Arisch, russisch, wortgewandt – die Ideengeber der „national-patriotischen Kräfte“

Die theoretischen Konzepte der „Neuen Rechten“ Russlands, zu deren postsowjetischen Gründungsvätern beispielsweise die ehemaligen Vorsitzenden des nationalistischen Bündnisses „National-staatliche Partei Russlands“ (NDPR)1) der promovierte Philologe und Journalist Aleksandr Sevast'janov sowie der einstige Minister für Pressewesen Boris Mironov gehören,2) präsentierten der orientierungslosen, sich im Findungsprozess nach einer neuen kollektiven Identität befindenden Bevölkerung ein alternatives Wertesystem.
Die oberste Priorität in den philosophischen Abhandlungen russländischer Nationalisten genießt die Bedeutsamkeit der russischen Nation, welche die Ideengeber als höchstes Gut und Gottesgabe, deren Interessen stets die Belange des Staates übertrumpfen, postulieren. Der für den Posten des ideologischen Gurus des russischen Nationalradikalismus prätendierende Aleksandr Sevast'janov hebt in diesem Zusammenhang die eminente Rolle des „Blutprinzips“ hervor, welches er als „zweifellos notwendig, grundlegend und verpflichtend“ betrachtet: „Die gesamte Formel der russischen nationalen Einheit sieht in meinen Augen so aus: Blut und Geschichte. Denn Geschichte führt zurück auf die gemeinsamen Wurzeln, die gemeinsamen Vorfahren und letzten Endes zum gemeinsamen Blut.“3) Dabei kristallisiert sich unverkennbar die Tatsache heraus, dass sich hinter dieser Hypothese alleinig die Modifikation der in den westlichen rechtsextremen Kreisen verbreiteten Devise „Blut und Ehre“ verbirgt.
Sevast'janovs Gedanken aufgreifend argumentiert auch Dmitrij Nesterov, der unter diesem Pseudonym in Form eines Romans im Jahr 2003 die rechtsextremen Propagandaschrift „Skins. Rus' erwacht“ veröffentlichte:
Wenn wir uns die Nation als ein Haus vorstellen, dann können wir ihre drei Merkmale in Gestalt eines Fundaments aufmalen. Unser Fundament umfasst drei Blöcke – Rasse, Kultur und Liebe zur Nation. Auf dem Ersten Blick stützt sich unser Haus auf alle drei Blöcke gleichermaßen und würde beim Entfernen eines Elements in sich zusammenfallen. Doch beim genaueren Ansehen der Skizze erkennen wir sofort die tragende Säule. Aus der Rasse entspringt die Kultur, welche dann das nationale Bewusstsein des Individuums prägt. Das verloren gegangene nationale Bewusstsein kann reanimiert werden. Bei der Kultur gestaltet es sich schon schwieriger, ist aber dennoch realistisch. Abhanden gekommene Rassenmerkmale sind allerdings nicht wiederherstellbar.4)
„Russische Nation ist der letzte Hort des Arischen Geistes“, attestiert Aleksandr Baršakov, der mehrfach wegen Körperverletzung und Volksverhetzung verurteilte Begründer der Bewegung „Russische Nationale Einheit (RNE). Der russische Ethnos gilt in dem ultrarechten Milieu generell als direkter genetischer und kultureller Erbe der „Arischen Rasse“, der auch Weißrussen, Ukrainer, ein Teil der Westslawen, Deutsche, Schweden, Holländer und einige andere in Europa lebenden Völker angehören. Deshalb besteht die globale Aufgabe des russischen Volkes darin, für den Erhalt der „weißen Rasse“ zu sorgen und einen „Lebensraum von der Atlantik bis zum Stillen Ozean“ für sie zu schaffen.5) Der aufgrund harscher ausländerfeindlicher Äußerungen in der Öffentlichkeit und aktiver Teilnahme an Überfällen xenophobischer Natur bekannte Il'ja Lazarenko präzisiert diesen schicksalhaften, den Russen anvertrauten „Auftrag“: „Unser Ziel ist es, eine adäquate Rassenordnung auf dem Planeten zu konstituieren, damit die jeweiligen Rassen den Platz einnehmen, der ihnen zusteht: Weiße – den der Herrscher, Gelbe – den der Diener, Schwarze – den der Sklaven.“6)
Eine der furchtbarsten Sünden verkörpert die „Verunreinigung der großartigen Rasse der Weißen Menschen“ durch Partnerschaften oder gar Eheschließungen mit Angehörigen anderer Nationalitäten, welche die Erhaltung der ohnehin rasant schwindenden russischen Ethnie bedrohen: „Ein Mensch, der eine Mischehe eingeht, gleicht demjenigen, der während eines Krieges den Feinden die Tore öffnet.“7) Des Weiteren spornen die Rechtsextremisten ihre „Blutsbrüder und -schwestern“ zur Gründung möglichst kinderreicher Großfamilien an, um die Geburtenrate der ethnischen Russen zu maximieren und somit das Aussterben der slawischen Titularbevölkerung der Russländischen Föderation zu verhindern. Anders als die Versuche des Ul'janovsker Gouverneurs Sergej Morozov mit seinem Projekt „Gebäre einen Patrioten Russlands“, der sich an alle rund 100 in dem multiethnischen Staat beheimateten Völker richtet, dem demographischen Wandel effektiv entgegenzuwirken, wenden sich die rassistische Ansichten vertretenden „wahren Patrioten“ ausschließlich an die Russen. Der in den rechten Skinhead-Kreisen recht populäre Neonazi Salazar fordert in seiner Broschüre „Apartheid – Theorie der Rassentrennung“ die Russinnen dazu auf, mindestens fünf Kinder für die „vom Aussterben bedrohte Weiße Rasse“ zu gebären. Weiße europäische Frauen, die trotz ihres guten gesundheitlichen Zustandes keinen Nachwuchs auf die Welt bringen wollen, sollen eine „Kinderlosigkeitssteuer“ von 30 Prozent ihres Gehalts entrichten. Für die „bunten“ Familien, die sich auf den „weißen“ Territorien aufhalten, soll nach dem chinesischen Vorbild die Ein-Kind-Regelung gelten.8) In solchen den blanken Rassismus verherrlichenden, auf das historisch multiethnisch zusammengewachsene Russland völlig unzutreffenden Abhandlungen fehlen allerdings gänzlich jegliche handfeste Fundierungen für die akzentuierte Superiorität der „Weißen Rasse“, weshalb diese sinnwidrigen und grotesken Behauptungen sogar in den eigenen Reihen der Nationalisten eine klar sichtbare Verwirrung stiften.
Das Lancieren solch einer überheblichen, verachtungsvollen, negativen Position gegenüber anderen ethnischen Gruppen soll einerseits das Gefühl der nationalen Überlegenheit entfachen, andererseits Angst erwecken und somit die erwünschte ausländerfeindliche Haltung innerhalb der russischen Volksangehörigen aufreizen. Die Gesellschaft wird dabei in zwei klar von einander abgegrenzte Einheiten differenziert: „Wir“ – durch den Geburtsort, die Sprache, Kultur, Geschichte verbündeten Russen – und „Sie“ – Fremdländer, Eingereiste, Migranten, die kulturell-geographische Komponente miteinbezogen der Kaukasus, der Westen, Europa, Amerika und Zentralasien. Solche Determinationen dienen als Ausgangslage für die Formulierung radikaler Aussagen über die Notwendigkeit eines kollektiven Kampfes für das „Überleben der russischen Nation“ sowie für den „Erhalt des russischen Genoms“, was eine konsequente Abwehr sämtlicher „auswärtiger Gefährdungen“ zum „Schutz der russischen Bevölkerung“ erfordert: „Nationale Geschlossenheit und Sicherheit kann nur durch schrankenlose Rivalität mit anderen Nationen entstehen. Deshalb dürfen wir, Russen, auf gar keinen Fall die Völker vereinen, sondern müssen sie gnadenlos spalten.“9) Denn eine friedliche, freundschaftliche Koexistenz der verschiedenen Völker in der Russländischen Föderation, führe, wie die Erfahrung der letzte Jahre zeigt, zur Formierung krimineller „Banden“, die aufgrund ihres „unzivilisierten Wesens“ mittels Diebstähle, Vergewaltigungen und Morde die russische Zivilisation zerstören.10)
Während die politische Machtelite der Russländischen Föderation die wachsenden rechtsextremistischen Tendenzen in der Parteienlandschaft und Jugendkultur über Jahre hinweg weitgehend ignorierte, begann Vladimir Putin auf die alarmierenden Meldeberichte seitens inländischer sowie internationaler NGOs zu reagieren. Soziale Einschnitte und konstant sinkendes Bildungsniveau, aus Sicht von Experten die Hauptursachen für den Zulauf, den Neonazi-Vereinigungen in Russland trotz Verbot registrieren, sorgen auch bei etablierten politischen Parteien für die zunehmende Radikalisierung der Basis.11) Das gilt sowohl für die Nationalisten aus Vladimir Žirinovskijs so genannter Liberaldemokratischer Partei (LDPR) als auch für die Altstalinisten-Fraktion bei den Kommunisten, die schon des Öfteren mit nassforschen Sprüchen auffielen, welche trotz ansteigender Kritik von den Verunglimpfungskampagnen des Kremls verschont blieben. So machte der studierte Turkologe Žirinovskij in seinem notorischen Pamphlet „Der letzte Sprung nach Süden“ von 1993 die „Südler“, in erster Linie die muslimisch geprägten Asiaten, für die meisten historischen und aktuellen Probleme Russlands verantwortlich, woraus schlussfolgernd er eine unmittelbare Einverleibung der Türkei, des Irans sowie Afghanistans in ein neu zu errichtendes Russisches Imperium vorschlug.12) Ungeachtet dieser und vieler anderer Entgleisungen, die eindeutige fremdenfeindliche und antisemitische Züge trugen, erhielt Vladimir Žirinovskij im April 2006 von Putin persönlich den „Orden für die Verdienste um das Vaterland“ 4. Grades.
Unter den Dutzenden extremistischen Publizisten im heutigen Russland sticht vor allem der radikal antiwestliche Ideologe, bekennende Faschist und Gründer der „Internationalen Eurasischen Bewegung“ (IEB) Aleksandr Dugin samt seiner Gefolgsleute als ein besonders umtriebiges Netzwerk von politischen Aktivisten hervor, welches es vermochte, in staatliche Institutionen, Massenmedien, die Zivilgesellschaft sowie die akademische Welt feste Wurzeln zu schlagen. Von einer gesellschaftlichen Randfigur verwandelte sich Dugin 2008 zum Professor der Fakultät für Soziologie der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität, bekannt unter ihrer russischen Abbreviatur „MGU“, wo er seither das dortige Zentrum für Konservatismusforschung leitet.13) Obgleich er einerseits in den 1990er Jahren wiederholt seine Neigung für ausgesuchte Aspekte des Italofaschismus sowie Nazismus, unter anderem für die Waffen-SS, andeutete und das Dritte Reich als bislang konsequenteste Inkarnationen des von ihm bevorzugten „Dritten Weges“ charakterisierte, verurteilte der „Neo-Eurasist“ andererseits bei vielen Gelegenheiten ausdrücklich den deutschen Faschismus und Hitlers Verbrechen.14) Der trotz allem geglückte Karrieresprung Aleksandr Dugins illustriert, dass es anscheinend genügt, sich mit Lippenbekenntnissen von den schlimmsten Übeltaten des deutschen Nationalsozialismus zu distanzieren sowie ein allzu offenes Kopieren der nazistischen Symbolik zu vermeiden, um einer öffentlichen Stigmatisierung als „Faschist“ zu entgehen.
Fußnoten:
1)Aus dem Russischen: Nacional'no-deržavnaja Partija Rossii (NDPR) = National-staatliche Partei Russlands. Der 2002 gegründeten NDPR erkannte das russländische Justizministerium aufgrund der Verbreitung des extremistischen Gedankenguts, der Volksverhetzung sowie der nicht vorhandenen regionalen Verankerung in mindestens 45 Regionen bereits 2003 den Status einer offiziell zugelassenen Partei ab. Seit 2003 wirkt die NDPR als ein „Öffentliches nationalistisches Bündnis“, das russischen Nationalismus und eklatanten Antisemitismus propagierte. Vgl. hierzu Delo pisatelja Mironova. [Die Akte des Schriftstellers Mironov], in: Kommersant 13.12.2006; Pribylovskij, Vladimir: Istorija partii paukov v banke. Kratkij kurs. [Geschichte der Spinnen-im-Glas-Partei. Kurze Einführung], URL: http://www.anticompromat.org/ndpr/istndpr.html [12.03.2010].
2) Il'jušenko, Vladimir: Cennostnyje orijentiry russkich nacional-radikalov. [Orientierungswerte der russischen radikalen Nationalisten]. Moskva 2007, S. 1.
3) Sevast'janov, Aleksandr: Vremja byt' russkim! Tret'ja sila. Russkij nacionalizm na avanscene istorii. [Es ist Zeit, ein Russe zu sein! Dritte Gewalt. Russischer Nationalism auf der Schaubühne der Geschichte]. Moskva 2004, S. 116.
4) Dmitrij Nesterov / Pseudonym: Mitglied der russischen rechtsextremen Szene und Autor des 2003 in Moskau publizierten Romans „Skiny. Rus' probuždajetsja“ [Skins. Rus' erwacht]. Interview am 7.06.2008 in Moskau.
5) Vgl. hierzu Avdeev, V.: Rasovyj smysl russkoj idei. [Rassischer Sinn der russischen Idee]. Moskva 2000; Ivlev, K.: Ob istorii nacionalizma. [Über die Geschichte des Nationalismus], in: Patriot 25 / 2003; Šnirel'man, V.: Lica nenavisti (antisemity i rasisty na marše). [Gesichter des Hasses (Antisemiten und Rassisten am Anmarsch]. Moskva 2005.
6) Zitiert nach Il'jušenko, Vladimir: Cennostnyje orijentiry russkich nacional-radikalov. [Orientierungswerte der russischen radikalen Nationalisten]. Moskva 2007, S. 4.
7) Sevast'janov: Vremja byt' russkim! [Es ist Zeit, ein Russe zu sein!], S. 120.
8) Vgl. hierzu Salazar: Aparteid – Teorija Rasovogo Razdelenija. [Apartheid – Theorie der Rassentrennung]. Moskva 2001.
9) Sevast'janov: Vremja byt' russkim! [Es ist Zeit, ein Russe zu sein!], S. 140-141.
10) Gorodnikov, Sergej: Istori?eskoje prednazna?enije russkogo nacionalizma. Moskva 1993, S. 12 ff.
11) Aleksandr Tarasov: Dierektor des „Zentrums für neue Soziologie und Erforschung der praktischen Politik“ in Moskau. Telefoninterview am 13.03.2010.
12) Vgl. hierzu Žirinovskij, Vladimir: Poslednij brosok na Jug. [Der letzte Sprung nach Süden]. Moskva 1993.
13) Vgl. hierzu Ivanov, Vladimir: Alexander Dugin und die rechtsextremen Netzwerke. Fakten und Hypothesen zu den internationalen Verflechtungen der russischen Neuen Rechten. Stuttgart 2007; Umland, Andreas: Postsovetskij pravoekstremistskije kontrelity i ich vlijanije v sovremennoj Rossii. [Postsowjetische rechtsextremistische Gegeneliten und ihr Einfluss auf das gegenwärtige Russland], in: Neprikosnovennyj zapas 1 / 2008.
14) Dugin, Aleksandr: Konservativnaja Revolucija: Tretij put'. [Konservative Revolution: Der Dritte Weg]. Moskva 1991; Dugin, Aleksandr: Tamplijery Proletariata. [Die Tempelritter des Proletariats]. Moskva 1996; Dugin, Aleksandr: Metafizika Nacionalbol'ševozma. [Die Metaphysik des Nationalbolschewismus]. Moskva 1997.
Die oberste Priorität in den philosophischen Abhandlungen russländischer Nationalisten genießt die Bedeutsamkeit der russischen Nation, welche die Ideengeber als höchstes Gut und Gottesgabe, deren Interessen stets die Belange des Staates übertrumpfen, postulieren. Der für den Posten des ideologischen Gurus des russischen Nationalradikalismus prätendierende Aleksandr Sevast'janov hebt in diesem Zusammenhang die eminente Rolle des „Blutprinzips“ hervor, welches er als „zweifellos notwendig, grundlegend und verpflichtend“ betrachtet: „Die gesamte Formel der russischen nationalen Einheit sieht in meinen Augen so aus: Blut und Geschichte. Denn Geschichte führt zurück auf die gemeinsamen Wurzeln, die gemeinsamen Vorfahren und letzten Endes zum gemeinsamen Blut.“3) Dabei kristallisiert sich unverkennbar die Tatsache heraus, dass sich hinter dieser Hypothese alleinig die Modifikation der in den westlichen rechtsextremen Kreisen verbreiteten Devise „Blut und Ehre“ verbirgt.
Sevast'janovs Gedanken aufgreifend argumentiert auch Dmitrij Nesterov, der unter diesem Pseudonym in Form eines Romans im Jahr 2003 die rechtsextremen Propagandaschrift „Skins. Rus' erwacht“ veröffentlichte:
Wenn wir uns die Nation als ein Haus vorstellen, dann können wir ihre drei Merkmale in Gestalt eines Fundaments aufmalen. Unser Fundament umfasst drei Blöcke – Rasse, Kultur und Liebe zur Nation. Auf dem Ersten Blick stützt sich unser Haus auf alle drei Blöcke gleichermaßen und würde beim Entfernen eines Elements in sich zusammenfallen. Doch beim genaueren Ansehen der Skizze erkennen wir sofort die tragende Säule. Aus der Rasse entspringt die Kultur, welche dann das nationale Bewusstsein des Individuums prägt. Das verloren gegangene nationale Bewusstsein kann reanimiert werden. Bei der Kultur gestaltet es sich schon schwieriger, ist aber dennoch realistisch. Abhanden gekommene Rassenmerkmale sind allerdings nicht wiederherstellbar.4)
„Russische Nation ist der letzte Hort des Arischen Geistes“, attestiert Aleksandr Baršakov, der mehrfach wegen Körperverletzung und Volksverhetzung verurteilte Begründer der Bewegung „Russische Nationale Einheit (RNE). Der russische Ethnos gilt in dem ultrarechten Milieu generell als direkter genetischer und kultureller Erbe der „Arischen Rasse“, der auch Weißrussen, Ukrainer, ein Teil der Westslawen, Deutsche, Schweden, Holländer und einige andere in Europa lebenden Völker angehören. Deshalb besteht die globale Aufgabe des russischen Volkes darin, für den Erhalt der „weißen Rasse“ zu sorgen und einen „Lebensraum von der Atlantik bis zum Stillen Ozean“ für sie zu schaffen.5) Der aufgrund harscher ausländerfeindlicher Äußerungen in der Öffentlichkeit und aktiver Teilnahme an Überfällen xenophobischer Natur bekannte Il'ja Lazarenko präzisiert diesen schicksalhaften, den Russen anvertrauten „Auftrag“: „Unser Ziel ist es, eine adäquate Rassenordnung auf dem Planeten zu konstituieren, damit die jeweiligen Rassen den Platz einnehmen, der ihnen zusteht: Weiße – den der Herrscher, Gelbe – den der Diener, Schwarze – den der Sklaven.“6)
Eine der furchtbarsten Sünden verkörpert die „Verunreinigung der großartigen Rasse der Weißen Menschen“ durch Partnerschaften oder gar Eheschließungen mit Angehörigen anderer Nationalitäten, welche die Erhaltung der ohnehin rasant schwindenden russischen Ethnie bedrohen: „Ein Mensch, der eine Mischehe eingeht, gleicht demjenigen, der während eines Krieges den Feinden die Tore öffnet.“7) Des Weiteren spornen die Rechtsextremisten ihre „Blutsbrüder und -schwestern“ zur Gründung möglichst kinderreicher Großfamilien an, um die Geburtenrate der ethnischen Russen zu maximieren und somit das Aussterben der slawischen Titularbevölkerung der Russländischen Föderation zu verhindern. Anders als die Versuche des Ul'janovsker Gouverneurs Sergej Morozov mit seinem Projekt „Gebäre einen Patrioten Russlands“, der sich an alle rund 100 in dem multiethnischen Staat beheimateten Völker richtet, dem demographischen Wandel effektiv entgegenzuwirken, wenden sich die rassistische Ansichten vertretenden „wahren Patrioten“ ausschließlich an die Russen. Der in den rechten Skinhead-Kreisen recht populäre Neonazi Salazar fordert in seiner Broschüre „Apartheid – Theorie der Rassentrennung“ die Russinnen dazu auf, mindestens fünf Kinder für die „vom Aussterben bedrohte Weiße Rasse“ zu gebären. Weiße europäische Frauen, die trotz ihres guten gesundheitlichen Zustandes keinen Nachwuchs auf die Welt bringen wollen, sollen eine „Kinderlosigkeitssteuer“ von 30 Prozent ihres Gehalts entrichten. Für die „bunten“ Familien, die sich auf den „weißen“ Territorien aufhalten, soll nach dem chinesischen Vorbild die Ein-Kind-Regelung gelten.8) In solchen den blanken Rassismus verherrlichenden, auf das historisch multiethnisch zusammengewachsene Russland völlig unzutreffenden Abhandlungen fehlen allerdings gänzlich jegliche handfeste Fundierungen für die akzentuierte Superiorität der „Weißen Rasse“, weshalb diese sinnwidrigen und grotesken Behauptungen sogar in den eigenen Reihen der Nationalisten eine klar sichtbare Verwirrung stiften.
Das Lancieren solch einer überheblichen, verachtungsvollen, negativen Position gegenüber anderen ethnischen Gruppen soll einerseits das Gefühl der nationalen Überlegenheit entfachen, andererseits Angst erwecken und somit die erwünschte ausländerfeindliche Haltung innerhalb der russischen Volksangehörigen aufreizen. Die Gesellschaft wird dabei in zwei klar von einander abgegrenzte Einheiten differenziert: „Wir“ – durch den Geburtsort, die Sprache, Kultur, Geschichte verbündeten Russen – und „Sie“ – Fremdländer, Eingereiste, Migranten, die kulturell-geographische Komponente miteinbezogen der Kaukasus, der Westen, Europa, Amerika und Zentralasien. Solche Determinationen dienen als Ausgangslage für die Formulierung radikaler Aussagen über die Notwendigkeit eines kollektiven Kampfes für das „Überleben der russischen Nation“ sowie für den „Erhalt des russischen Genoms“, was eine konsequente Abwehr sämtlicher „auswärtiger Gefährdungen“ zum „Schutz der russischen Bevölkerung“ erfordert: „Nationale Geschlossenheit und Sicherheit kann nur durch schrankenlose Rivalität mit anderen Nationen entstehen. Deshalb dürfen wir, Russen, auf gar keinen Fall die Völker vereinen, sondern müssen sie gnadenlos spalten.“9) Denn eine friedliche, freundschaftliche Koexistenz der verschiedenen Völker in der Russländischen Föderation, führe, wie die Erfahrung der letzte Jahre zeigt, zur Formierung krimineller „Banden“, die aufgrund ihres „unzivilisierten Wesens“ mittels Diebstähle, Vergewaltigungen und Morde die russische Zivilisation zerstören.10)
Während die politische Machtelite der Russländischen Föderation die wachsenden rechtsextremistischen Tendenzen in der Parteienlandschaft und Jugendkultur über Jahre hinweg weitgehend ignorierte, begann Vladimir Putin auf die alarmierenden Meldeberichte seitens inländischer sowie internationaler NGOs zu reagieren. Soziale Einschnitte und konstant sinkendes Bildungsniveau, aus Sicht von Experten die Hauptursachen für den Zulauf, den Neonazi-Vereinigungen in Russland trotz Verbot registrieren, sorgen auch bei etablierten politischen Parteien für die zunehmende Radikalisierung der Basis.11) Das gilt sowohl für die Nationalisten aus Vladimir Žirinovskijs so genannter Liberaldemokratischer Partei (LDPR) als auch für die Altstalinisten-Fraktion bei den Kommunisten, die schon des Öfteren mit nassforschen Sprüchen auffielen, welche trotz ansteigender Kritik von den Verunglimpfungskampagnen des Kremls verschont blieben. So machte der studierte Turkologe Žirinovskij in seinem notorischen Pamphlet „Der letzte Sprung nach Süden“ von 1993 die „Südler“, in erster Linie die muslimisch geprägten Asiaten, für die meisten historischen und aktuellen Probleme Russlands verantwortlich, woraus schlussfolgernd er eine unmittelbare Einverleibung der Türkei, des Irans sowie Afghanistans in ein neu zu errichtendes Russisches Imperium vorschlug.12) Ungeachtet dieser und vieler anderer Entgleisungen, die eindeutige fremdenfeindliche und antisemitische Züge trugen, erhielt Vladimir Žirinovskij im April 2006 von Putin persönlich den „Orden für die Verdienste um das Vaterland“ 4. Grades.
Unter den Dutzenden extremistischen Publizisten im heutigen Russland sticht vor allem der radikal antiwestliche Ideologe, bekennende Faschist und Gründer der „Internationalen Eurasischen Bewegung“ (IEB) Aleksandr Dugin samt seiner Gefolgsleute als ein besonders umtriebiges Netzwerk von politischen Aktivisten hervor, welches es vermochte, in staatliche Institutionen, Massenmedien, die Zivilgesellschaft sowie die akademische Welt feste Wurzeln zu schlagen. Von einer gesellschaftlichen Randfigur verwandelte sich Dugin 2008 zum Professor der Fakultät für Soziologie der Moskauer Staatlichen Lomonosov-Universität, bekannt unter ihrer russischen Abbreviatur „MGU“, wo er seither das dortige Zentrum für Konservatismusforschung leitet.13) Obgleich er einerseits in den 1990er Jahren wiederholt seine Neigung für ausgesuchte Aspekte des Italofaschismus sowie Nazismus, unter anderem für die Waffen-SS, andeutete und das Dritte Reich als bislang konsequenteste Inkarnationen des von ihm bevorzugten „Dritten Weges“ charakterisierte, verurteilte der „Neo-Eurasist“ andererseits bei vielen Gelegenheiten ausdrücklich den deutschen Faschismus und Hitlers Verbrechen.14) Der trotz allem geglückte Karrieresprung Aleksandr Dugins illustriert, dass es anscheinend genügt, sich mit Lippenbekenntnissen von den schlimmsten Übeltaten des deutschen Nationalsozialismus zu distanzieren sowie ein allzu offenes Kopieren der nazistischen Symbolik zu vermeiden, um einer öffentlichen Stigmatisierung als „Faschist“ zu entgehen.
Fußnoten:
1)Aus dem Russischen: Nacional'no-deržavnaja Partija Rossii (NDPR) = National-staatliche Partei Russlands. Der 2002 gegründeten NDPR erkannte das russländische Justizministerium aufgrund der Verbreitung des extremistischen Gedankenguts, der Volksverhetzung sowie der nicht vorhandenen regionalen Verankerung in mindestens 45 Regionen bereits 2003 den Status einer offiziell zugelassenen Partei ab. Seit 2003 wirkt die NDPR als ein „Öffentliches nationalistisches Bündnis“, das russischen Nationalismus und eklatanten Antisemitismus propagierte. Vgl. hierzu Delo pisatelja Mironova. [Die Akte des Schriftstellers Mironov], in: Kommersant 13.12.2006; Pribylovskij, Vladimir: Istorija partii paukov v banke. Kratkij kurs. [Geschichte der Spinnen-im-Glas-Partei. Kurze Einführung], URL: http://www.anticompromat.org/ndpr/istndpr.html [12.03.2010].
2) Il'jušenko, Vladimir: Cennostnyje orijentiry russkich nacional-radikalov. [Orientierungswerte der russischen radikalen Nationalisten]. Moskva 2007, S. 1.
3) Sevast'janov, Aleksandr: Vremja byt' russkim! Tret'ja sila. Russkij nacionalizm na avanscene istorii. [Es ist Zeit, ein Russe zu sein! Dritte Gewalt. Russischer Nationalism auf der Schaubühne der Geschichte]. Moskva 2004, S. 116.
4) Dmitrij Nesterov / Pseudonym: Mitglied der russischen rechtsextremen Szene und Autor des 2003 in Moskau publizierten Romans „Skiny. Rus' probuždajetsja“ [Skins. Rus' erwacht]. Interview am 7.06.2008 in Moskau.
5) Vgl. hierzu Avdeev, V.: Rasovyj smysl russkoj idei. [Rassischer Sinn der russischen Idee]. Moskva 2000; Ivlev, K.: Ob istorii nacionalizma. [Über die Geschichte des Nationalismus], in: Patriot 25 / 2003; Šnirel'man, V.: Lica nenavisti (antisemity i rasisty na marše). [Gesichter des Hasses (Antisemiten und Rassisten am Anmarsch]. Moskva 2005.
6) Zitiert nach Il'jušenko, Vladimir: Cennostnyje orijentiry russkich nacional-radikalov. [Orientierungswerte der russischen radikalen Nationalisten]. Moskva 2007, S. 4.
7) Sevast'janov: Vremja byt' russkim! [Es ist Zeit, ein Russe zu sein!], S. 120.
8) Vgl. hierzu Salazar: Aparteid – Teorija Rasovogo Razdelenija. [Apartheid – Theorie der Rassentrennung]. Moskva 2001.
9) Sevast'janov: Vremja byt' russkim! [Es ist Zeit, ein Russe zu sein!], S. 140-141.
10) Gorodnikov, Sergej: Istori?eskoje prednazna?enije russkogo nacionalizma. Moskva 1993, S. 12 ff.
11) Aleksandr Tarasov: Dierektor des „Zentrums für neue Soziologie und Erforschung der praktischen Politik“ in Moskau. Telefoninterview am 13.03.2010.
12) Vgl. hierzu Žirinovskij, Vladimir: Poslednij brosok na Jug. [Der letzte Sprung nach Süden]. Moskva 1993.
13) Vgl. hierzu Ivanov, Vladimir: Alexander Dugin und die rechtsextremen Netzwerke. Fakten und Hypothesen zu den internationalen Verflechtungen der russischen Neuen Rechten. Stuttgart 2007; Umland, Andreas: Postsovetskij pravoekstremistskije kontrelity i ich vlijanije v sovremennoj Rossii. [Postsowjetische rechtsextremistische Gegeneliten und ihr Einfluss auf das gegenwärtige Russland], in: Neprikosnovennyj zapas 1 / 2008.
14) Dugin, Aleksandr: Konservativnaja Revolucija: Tretij put'. [Konservative Revolution: Der Dritte Weg]. Moskva 1991; Dugin, Aleksandr: Tamplijery Proletariata. [Die Tempelritter des Proletariats]. Moskva 1996; Dugin, Aleksandr: Metafizika Nacionalbol'ševozma. [Die Metaphysik des Nationalbolschewismus]. Moskva 1997.