Rechtsextreme Gruppierung
Artgemeinschaft trifft Anastasia
Ungehindert erweitert die rassistische „Artgemeinschaft“ ihr politisches Spektrum in Richtung russischer Landsitzbewegung. Eine Landtagsabgeordnete fordert indes ein Verbot des Vereins.
Das Reglement der Einladungen ist streng. Es kommt als Gast zu den Treffen der „Gefährtenschaft“ nur hinein, wer von einem Mitglied des Vereines „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ rechtzeitig dem „Quartierwart“ gemeldet wird.
Bei Ankunft am Veranstaltungsort hat der einladende Bürge die Gäste dann einem „Leitungsmitglied“ vorzustellen. Die Führung des rassistischen und rechtsextremen Vereines mit Sitz in Berlin und Postfachadresse in der fränkischen Rhön will genau kontrollieren, wer zu den Treffen kommt. Umso auffälliger, dass zu den exklusiven Gemeinschaftstagen vom 24. bis zum 27. März erneut Mitglieder der aus Russland stammenden „Anastasia“-Netzwerke zugelassen waren.
„Frühlingstreffen“
Die durch den russischen Staatschef Putin protegierte „Landsitzbewegung“ breitet sich seit Jahren in der Bundesrepublik aus. Maik und Alruna Schulz gelten als Anführer des Vereins „Weda Elysia“, einem Ableger der Anastasia-Bewegung in der kleinen Gemeinde Wienrode im Nordharz. Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern ihres „Familienlandsitzes“ reihten sie sich ein in die über 200 Teilnehmer*Innen des „Frühlingstreffens“ in der Wanderherberge „Hufhaus/Harzhöhe“ in Harztor, einem Ortsteil der thüringischen Kleinstadt Ilfeld.
Die rechtsextreme „Artgemeinschaft“ versteht sich als „Glaubensbund“, zu ihrem Umfeld zählen verurteilte Unterstützer der Terrorgruppe NSU, verbotener Gruppen wie der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ oder „Blood & Honour“. Protest gegen die regelmäßigen Treffen nahe Nordhausen gibt es vor Ort nicht – obwohl alljährlich zahlreiche Kinder und Jugendliche daran teilnehmen.
„Artgemeinschaft“ & „Anastasia“-Bewegung
Die Thüringer Landesregierung gab 2019 an, die „neonazistische Vereinigung `Artgemeinschaft´ versucht stetig, ihre Bedeutung im kulturell-religiösen Bereich der nationalen Bewegung auszubauen“ und Ziel sei es, „in der Zukunft als Hauptansprechpartner für das kulturelle Leben innerhalb der nationalen Bewegung zu gelten.“ Bundesvorsitzender des 1951 gegründeten Vereines ist der bekannte Rechtsextremist Jens Bauer aus Elsteraue im Burgenlandkreis, der lange der NPD in Sachsen-Anhalt führend angehörte. Bauer organisierte kürzlich Demonstrationen gegen staatliche Corona-Maßnahmen in Zeitz. Dafür soll die Initiative „Ganzheitlich leben und handeln“ gegründet worden sein.
Während die politisch gefestigte Anhängerschaft der „Artgemeinschaft“ mehrere Hundert Köpfe zählt, folgen der vermeintlich esoterisch-versponnenen „Anastasia“-Bewegung in unzähligen Telegram-Gruppen Tausende.
Einfluss im vorpolitischen Raum
Die Kanäle nennen sich „Landsitzliebe“ oder „Raum der Liebe“. Nach außen hin gibt sich die Fangemeinde des russischen Autors Wladimir Megre und seiner Idee einer nationalistischen und wehrhaften „Familienlandsitz“-Bewegung gern harmlos unpolitisch. Doch insbesondere der Ostharzer Ableger „Weda Elysia“ verkehrt seit längerem mit bekannten Rechtsextremisten wie Nikolai Nerling oder besucht völkische Events.
Seit neuestem wird auch die Firma „Lesen und Schenken“ des Verlegers Dietmar Munier auf dem Blog und im Telegramkanal von „Weda“ beworben. In Wienrode suchen die völkisch-esoterischen Neusiedler Anschluss an die Dorfbevölkerung und zur ökologisch-orientierten Szene in Quedlinburg, Werningerode oder Halberstadt. Ein Kulturhaus als Zentrum wird direkt im Ort errichtet, diverses Land angepachtet und versucht, den Einfluss im vorpolitischen Raum vehement zu erweitern – sei es über den Kleingartenverein oder über kulturelle Veranstaltungen.
Schulgründung?
Auch vor der geplanten Gründung einer eigenen Schule wird vonseiten engagierter Bündnisse im Harz gewarnt. Doch die Aktivist*Innen um Alruna und Maik Schulz sind unermüdlich. Für Anfang April wird zu sogenannten Schaffenstagen nach Wienrode mobilisiert. Staatliche Warnungen vor der Kooperation mit rassistischen und antisemitischen Organisationen gibt es nicht.
Zahlreiche Mitglieder und Gäste der „Artgemeinschaft“ siedeln ebenfalls längst in ländlichen Regionen. Marcel Wöll und Familie leben auf einem großes Anwesen in Weißenborn im Burgenlandkreis. Wölls Ex-Frau betreibt von dort den Kyffhäuserverlag. Der ehemalige NPD-Vorsitzende aus Hessen und Leiter eines „Revolutionären Block“ galt als gewaltbereit.
Teilnehmer aus einschlägigen Kreisen
Sein „nationales Wohnprojekt“ in Butzbach sorgte lange für Angst und Schrecken in der Region.
Anwesend in Ilfeld war auch seine Frau mit Kleinkind. Deren Familie betreibt ein nationales Ferienzentrum in Brandenburg. Christian Fischer gehört zu den Neusiedlern um die sächsische Kleinstadt Leisnig. Nach dem Verbot der HDJ betätigte sich Fischer in der mutmaßlichen Nachfolgeorganisation „IG Fahrt und Lager“ weiter.
Zu deren Aktivisten listete die Polizei auch Tobias D. aus Bad Künzelsau auf. Inzwischen wohnt der Mann in Franken und besucht gemeinsam mit den polizeibekannten Wöll, Fischer und weiteren Kameraden die „Frühjahrstagung“ in Ilfeld. Von den NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (heute „Junge Nationalisten“, Anm. der Red.) bis zur gewaltbereiten Bremer Hooligansszene war Daniel Fürstenberg aktiv. Inzwischen zählt er zum Umfeld rechtsextremer Siedler in Groß Krams in Mecklenburg. Zeitweilig gehörte er nach 2005 dem „Arbeitskreis Siedlung“ der „Artgemeinschaft“ an, als diese ein ehemaliges Bundeswehrgelände im niedersächsischen Dörverden erworben hatte.
Frühjahrs-Programm
Einer, der in Ilfeld noch viel länger dabei ist, ist Horst P. aus der Nähe von Bad Schwartau. Seit 1998 soll der ehemalige Polizist zur „Artgemeinschaft“ zählen, einem Verein, der auch in Verfassungsschutzberichten Erwähnung findet. Seiner beruflichen Karriere in Lübeck scheint es nicht geschadet zu haben.
Auf dem Frühjahrs-Programm des rechtsextremen Vereins, der als äußerst antisemitisch gilt, stehen in diesem Jahr Ausflüge auf die Burgen Falkenstein und Hohnstein, abends ein „Thing“ nur für Mitglieder, das Aufstellen der Irminsul, Kinder- und Jugendprogramm sowie der „Bunte Abend um den Metkessel“.
Lübcke-Attentäter ehemaliges Mitglied
Die in der „Nordischen Zeitung“ abgedruckte Einladung soll nicht den Eindruck erwecken, bei der „Artgemeinschaft“ handele es sich um eine der gefährlichsten Organisationen des braunen Sumpfes. Doch Recherchen des RBB-Magazins „Kontraste“ legten zuletzt offen, dass mindestens zwei Angehörige einer mutmaßlich bewaffneten „Untergrundgruppe“ aus Niedersachsen in der Vergangenheit in Ilfeld dabei waren.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen zehn Rechtsextreme und Reservisten mit Kontakten bis ins Bundesverteidigungsministerium. Auffällig viele gewaltbereite und zu Kampf und Terror bereite Rassisten suchten bislang Kontakte und Austausch bei den mehrmals im Jahr stattfindenden Zusammenkünften in den waldigen Ausläufern des Harzes. Auch der Lübcke-Attentäter Stephan Ernst gehörte dem Verein bis mindestens 2011 an, wie durch den Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt bekannt wurde.
Forderung nach Verbot
Obgleich vieles am Hufhaus im Freien stattfindet, betonte das Thüringer Innenministeriums in einem Statement, es handele sich um „geschlossene Veranstaltungen“ in „überwiegend geschlossenen Räumen“. Auf eine Kleine Anfrage Landtagsabgeordneter, ob Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten während der Veranstaltungen begangen wurden, heißt es in der offiziellen Beantwortung lapidar: „Die Veranstaltungen wurden nicht mit polizeilichen Maßnahmen begleitet.“ Dementsprechend ist nichts bekannt.
„Krass“, empört sich die Thüringer Landtagsabgeordnete von Katharina König-Preuss (Die Linke). „Es gibt in Deutschland einen Verein und seine Strukturen, der sich im Kontext der NS-Ideologie sieht, ohne dass es ein Eingreifen gibt!“ Die Expertin weist darauf hin, dass Kinder und Jugendliche seit Jahren ungehindert diesem Einfluss ausgesetzt seien. König-Preuss fordert die Thüringer Landesregierung auf, schnellstens ein Verbot der rechtsextremen Organisation auf Bundesebene in die Wege zu leiten.