Auf “Freie Sachsen” folgt „Freie Niedersachsen“
Seit Anfang Dezember gibt es auf Telegram nun auch die „Freien Niedersachsen“: Angelehnt an die “Freien Sachsen” handelt es sich um eine online auftretende Sammelbewegung, die alle Aktionen, Demonstrationen und Initiativen aus der verschwörungsideologischen Szene in Niedersachsen verbindet.
Rund 16.000 Personen folgen dem Telegram-Kanal mittlerweile. Wird bei den „Freien Niedersachsen“ ein Termin eingestellt, so tauchen zumindest in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover immer Aktivist*innen auf. Mittlerweile treffen sich nach Darstellung der Gruppe hunderte Personen niedersachsenweit zu nicht-angezeigten Demonstrationen.
Klares Ziel ist neben der Mobilisierung eine überregionale inhaltliche Steuerung. So werden immer wieder Beiträge geteilt mit denen die Stimmung angeheizt wird. Der NDR sei etwa eine „Propagandamedienanstalt“, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein „Möchtegern-Kaiser“ und “Despot”. Offen rechtsextrem sind die wenigsten der von den „Freien Niedersachsen“ selbst geteilten Inhalte.
Online radikal
Zum Informationskanal gab es bis zum 15. Dezember auch eine Sammelgruppe für Diskussionen oder um Fotos einzusenden. Hier zeigt sich, wie die Anhänger*innen der „Freien Niedersachsen“ ticken. So freut sich ein „Detlef“ auf den „Nürnberger Prozess 2.0“ für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Also immer schön vorsichtig bleiben Herr Pistorius“, gibt „Detlef“ mit auf den Weg. Eine, die sich im Messenger „Marlies“ nennt, ist sich sicher: Friedlicher Proteste hätten bisher nichts erreicht, man müsse andere Wege gehen.
„Tina“ will etwa an den Privatadressen von Politiker*innen auftauchen. Passiert so in Sachsen bei der Gesundheitsministerin. Aber auch in Hannover gab es bereits eine Mobilisierung vor Weils Wohnhaus. Immer wieder werden Beiträge auch wegmoderiert und gelöscht – besonders krasse Gewaltandrohungen etwa. Die Chatgruppe wurde mittlerweile geschlossen, nun ist eine Interaktion nur noch in den Kommentaren unter den Beiträgen möglich. Als LKA und Verfassungsschutz gegenüber NDR und Neue Presse vor der extremistischen Ausrichtung der Gruppe warnen, schreibt ein Nutzer: „Ach, die gehören genauso an die Wand gestellt wie ihre übergeordneten Verbrecher die sie schützen.“
Bekannte Gesichter
Doch wer sind die Anhänger*innen, die den „Freien Niedersachsen“ folgen und an deren Aktionen teilnehmen? Auf der Straße hatten in Hannover mitnichten neue Aktivist*innen das Zepter in die Hand. Am 6. Dezember etwa versammelten sich rund 100 Personen am Rathaus. Daniel K., Initiator des hannoverschen Querdenken 511, war vor Ort und als die durch Telegram mobilisierten Anhänger*innen etwa 20 Minuten planlos herumstanden, forderte er zum Spaziergang auf. K. war auch eines der letzten Mitglieder, als die Chatgruppe der „Freien Niedersachsen“ entfernt wurde.
Bei den Aktionen sind auch alte, bekannte Gesichter dabei. Am NDR tauchten Deniz E. und Dennis H. auf. Beide sind immer wieder durch ihr aggressives Auftreten gegenüber Journalist*innen aufgefallen. Dennis H. wurde kürzlich etwa zu 30 Tagessätzen verurteilt, weil er das Objektiv eines Fotojournalisten, bei einem Angriff am Opernplatz im Februar 2021, beschädigte. Bei den Großprotesten 2020 in Berlin standen sie in den ersten Reihen, als es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Ein weiterer bekannter Akteur, der sich etwa am Grablichterabstellen und Spaziergang vor dem NDR am 12. Dezember beteiligte, ist Till R. Der Aktivist zeigte sich gerne mit schwarz-weiß-rotem Schal und vertritt Inhalte der Reichsbürger, ist etwa vom Kaiserreich begeistert. Er gehört zu einer Gruppe, die sich um die Ärztin Carola Javid-Kistel geschart hat und als „Walk to freedom“ unzählige Male durch Hannover zog. R. reiste wie andere auch zu Großprotesten nach Berlin. Auch diverse Aktivist*innen von Hagida sind bei den Spaziergängen und Aktionen aufgetaucht.
Schwieriges Verhältnis zu Medien
Als Journalist*in mit den Teilnehmer*innen ins Gespräch zu kommen, ist alles andere als einfach. Bei einer Aktion vor dem Anzeiger Hochhaus in Hannover wollte sich ein Großteil nicht äußern. Eine ältere Dame mit einem Stirnband und einer dicken Winterjacke packt dann doch aus. Während neben ihr Mitstreiter*innen Grablichter vor dem Eingang von Radio Hannover deponieren, erklärt sie: Deutschland sei nicht souverän, sondern besetzt. Die Situation gerade gehe in Richtung Diktatur, habe 1933 genauso begonnen. Sie dürfe ja nicht sagen, was sie denke.
Auch eine Frau mittleren Alters, die mit einer Gruppe Aktivist*innen mit Kerzen in der Hand an der Aktion teilnimmt, äußert sich: Natürlich sei der Ort kein Zufall, sagt sie. Es werde von den Medien zu einseitig berichtet, alle Zeitungen seien inhaltlich gleich. Danach empfiehlt sie einschlägige „Wissenschaftler“, die seit Beginn der Pandemie von der verschwörungsideologischen Szene als Kronzeugen angeführt werden.
Regionalisierung und Radikalisierung
Was gerade in Niedersachsen passiert, ist eine Regionalisierung der Proteste. Für “Widerstand” muss nicht mehr nach Berlin gereist werden. In zahlreichen kleineren Dörfern stellen Menschen aus der verschwörungsideologischen Szene nun Kerzen auf und treffen sich zu nicht angezeigten Versammlungen. Hunderte werden mobilisiert. Mit dem Namen knüpft die Bewegung zum Einen an die “Freien Sachsen”, eine von rechtsextremen Kadern gegründete Organisation an. Zum Anderen gelingt es mit dem Heimat-Touch, eine Mischszene zu mobilisieren aus national bewegten Impfgegner*innen.
Unlängst fantasieren einzelne Aktivist*innen in Telegram-Gruppen, etwa den „Corona Rebellen Hannover“ von Morden und Attentaten. Durch die ausbleibende politische Positionierung und damit klare ideologische Ausrichtung bleibt die Gruppe, trotz pro forma Distanzierung von Extremismus, anschlussfähig - für extrem Rechte und diejenigen, die sich als “ganz normale” Bürger verstehen. Längst sind die „Freien Sachsen“ das Pegida-Revival. Ähnliches könnte auch in Niedersachsen passieren. Die Bewegung inszeniert sich als hierarchielose Graswurzelbewegung von unten. Tatsächlich koordinieren aber einzelne Akteur*innen die ideologische Ausrichtung und eben auch, welche Kundgebungen zentral beworben werden.