot

Seit Wochen protestieren niederländische Landwirte gegen geplante Verschärfungen von Umweltauflagen. Nachdem der „Hoge Raad der Nederlanden“, das oberste Gericht, die Regierung 2019 zur Einhaltung der Grenzwerte für den Stickstoff-Ausstoß mahnte, beabsichtigt diese nun den Ausstoß der Emissionen bis 2030 um durchschnittlich 50 Prozent zu reduzieren. Da dieser Schritt nach Angaben der niederländischen Regierung das Ende von 30 Prozent der Vieh-Betriebe bedeuten könnte, tragen derzeit Bauern ihren Unmut auf die Straße.

Begann der Protest Mitte Juni noch relativ friedlich, scheint sich die Lage im Nachbarland immer weiter zuzuspitzen. Auf die Blockade von Autobahnen und Logistikzentren folgte das Legen von Bränden sowie die Bedrohung von Politiker:innen. Letzte Woche sah sich die Polizei sogar zum Schusswaffengebrauch gegenüber Protestierenden genötigt – verletzt wurde jedoch niemand. Laut der niederländischen Anti-Terrorismusbehörde beobachte man zudem, dass sich zunehmend gewaltbereite Gruppierungen an den Protesten beteiligen. Rechte Parteien wittern die Chance, nach dem Corona-Lockdown auf dem Rücken der Bauernproteste Politik zu machen. Aber auch in Deutschland beobachten extrem rechte Akteure die derzeitigen Entwicklungen voller Euphorie. Mehr noch: Man versucht die Proteste zu vereinnahmen und sie für die eigene politische Agenda zu instrumentalisieren.

Die Umweltauflagen als „weitere[r] Durchsetzungsakt der Globalisten“

Dies ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass sich innerhalb der letzten Woche auch in Deutschland Landwirte zu Protestaktionen auf Autobahnbrücken und an Bundesstraßen zusammengefunden haben. Zum einen, um ihre Solidarität mit ihren niederländischen Kolleg:innen auszudrücken. Und zum anderen, weil sie aufgrund eines am Freitag vom Bundesrat getroffenen Beschlusses ebenfalls strengere Düngeregeln und damit eine empfindliche Einschränkung ihrer Tätigkeiten befürchten. Dabei ist eine Deutung der Situation durch Rechtsextreme immer wieder zentral: Die Einbettung in die antisemitische Verschwörungserzählung eines „Great Reset“, nach der eine „globale Finanzelite“ planen würde, die derzeitige Weltwirtschaftsordnung zurückzusetzen, was angeblich eine vollständige Kontrolle und Lenkung der Bevölkerung ermöglichen soll.

Die Kleinstpartei versucht regelmäßig auf Protestformen aufzuspringen, die sich gegen die Regierung richten. Foto: Screenshot
Die Kleinstpartei versucht regelmäßig auf Protestformen aufzuspringen, die sich gegen die Regierung richten. Foto: Screenshot

Auf den Punkt gebracht wurde diese Deutung am Montagabend in einer Sprachnachricht durch den österreichischen Identitären Martin Sellner. Nach ihm seien die niederländischen Umweltauflagen ein „weitere[r] Durchsetzungsakt der globalistischen Elite“. Hierbei konstruiert er einen Zusammenhang zwischen Migrations-, Klima- und Corona- bzw. Gesundheitspolitik. Während ersteres, ein vermeintlicher „Bevölkerungsaustausch“, für ihn immer noch als wichtigstes Instrument der „Globalisten“ gilt, soll mit zweiterem die Deindustrialisierung erzwungen und das Land gezielt für „Krisen wie Kriege“ anfällig gemacht werden. Nachdem man durch die Corona-Politik die Wirtschaft zerstört und Protest „illegalisiert“ habe, würde nun die „brutalste ökonomische Waffe und Form der Globalisten“ zur Anwendung kommen: Angeblich greife man die „direkte Versorgungslage“ an.

Die Wahrheit über den „kommunistischen Weltstaat“ aufdecken

Sellner unterstellt dabei, dass die europäische Landwirtschaft mit Vorsatz in den Ruin getrieben wird – inklusive einer daraus potentiell folgenden Hungersnot. Profiteure dieser Zerstörung sind in seinem Weltbild freilich die USA sowie „Bill Gates und seine Oligarchenclique“. Nach ihm würden sich diese ein „globales Monopol auf Überleben“ aufbauen. Ideologisch konsequent kommt der Identitäre auch nicht umhin, sich bei seinen Ausführungen in rassistischen Ausführungen über „massenhaft fremde afroarabische Jungmänner“ zu verlieren, die er zögerlich als „nutzlose Esser“ bezeichnet.

Das neurechte Projekt "Filmkunstkollektiv" begleitete die Bauernproteste in den Niederlanden und teilweise auch in Deutschland, Foto: Screenshot
Das neurechte Projekt "Filmkunstkollektiv" begleitete die Bauernproteste in den Niederlanden und teilweise auch in Deutschland, Foto: Screenshot

Das im antisemitischen Gedankengebäude typische Narrativ eines vermeintlich „kommunistischen Weltstaats“ zeigt sich auch bei seinen identitären Gesinnungsgenossen des „Filmkunstkollektivs“, welches von dem „Ein Prozent“-Aktivisten Simon Kaupert mitgegründet wurde. Seit letztem Wochenende begleiten diese die niederländischen Proteste und inszenieren sich dabei auf ihren Social-Media-Kanälen als Verbündete der Protestierenden – schließlich wird der Kampf der Bauern gegen die Umweltauflagen auch als eigener Kampf begriffen. Es gelte „über die Wahrheit zu berichten und andere Mutige aus ihrer Lügenwelt“ aufzuwecken. Finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit erfahren sie dabei durch den AfD-Bundestagsabgeordneten Hannes Gnauck.

Sachsen als Hotspot rechtsextremer Vereinnahmungsversuche

Vereinnahmungsversuche seitens Identitärer gab es auch bereits in Sachsen. So posierten Leipziger Rechtsextreme am Sonntag auf einer Autobahnbrücke. Auch hier wurde auf einem Banner vor dem „Great Reset“ und einem „Großen Austausch“ gewarnt. Ebenfalls in Sachsen vorne mit dabei: die rechtsextreme Kleinstpartei der „Freien Sachsen“ um den Anwalt und „Pro Chemnitz“-Gründer Martin Kohlmann. Nach dem Krieg in der Ukraine versucht man nun auch die Bauernproteste als Thema zu besetzen. Genau wie der Krieg sollen diese „in Sachsen mit den dauerhaften Protesten gegen die Regierung verknüpft“ werden – wobei die Regierung einen Satz weiter in einer für sie typischen Weise als „Regime“ delegitimiert und diskreditiert wird.

Während sich Identitäre und „Freie Sachsen“ bis jetzt vor allem nach außen als Mitstreiter der deutschen Bauern präsentieren, hat sich an anderer Stelle in Sachsen bereits ein Rechtsextremer in die Mitte der Proteste begeben. So begleitete der Neonazi Jan Häntzschel, der in der Vergangenheit vor allem als Funktionär der mittelsächsischen NPD auffällig wurde, die am Sonntag stattgefunden Proteste in Grimma als Streamer. Brisant ist dabei, dass Häntzschels Präsenz bei den Protesten in Verbindung mit dem sächsischen Ableger der bäuerlichen Interessenvertretung „Land schafft Verbindung“ zu sehen ist, für die er auch als Redner in Erscheinung tritt.

Die Bauern als (national-)revolutionäres Subjekt

Überraschenderweise ist – von den „Freien Sachsen“ abgesehen – aus Richtung anderer extrem rechter Parteien zu den deutschen wie niederländischen Bauernprotesten wenig bis gar nichts zu vernehmen. Die NPD, der „Dritte Weg“ sowie die „Neue Stärke Partei“ lassen bis jetzt mit einer offiziellen Stellungnahme auf sich warten. Lediglich einzelne AfD-Mitglieder haben sich positioniert. So unter anderem der agrarpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Ralf Stadler. Alarmistisch sieht er die „Lebensmittelversorgung in Europa […] dank der herrschenden Politik und der Vorgaben aus Brüssel nicht mehr gesichert.“ Dem Protektionismus verhaftet fordert er die Stärkung der deutschen Landwirtschaft und „höhere Zölle für importierte Agrarprodukte“. Natürlich lässt auch er die Chance nicht aus, sich und die Partei zu profilieren: Einzig und allein die AfD würde „an der Seite unserer Bäuerinnen und Bauern“ stehen.

Eine weitere mit den Protesten verbundene Hoffnung rechter Kreise lässt sich exemplarisch an einer Stellungnahme des rechtsextremen Compact-Magazins von Dienstag aufzeigen: So werden die Bauern an vielen Stellen zum (national-)revolutionären Subjekt stilisiert. Wie man an die Niederlanden erkennen könnte, hätten Bauern das Potential, „fast das gesamte Land“ lahmzulegen. Vor allem sie würden „gegen diesen links-grünen Klimawahn“ aufbegehren. Verbunden ist dies mit der Hoffnung, dass sich die Qualität der Proteste, ein landesweiter „Bürgeraufstand“, auch auf Deutschland überträgt. Das Landvolk würde sich bereits sammeln und für die Proteste bereitstehen. Aber auch hier sind Verweise auf den „Great Reset“ nicht zu übersehen. So fragt Autor Lars Poelz suggestiv, ob „die Eurokratur tatsächlich an der kompletten Zerstörung unseres Landes interessiert“ sei, und liefert auch prompt darauf die Antwort: „Immer absurdere Maßnahmen deuten leider daraufhin.“

Im betrachteten Zeitraum waren die AfD-Stadträt*innen in der Ratsversammlung regelmäßig aktiv und haben sich am kommunalpolitischen Betrieb beteiligt. Als gewöhnliche Oppositionspartei, zu deren Aufgaben die Kontrolle der Stadtverwaltung gehört, kann die Leipziger AfD dennoch nicht beschrieben werden. Zu klar lässt sie immer wieder ihre über die Grenzen demokratischen Streits hinausgehende Frontstellung gegen alle anderen Parteien erkennen, verwechselt Politik mit der Führung eines Wirtschaftsunternehmens und lehnt Debatten als unnützes Gerede ab. Eine klare Linie der Parteiarbeit ist zudem nicht auszumachen. Insgesamt ist jedoch eine Kluft zwischen Zurückhaltung bis Desinteresse im Plenum und Aggressivität und Polemik in sozialen Medien sowie auf der Partei-Webseite zu bemerken.

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