Ausschreitungen in Großbritannien – eine Analyse zu Eskalationsfaktoren

Die Ausschreitungen in Großbritannien nicht nur von gewaltorientierten Rechtsextremisten folgen einer gewissen Strategie, welche auch in Deutschland bezüglich der Eskalationsfaktoren mit niedrigerer Gewaltdimension auszumachen war. Dabei lassen sich drei Ebenen mit unterschiedlichen Protagonisten und Zielgruppen unterscheiden.

Freitag, 09. August 2024
Armin Pfahl-Traughber
Rechte Proteste, zu denen es nach dem Tötungsdelikt in Southport auch in Manchester kam, Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andy Barton
Rechte Proteste, zu denen es nach dem Tötungsdelikt in Southport auch in Manchester kam, Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andy Barton

Die rassistischen Ausschreitungen in Großbritannien sind ein kontinuierliches Medienthema, zumal das damit einhergehende Gewaltniveau eine besondere Intensität im öffentlichen Raum angenommen hat. Bei aller berechtigten Empörung bedarf es aber auch einer analytischen Perspektive. Denn eine prognostische Annahme kann hier für Deutschland lauten, dass die Ereignisse als ein Modell wahrgenommen werden, welche militante Rechtsextremisten als nachahmenswerte Strategie verstehen. Bestärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass es ähnliche Fälle bereits gab, allerdings nicht mit gleicher Gewaltdimension.

Insofern ist der Blick nach Großbritannien wichtig, um die dortigen Handlungen als beabsichtigte Vorgehensweisen zu erfassen. Darauf bezogen sind die folgenden Aussagen, die demnach ereignisbezogen kein exklusives Wissen beanspruchen. Es geht lediglich um die Aufmerksamkeit für konkrete Handlungsweisen, die in solchen Fällen interessengeleiteten Praktiken. Nicht mehr Erkenntnis, nicht weniger Erkenntnis ist hier die Zielsetzung.

Ausgangspunkt reale Gewalttat

Am Beginn steht eine Gewalthandlung, die von einem Individuum mit angeblichem oder tatsächlichem Migrationshintergrund begangen wurde. Derartige Akte kamen auch in Deutschland immer mal wieder vor, ohne dass dazu die konkreten Motive der Täter bekannt wurden. Meist deuteten sich psychische Defekte als jeweilige Hintergründe an. Bezogen auf den aktuellen Fall in Großbritannien ist bekannt: Ein 17-Jähriger drang in die Räumlichkeiten einer Tanzschule ein, und tötete drei unter zehn Jahre alte Mädchen in Southport.

Dabei kann von einer besonderen Grausamkeit gesprochen werden, welche nachvollziehbare öffentliche Wut auslöste. Insofern gab es am Beginn der Entwicklung einen realen Fall derartiger Gewalt. Er hätte aber nicht Ausschreitungen motivieren müssen, denn andere öffentliche Trauermöglichkeiten bestanden ebenso. Es gab aber Akteure die genau Gegenteiliges wollten. Dazu gehörten führende Aktivisten des gewaltorientierten Rechtsextremismus, hier etwa der Aktivist Tommy Robinson von der früheren „Englisch Defence League“ (EDL).

Falschinformationen über Täter

In einer durch Betroffenheit und Empörung geprägten öffentlichen Situation kam es durch ihn zu einer formalen und inhaltlichen Verschärfung. Auf X hat der bekannte rechtsextremistische Aktivist fast eine Million Follower haben, welche er durch seine Agitation zu den Ausschreitungen aufstacheln wollte. Dabei kam Robinson zwar eine führende Rolle zu, es gab aber noch andere Akteure mit gleichen Botschaften. Diese bilden eine erste obere Ebene, welche die öffentliche Radikalisierung vorantrieb.

Hierzu dienten auch bewusste Falschinformationen zum Täter, der als „Flüchtling“ und „Muslim“ bezeichnet wurde. Diese Angaben zu dem Gemeinten trafen indessen nicht zu, war er doch als Einwandererkind in Großbritannien geboren worden. Die bewusste Fälschung des Hintergrundes veranschaulicht die manipulative Wirkungsabsicht. Der Hinweis auf einen Migrationshintergrund reichte den Propagandisten nicht, sie wollten eine besondere Dimension zur Emotionalisierung der Öffentlichkeit nutzen. Dazu diente eine zweite Ebene im Wirkungskontext:

Ebene latent rassistischer „Normalos“

Erreicht wurden zunächst andere Anhänger rechtsextremistischer Kleingruppen, die in Großbritannien nicht in einer größeren Organisation konzentriert sind, sondern eben aus unterschiedlichen Personen in verschiedenen Zusammenhängen bestehen. Das Internet erklärt die kommunikative Vernetzung, welche im realen Alltagsleben in diesem Sinne nicht besteht. Entscheidend sind aber die breite Kommunikation und die daraus folgende Mobilisierungsfähigkeit. Auf den Demonstrationsfotos sieht man fast nur Männer, offenkundig aus einem Hooligan-Milieu bis zum organisierten Rechtsextremismus stammend.

Es darf aber noch eine dritte Ebene ausgemacht werden, bestehend aus latent rassistisch eingestellten „Normalos“. Genau dieser Bereich ist für die erwähnten „Kader“ besonders wichtig, wollen sie doch aus ihrer extremistischen Ecke in die gesellschaftliche Mitte rücken. Eine Erosion einschlägiger Grenzziehungen bedeutet hier einen wichtigen Schritt. Die erwähnten Demonstrationsfotos zeigen auch ältere Männer.

Diverse Extremisten und ihr Kalkül

Und genau dieses Bündnis scheinbar einfacher Bürger mit eben rechten Extremisten bei gleichzeitiger Gewalteskalation steht für die objektiv vorhandene Strategie. Angriffe auf andere Einwanderer, Attacken auf Moscheen, Gewalttaten gegen Polizeibeamte verdeutlichen deren Wirkung. Genau in der Dynamik von der zweiten zur dritten Ebene besteht das besondere Gefahrenpotential, erodiert damit doch auch Anstand und Gewaltfreiheit in der gesellschaftlichen Mitte. Darüber hinaus droht eine Eskalation von Konfliktpotentialen, was bereits jetzt als Folgewirkung in Großbritannien wahrnehmbar ist.

Es gab auch erste Aktionen fanatischer Islamisten, die mit Allahu-Akbar-Rufen und Palästina-Flaggen öffentlich protestierten. Dabei kam es bereits zu Ausschreitungen, was im gegenseitigen Kalkül liegt. Die islamischen und rechten Extremisten eint eine einschlägige Konfliktverschärfung, erhofft man sich doch so in den jeweiligen sozialen Milieus dann Radikalisierung und Zulauf. Diese bilaterale Gesamtdynamik sollte stärker in die öffentliche Wahrnehmung rücken.

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