Aus dem Dortmunder „Nazi-Kiez“ nach Sachsen: Michael Brück zieht nach Chemnitz

Mit Michael Brück und Marvin E. sind zwei langjährige Neonazi-Kader aus Dortmund nach Chemnitz gezogen. Dahinter dürften auch politische Ziele stehen. Eine Anstellung hat Brück beim Pro Chemnitz-Chef und Rechtsanwalt Martin Kohlmann gefunden.

Mittwoch, 16. Dezember 2020
Martin Hagen
Michael Brück, früher Dortmund, jetzt Chemnitz
Michael Brück, früher Dortmund, jetzt Chemnitz
Die Flyer, die Anwohner der Chemnitzer Margaretenstraße am Freitagmorgen aus ihren Briefkästen fischten, dürften sich von der üblichen Reklame absetzen: Gegner der rechtsextremen Szene haben in der Nacht Flugblätter verteilt, die auf zwei neonazistische Nachbarn hinweisen. Ziel des „Outings“: Michael Brück und Marvin E. Im beschaulichen Wohnviertel im Chemnitzer Nordosten haben sich zwei militante Neonazi-Kader niedergelassen.

Wer sind die Zugezogenen?

Michael Brück gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Neonazi-Szene. Brück stammt aus Bergisch Gladbach und ist seit Jahren in diversen rechtsextremen Strukturen aktiv: Schon während seiner Jugend schloss sich Brück der NPD-Jugend an und bewegte sich später mit der „Aktionsgruppe Rheinland“ im Umfeld der sogenannten Autonomen Nationalisten. 2008 schloss der junge Neonazi sich nach seinem Umzug dem „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) an. Brück steigt innerhalb der Dortmunder Szene auf und als 2012 das Vereinsverbot gegen die Kameradschaft erlassen wird, gründet er mit anderen Gleichgesinnten die Splitterpartei „Die Rechte“. Mit medial inszenierten Aktionen machen die nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten immer wieder Schlagzeilen, etwa als sie 2015 als Bürgerwehr Homosexuelle bedrohten. Begleitet wird der Hass mit der Kamera und verbreitet über die sozialen Medien. Als stellvertretender Parteivorsitzender und zwischenzeitlich auch im Dortmunder Stadtrat suchte Brück auch die Bühne der Lokalpolitik. Der Neonazi gilt als umtriebiger Akteur der Szene. Über Jahre verantwortete Brück einen rechtsextremen Online-Shop, erreichbar unter „antisem.it“ - eine Adresse, die wenig Interpretationsspielraum lässt. Heute vermarktet er in einem ähnlichen Versandhandel.

„Produkte für den politischen Umsturz“

Marvin E. steht weniger in der Öffentlichkeit. Der Dortmunder ist eng vernetzt im extrem rechten Kampfsport-Milieu: Fotos zeigen ihn im April 2019 als Kämpfer beim „Pro Patria Fest“, einem neonazistischen Martial-Arts-Turnier in Athen. Damals begleitete ihn unter anderem Alexander Deptolla. Der Neonazi ist einer der führenden Köpfe hinter dem „Kampf der Nibelungen“, dem bundesweit führenden Kampfsportevent der rechtsextremen Szene. Im April 2020 besuchte E. zusammen mit Tim K. eine Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in Chemnitz. K. wiederum tritt als Organisator des rechtsextremen Kampfsportevents „Tiwaz“ auf. Die Wege im rechten Kampfsport sind kurz.

Die Achse Dortmund-Chemnitz

Dass sich die beiden Neonazis aus dem Ruhrpott gerade im Westen Sachsens ansiedeln, ist kein Zufall. Rechtsextremisten aus Dortmund und Chemnitz pflegen seit einigen Jahren enge Kontakte. Dortmunder Kameradschafter und Mitglieder der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ statteten sich regelmäßige Besuche ab. Auch Hooligans wie die der Dortmunder „Borussenfront“ und der Chemnitzer „NS-Boys“ hielten feste Verbindungen. Christoph Drewer, ein langjähriger Weggefährte Brücks, ist nicht nur Mitglied von „Die Rechte“, sondern gilt auch als Teil von „Kaotic Chemnitz“ - der Hooligantruppe, die federführend war bei den Ausschreitungen in Chemnitz im Spätsommer 2018.

Stelle bei Szene-Anwalt

Eine finanzielle Absicherung hat Brück derweil bereits gefunden: Der Neonazi ist als Angestellter für den Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann tätig, berichtet Tag24. Kohlmann freut sich über den Neuzugang: „Er bringt viel Erfahrung mit“, wolle aber politisch nicht mit Brück aktiv werden. Über eine Rufschädigung mache er sich keine Sorgen. Mit Brücks Ideologie scheint Kohlmann kein Problem zu haben: Der Jurist ist Chef der rechtsextremistischen Lokalpartei „Pro Chemnitz“. Der sächsische Verfassungsschutz führt ihn als „Neonationalsozialisten“. Bei den rassistischen Demonstrationen, mit denen Chemnitz zum Synonym für den enthemmten Rechtsextremismus im Osten Deutschlands wurde, trat er als treibende Kraft auf. Erst Anfang Oktober wurde Kohlmann erstinstanzlich wegen der Leugnung des Holocausts zu einer Geldstrafe verurteilt.

Neuer Anlauf für Chemnitzer Nazi-Kiez?

Brücks Zuzug weckten in der Zivilgesellschaft Befürchtungen, dass die Ex-Dortmunder in Chemnitz einen sogenannten „Nazi-Kiez“ etablieren könnten. Grund dafür dürfte das Treiben von Brück und seinen Mitstreitern in Dortmund-Dorstfeld sein. Das Viertel gilt Antifaschisten, jüdischen Menschen und Journalisten seit Jahren als Angstraum. An den Hauswänden prangen Graffiti in Reichsfarben, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Angriffen durch Neonazis aus dem Umfeld von „Die Rechte“. Mit der Nipster-Gruppierung „Rechtes Plenum“ gab es zudem schon einen Versuch, das „Dorstfelder Modell“ nach Chemnitz zu exportieren. In einem Interview mit dem völkischen Siedlungsnetzwerk „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ spricht Brück allerdings von einer anderen Strategie: Statt sich auf ein Viertel zu konzentrieren, rät er Gleichgesinnten, „in der Fläche anzugreifen und die Stadtteile zu durchsetzen“. Schließlich seien die Bürger in Ostdeutschland empfänglich für „rechte Positionen“, so Brück. Ein aggressives Auftreten wie in Dortmund sei da kontraproduktiv. Der Neonazi setzt seine Hoffnung in die rechtsextremen Tendenzen in den neuen Bundesländern. Und Michael Brück dürfte nicht der letzte Neuzugang aus der Dortmunder Szene bleiben: Eigenen Aussagen zufolge erwägen bereits einige seiner Weggefährten einen Umzug in Richtung „Mitteldeutschland“.
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