Auf der Jagd
Eine digitale Gruppe mobilisiert für eine „Bürgerwehr“ in Rostock – mit dabei sind Rocker, Hooligan-Anhänger und Neonazis.
„Bürgerwehr jagt Verbrecher via Internet“ meldete die „Ostsee-Zeitung“ am 6. Mai. Ein Rostocker Ehepaar hatte bei Facebook die Gruppe „Bürgerwehr Rostock“ gegründet und sofort 240 Mitglieder gefunden, die Zahl weiterer Sympathisanten wuchs stündlich, inzwischen sind es über 600. „Wir tun was für unsere Stadt!“ lautete die Ankündigung und „Wir auf Facebook sind oft schneller als die Polizei!“
Initiator der „Bürgerwehr“ ist Maik E., ein dreifacher Familienvater aus dem Rostocker Stadtteil Dierkow, einer Plattenbausiedlung, an deren Rande am 1. Mai die NPD marschierte. E. trägt die Haare sehr kurz, ist aber kein Neonazi. Doch seit neuestem ist er mit zahlreichen Rockergang-Mitgliedern, Fans brutaler Fußball-Kultur und auch Neonazis befreundet. Die mögen ähnlich martialische Sprüche wie den, den die Bürgerwehr-Mitbegründerin und Ehefrau von E. mit „gefällt“ markiert hat: „Packst du mein Kind an, hast du ab morgen Pflegestufe 5“.
Einige Mitglieder drängt es auch auf die Straße
Vordergründig wurde die Internet-Selbsthilfetruppe gegründet, um einen flüchtigen Exhibitionisten zu stellen. Auch die kleine Tochter des Pizzafahrers sei von einem Fremden aus einem Auto heraus zum Essen eingeladen worden, so E. gegenüber der Lokalzeitung. Die Polizei habe wieder nichts getan, nun wolle er das übernehmen. Selbstjustiz durch eine virtuelle Bürgerwehr. Dabei stellte eine Polizeisprecherin in Rostock hinsichtlich dieses Vorwurfes klar: „Die Befragung der Kinder hat ergeben, dass ein Unbekannter lediglich nach dem Weg zur Sparkasse fragte.“ Die Mutter habe mehr aus der Geschichte gemacht, als dran gewesen sei, so Yvonne Hanske von der Polizei Rostock. Statistisch gesehen werde jede zweite Straftat aufgeklärt, insgesamt sind ist die Kriminalität in der Hansestadt rückläufig.
Die „Bürgerwehr“ macht weiter, nicht nur virtuell, einige Mitglieder drängt es auch auf die Straße. Öffentlich räumte E. ein, die Leute sollten nur „die Augen offen halten“ und „sich melden“. Intern schrieb er am 8 Mai: „Die Vorstellung, dass WIR den Exhibitionisten schnappen können, ist realistisch! Wenn man es in der eigenen Stadt auch nur schafft, einen einzigen Trupp von fünf Mann auf die Beine zu stellen, der vielleicht einmal die Woche einige Stunden an den Brennpunkten patrouilliert, eingreift, die Polizei ruft und erste Hilfe leistet, dann besteht die Chance was zu erreichen“ Sofort verabredeten sich einige Männer vertraulich.
Gewaltpotenzial steigt
Wie schnell dieser Weg hinaus aus der virtuellen Welt in die Realität gefährlich werden kann und welche Folge Selbstjustiz-Aufrufe haben können, bekam letzte Woche eine 17-Jährige aus Wilhelmshaven zu spüren, als die Polizei nur durch großen Personaleinsatz 40 aufgebrachte Facebook-User davon abhielt, direkt auf das Mädchen loszugehen. Sie soll zuvor gemeinsam mit anderen Jugendlichen eine 14-Jährige gequält haben, Videos der Tat waren ins Netz gestellt worden.
Mit der Zahl der Mitglieder scheint auch bei der „Bürgerwehr Rostock“ das Gewaltpotenzial zu steigen. „Was einige vorhaben, geht zu weit“, räumte Maik E. bereits ein.
Nicht selten wird im Bereich Sicherheit der Bock zum Gärtner gemacht. So tummeln sich auch in Security-Unternehmen zahlreiche Kriminelle. „Was wächst da heran?“ fragte die Wochenzeitung „Die Zeit“ besorgt und wies auf die wachsende Zahl der Bürgerwehren hin. Dem Landtag in Nordrhein-Westfalen war die Entwicklung Grund genug für einen Bericht im Innenausschuss, denn, so „Die Zeit“, in Bürgerwehren sammeln sich auch „Rechtsextreme, Blockwarte und Schlägertypen“.
„André“ schwärmt für die NPD
Selbst ernannte Ordnungshüter könnten schnell außer Kontrolle geraten. Auch einige „Bürgerwehr Rostock“-Mitglieder halten ihre Kampfhunde, mögen „Böhse Onkelz“ oder Hooligans der besonders gewaltbereiten „Kategorie C“. Manche haben Verbindungen zu regionalen Rocker-Gangs wie dem „MC Stormbringer“, der verbotenen „Schwarzen Schar“, den in Rostock aufgelösten „Hells Angels“ oder den nicht minder kriminellen „Red Devils“. Auch E. zeigt manche von ihnen ganz offen als seine Facebook-Freunde. Der Hang zur Kriminalität sei bei allen Rockervereinigungen gleich, warnte kürzlich das Landeskriminalamt in Schwerin. Einer Untersuchung zufolge waren Mitglieder der 23 Clubs in Mecklenburg-Vorpommern in 2400 Straftaten verwickelt. Nun wollen einige von ihnen anscheinend selber Sheriff spielen.
Ganz unauffällige „Bürgerwehr“-Mitglieder sind Torwart im Sportverein oder Diplomingenieur in einer angesehenen Firma. Ein anderer, Sascha Hedermann, stammt aus der Neonazi-Szene in Nordwestmecklenburg, besuchte Rechtsrock-Konzerte und poste mit kleinem Kind, mit Knarre und Baseballschläger. Dann gibt es noch „André“, der schwärmt wie einige andere für die NPD, ist Hooligan und sammelt Berichte über Überfälle. Auch rechte Burschenschafter aus Rostock wollen für Ordnung sorgen, ebenso wie zwei Szene-bekannte Anwälte, die „Bürgerwehr“-Gründer E. persönlich zu kennen scheint.
Verantwortliche sollten hinsichtlich Selbstjustiz-Truppen sensibilisiert sein
Schon vor einigen Jahren warb die NPD-Fraktion im Schweriner Landtag für die Idee freiwilliger Streifen- und Ordnungsdienste. Gemeinsam mit den Kommunen solle geprüft werden, „ob ein Bedarf und eine Bereitschaft von Bürgern besteht, durch ehrenamtliches Engagement die Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern in der Ausführung ihrer Aufgaben aktiv zu unterstützen“. Der NPD ging es darum, „die frechen Umtriebe meist ausländischer Banden im grenznahen Raum eindämmen zu helfen“.
In Sachsen laufen längst „Reichsbürger“ als „Freiwilliges Polizeihilfswerk“ Streife. Die „Bürgerwehr Eisenhüttenstadt“ hat sich ebenfalls bei Facebook gegründet, sie fordert die 400 Fans auf, sich „politisch korrekt“ zu verhalten. Trotzdem standen in den Kommentaren Sätze wie: „Ausländer dahin, wo sie herkommen“. Eine Nutzerine hetzt gegen bettelnde Sinti und Roma und prophezeite, dass die bald in Lager gesteckt würden. Im ostvorpommerschen Löcknitz diskutierten Ende 2013 Gemeinderatsmitglieder darüber, ob die „Sicherheit“ im Grenzgebiet durch die Gründung einer „Bürgerwehr“ zu gewährleisten sei. In Berlin stieß NPD-Chef Sebastian Schmidtke das Thema an.
Nicht zuletzt in Rostock aber sollten Verantwortliche in Politik, Öffentlichkeit und Polizei hinsichtlich Selbstjustiz-Truppen sensibilisiert sein: 1992 hatten Neonazis bevor in Lichtenhagen die schlimmsten fremdenfeindliche Pogrome der Nachkriegszeit stattfanden, nicht nur hetzende Flugblätter verteilt, sondern eine „Lichtenhäger Bürgerwehr“ kündigte damals den Medien gegenüber an, dass es bald „knallen“ werde – das tat es dann auch.