"Ausbüxen – Vorwärtskommen – Pflicht erfüllen"
Über die Rolle von Bremer Seeleuten im Zeichen des Hakenkreuzes hat der junge Historiker Thomas Siemon jetzt eine Studie vorgelegt. Das 600-seitige Buch "Ausbüxen – Vorwärtskommen – Pflicht erfüllen" erschien in der Schriftenreihe des Staatsarchivs der Freien Hansestadt Bremen.
Und es trägt den Untertitel: "Bremer Seeleute am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1930-1939". Einfach und schnell zu lesen ist das Werk nicht – trotz vielfältiger Illustrationsmittel und einer klaren Gliederung. Wer sich durch den "Schinken" wälzt, erfährt jedoch Grundlegendes und Spannendes zu dem Thema. An vielen Seeleuten bissen sich die Nazis – bildlich gesprochen – die Zähne aus. Das steht nach der Lektüre des Buches fest. Das Hakenkreuz war in diesen Kreisen als "Hungerhaken" bekannt und galt weniger als Symbol eines "Tausendjährigen Reiches". Thomas Siemon nennt unter anderem dieses Beispiel: Noch im März 1933 kritisierte der Verband deutscher Schiffsingenieure Adolf Hitler scharf. Durch einen Austritt aus dem Allgemeinen freien Angestelltenbund sollte eine Gleichschaltung verhindert werden – ein vergebliches Unterfangen: Im Mai stürmte ein Stoßtrupp der NS-Betriebszellenorganisation (NSBO) die Bremer Verbandsgeschäftsstelle und setzte eine NS-treue Führung ein. Die meisten Seeleute verzichteten jedoch auf unverhüllte Opposition. Siemon zieht in seinem Buch das Fazit: "Obwohl sich viele Seeleute eines eigenen, kritischen Urteils über die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik wie über die Zerstörung rechtsstaatlicher Ordnung nicht enthielten, leisteten sie weiterhin ‘gute Arbeit’, bemühten sich ums ‘Vorwärtskommen’ und versahen ihre Pflicht..." Für die Nazis war es eine klare Angelegenheit, dass auch auf See Hitlers Befehl gelten und eine Herzenssache für alle Deutschen sein sollte. Die NSDAP-nahe Zeitschrift "Seefahrt ist not" formulierte es 1935 so: "Es ist der Wille des Führers, dass der Nationalsozialismus in die letzte Hütte und in das letzte deutsche Schiff eindringt." Das gedruckte Wort sollte dabei besonders nützlich sein. Siemon schildert in diesem Zusammenhang Konflikte zwischen dem Norddeutschen Lloyd und den Nazis. Grundsätzlich wollte auch die bedeutende Reederei, dass die Seeleute "das Richtige" lesen. Deshalb wurden den Frachtdampfern bereits 1931 Büchereien mitgegeben, "um ... durch sie gleichzeitig auch den unheilvollen Ausflüssen marxistischer Zersetzungspolitik einen gewissen Widerstand zu leisten". 1934 trat die Kraft-durch-Freude-Abteilung der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) auf den Plan. Sie fertigte Bücherlisten an und wollte auf die Zusammenstellung der Bordbibliotheken Einfluss nehmen. Doch beim NDL widersetzte man sich energisch. Auch Krisensitzungen zwischen der NSDAP-AO-Führung und der Unternehmensspitze brachten keine Einigung. Gegen die Nazi-Propaganda zeigten sich viele Seeleute weitgehend immun. Das Personal auf den Schiffen konnte zu einer Zeit die Welt entdecken, in der das den meisten Deutschen verwehrt blieb und das bedeutete eben auch, dass die Propaganda von Hitler, Goebbels & Co. mit der Wirklichkeit verglichen werden konnte. Außerdem zeigten sich Seeleute häufig toleranter gegenüber Menschen anderer Religion oder Hautfarbe, weil sie es gewohnt waren, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Kurt Thiele nahm im Schiffahrts-Bereich für die Nazis eine Schlüsselfunktion ein. Der Angestellte des Norddeutschen Lloyd, der bereits 1923 in die NSDAP eingetreten war, avancierte 1929 zum Ortsgruppenleiter in Bremen. Beim Lloyd scheint man schon 1930 gewittert zu haben, dass die Nazis bald eine politische Kraft sein würden, an der kein Weg vorbei führt. Thiele wurde in den Reichstag gewählt, doch vom NDL weiterhin bezahlt. Von diesem doppelten Gehalt gönnte sich der Nazi-Politiker einen besoldeten Mitarbeiter für Partei-Belange – den also letztlich die Reederei bezahlte. 1932 fassten die Nazis die Parteimitglieder auf den deutschen Schiffen in einer "Abteilung Seeschiffahrt" zusammen, die später der AO einverleibt wurde. Die AO setzte auf jedem Schiff einen "Politischen Leiter" ein, dem der SA-Führer an Bord unterstand. Das Interesse der Seeleute an einer NSDAP-Zugehörigkeit hielt sich in Grenzen. Am größten war die Resonanz auf den Passagierschiffen. Der Luxusliner "Europa", der für NDL fuhr, brachte es auf einen Organisationsgrad von fast 100 Prozent und stellte die stärkste NSDAP-Ortsgruppe auf den schwankenden Planken.