Aus Neonazi-„Heldengedenken“ wird Wunsiedler Spendenlauf

Vieles war dieses Jahr anders in Wunsiedel. Knapp unter 200 Neonazis hatten sich zum jährlichen Herbsttermin des Freien Netz Süd – jetzt Partei Der Dritte Weg – versammelt. Doch die Wunsiedler Bürger verwandelten den Trauermarsch mit Unterstützung in „den unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“, dessen Erlös an die Aussteigerhilfe Exit-Deutschland ging. Auch an der Strecke protestierten wieder mehr Menschen gegen das makabre Ritual der bayerischen Neonaziszene.

Montag, 17. November 2014
Redaktion
„Wenn das der Führer wüsste“: Neonazi-Spendenlauf in Wunsiedel (Foto: Thomas Witzgall)
„Wenn das der Führer wüsste“: Neonazi-Spendenlauf in Wunsiedel (Foto: Thomas Witzgall)
Artikel zuerst veröffentlicht bei ENDSTATION RECHTS. Bayern Für die rechtsextreme Szene Bayerns ist das „Heldengedenken“ im November in Wunsiedel ein fester Termin, auch weil es juristisch weitgehend durchentschieden ist und Sicherheit herrscht, dass der Aufmarsch zwar mit Auflagen beschränkt, aber nicht zu verbieten ist. Eine ähnliche Erfahrung machten die Behörden mit der HoGeSa-Kundgebung in Hannover – und das trotz der teilweise gewalttätigen Ausschreitungen in Köln. Neben Anspielungen auf den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß war in diesem Jahr auch die Erwähnung des im vergangenen Jahr verstorbenen Kriegsverbrechers Erich Priebke untersagt. Beim letzten Aufmarsch hatten die Neonazis in dem SS-Mann einen Stellvertreter für den Stellvertreter gefunden und etliche Aspekte des Heß-Gedenkens auf ihn übertragen. Dieser Auflage konnten sich die bayerischen Neonazis auch gerichtlich nicht entledigen, nur den Einsatz von Fackeln hätten sie nach ihren eigenen Angaben noch erstreiten können. Die Zivilgesellschaft der Fichtelgebirgsstadt wollte dieses Jahr den Aufmarsch weniger passiv hinnehmen; In den letzten Jahren wurden entlang der Strecke zwar viele Protestschilder aufgestellt, verbalen Protest gab es allerdings kaum. Unter Hilfe der Aussteigerinitiative Exit-Deutschland wurde der Marsch kurzum in einen Charitylauf verwandelt. Für jeden gelaufenen Meter der Geschichtsverdreher gingen 10 Euro an die Initiative, die Aussteigern aus der rechtsextremen Szene hilft, sich ein neues Leben aufzubauen. Aus der Sportredaktion Bereits kurz nach 11 Uhr versammelten sich die ersten Läufer am üblichen Sammelort in der Egerstraße. Eigentlich wollten die Organisatoren durch die Innenstadt laufen. Die Strecke war allerdings durch einen Gedenkmarsch Wunsiedler Bürger blockiert, die auf der historischen Route eines Todesmarsches ehemaligen Zwangsarbeitern gedachten. So mussten die Sportler mit einem Rundkurs im Wunsiedler Osten vorlieb nehmen, der auch in den letzten Jahren gelaufen wurde. Einen unsportlichen Vorteil für die Teilnehmer, die die Strecke mit ihren Steigungen schon kannten, sahen die Unparteiischen nicht. Nachdem auch die Sportler aus dem süd- und ostbayerischen Raum, die mit zwei Bussen ins Fichtelgebirge fuhren, ihr Aufwärmprogramm absolviert hatten, ging es Richtung Startpunkt des Laufes. Um 13.48 Uhr fiel der Startschuss für die Aktion „Rechts gegen Rechts“, dem „unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands“. Eine eigens eingerichtete Internetseite informierte Fans, die zu Hause bleiben mussten, über die aktuelle Position der Läufer. Motivierende Banner wie „Flink wie Windhunde! Zäh wie Leder! Und großzügig wie noch nie!“ oder „national und freigiebig“ säumten die Strecke. Auf der Straße konnten sich die Teilnehmer regelmäßig orientieren, welcher Betrag bereits erlaufen wurde. Souveräner „Sieger“ war der oberbayerische Neonazi Thomas Huber, der mit drei Schrittlängen Vorsprung am Ende über die Ziellinie schritt, knapp gefolgt von Matthias Fischer, für lange Zeit Kopf der bayerischen Szene und Klaus Armstroff, dem Parteivorsitzenden der neonazistischen Kleinstpartei Der Dritte Weg. Huber hatte sich, trotz Birkenkreuz und Stahlhelm in den Händen den Vorsprung gleich zu Beginn erarbeitet und nur während einer Pause kurzzeitig abgeben müssen, als sich alle Teilnehmer beim Verpflegungsstand einfanden, der deutsche Bananen bereithielt. Aber eigentlich waren an dem Tag alle Aktivisten und Mitläufer „Sieger“, konnten sie doch 10.000 Euro an Spenden erlaufen. Entsprechend wurden sie am Ziel mit Schüssen aus einer Konfettikanone begrüßt. Sportliche Rekorde wurden indes nicht gebrochen. Selbst der Erste im Ziel hatte eine Durchschnittsgeschwindigkeit, die kaum über Schrittgeschwindigkeit lag. Bereit sein, zu bluten und zu sterben: Unschöne Zwischentöne über Leugner, Lügen und Drohungen Im Gegensatz zu den letzten Jahren kamen zahlreiche Gegendemonstranten an die Strecke und waren mit ihrem Protest zu jedem Zeitpunkt der Reden laut vernehmbar. Matthias Fischer drohte ihnen dann auch, man werde noch die richtige Pädagogik finden und sich ihrer zu gegebener Zeit annehmen, sei man doch als Dritter Weg noch eine junge Partei. Komische Worte aus dem Munde Fischers, der seit über fünfzehn Jahren in der rechten Szene aktiv ist. Offenbar ist das die Sprachregelung, um Verbindungen zum verbotenen Kameradschaftsnetzwerk Freies Netz Süd, in dem viele Akteure der Partei vorher aktiv waren, zu kaschieren. Nicht ganz durchdacht war die Forderung, die Walter Strohmeier, Stützpunktleiter des Dritten Weges in Ostbayern, aufstellte. Er forderte die Flüchtlinge auf, nicht ihre Heimat zu verlassen und irgendwo um Asyl zu bitten, sondern wie „die Deutschen nach 1945“ ihr Land wieder aufzubauen. Er verglich damit unpassend die aktuellen Bürgerkriegssituationen und schlechten Menschenrechtslagen in Syrien, Irak oder Eritrea mit Europa nach 1945 (!), als die internationale Koalition den Kontinent von eben jenen Schergen mit militärischen Mitteln befreien musste, denen der Dritte Weg an dem Tag in Wunsiedel größer gedachte und die es waren, die politische Gegner und Minderheiten aus rassistischen Gründen systematisch ermordeten und im „Kampf um Lebensraum“ alles in Schutt und Asche legten. Er forderte die Anwesenden auf, das aktuelle „naturwidrige System abzuschaffen und unseren Lebensraum für unsere Zukunft einzufordern“. Dazu müsse man notfalls auch bereit sein, zu bluten und zu sterben, so der wegen gefährlicher Körperverletzung lange in Haft gesessene Strohmeier gegen Ende seiner Rede. Thomas Wulff, als freier Nationalist im Parteivorstand der NPD vorgestellt, übertrug die Diskussionen um einen Ausbruch des Ersten Weltkriegs auch auf den von Adolf Hitler gewollten und begonnenen Zweiten Weltkrieg. Seine Forderung, den Mord von Berlin endlich aufzuklären und den britischen Geheimdienst zu zwingen, die Namen von Mördern bekannt zu geben, wurde von wahrscheinlich alles vor Ort als Anspielung auf den Kriegsverbrecher Rudolf Heß verstanden und der in der rechten Szene grassierenden Vermutung, eben jener wäre ermordet worden. Wachpersonal der Konzentrations- und Vernichtungslager, die sich nach neuen höchstrichterlichen Entscheidungen nun doch einer Strafverfolgung ausgesetzt sehen könnten, entschuldigte er, sie „hätten nur ihre Pflicht“ getan. Abschließend trug er noch ein Gedicht des österreichischen Holocaustleugners Gerd Honsik vor, das eher an einen Wehrmachtsbericht erinnerte. Außerdem kamen Klaus Armstroff und Rico Döhler zu Wort, der dem Stützpunkt Hochfranken-Vogtland der Partei Der Dritte Weg vorsteht. Nicht namentlich vorgestellt wurde ein weiterer Redner, der als Aktivist aus Rheinhessen angekündigt wurde. Mit Sonnenbrille und tief ins Gesicht gezogener Mütze wirkte dieser allerdings eher wie ein Gangsterrapper als Redner auf einer Gedenkveranstaltung. Immer wieder sprachen die Redner von Geschichtslügen und bezeichneten sich als das „anständige Deutschland“. Auch auf einem Banner, unterschrieben von NPD, Jungen Nationaldemokraten und Freien Kameradschaften, sprach man von angeblichen Lügen „auf dem Rücken unserer Toten“. Der Marsch endete wie jedes Jahr mit einem ritualisierten „Heldengedenken.“ Wieder wurde der Waffen-SS gedacht, die man verharmlosend mit „den Eliteverbänden und den europäischen Freiwilligen“ umschrieb. Weitere Bilder zum Spendenlauf gibt es hier
Kategorien
Tags