"Knockout 51"

Angst und Schrecken im „Nazi-Kiez“

Seit Ende August läuft vor dem Oberlandesgericht in Jena der Prozess gegen vier Neonazis wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Straftaten. Er zeigt, dass die einst aufgebaute Drohkulisse der Gruppierung „Knockout 51“ weiter wirkt.

Freitag, 22. September 2023
Kai Budler
Die Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Jena, Foto: Kai Budler
Die Angeklagten vor dem Oberlandesgericht in Jena, Foto: Kai Budler

Es ist nicht nur die Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, die der Generalbundesanwalt vier Neonazis aus dem Raum Eisenach vorwirft. In der Anklageschrift finden sich auch 14 Fälle von gefährlichen Körperverletzungen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Waffenrecht in wechselnder Beteiligung.

Von einem dieser Fälle hatte bereits am dritten Prozesstag der 18-jährige Nico S. als Zeuge berichtet. Er hatte im Februar 2022 im Eisenacher Ortsteil Stregda eine Party veranstaltet, auf der der Angeklagte Eric K. mit Mitgliedern der „Jugend“ von „Knockout 51“ aufgetaucht war. K. soll den jungen Polizisten Justin C., der privat auf der Party war, mit einem Messer bedroht und mit schlagverstärkenden Quarzsand-Handschuhen fünfmal kräftig ins Gesicht geschlagen haben. Sein Opfer erlitt einen mehrfachen Splitterbruch am Kiefergelenksknochen und einen Bruch der linken Augenhöhle, das Jochbein unter dem linken Auge wurde an zwei Seiten gebrochen. Wie ein weiterer Zeuge erklärte auch Nico S. vor Gericht auf Nachfrage, er habe „Angst und Panik“ verspürt. Außerdem seien ihm Konsequenzen angedroht worden, wenn er bei der Polizei aussagen sollte.

Bedrohung wirkt weiter fort

Angst hatte auch Johannes M., wie er vor rund zwei Jahren in Vernehmungen nach einem Übergriff in Eisenach geschildert hatte. Er gehörte zu mehreren Männern, die im Februar 2021 vom Hauptangeklagten Leon R. sowie Andreas K. in dem von ihnen angestrebten „Nazi-Kiez“ geschlagen worden sein sollen. Der Grund: sie seien „Assis“, wie R. nach der Tat gesagt haben soll.

Seine Angaben aus den früheren Vernehmungen revidierte der heute 21-jährige Arbeitslose. Er sei nicht – wie ausgesagt – von R. aufgefordert worden, bei polizeilichen Nachfragen keine Angaben zu machen. Er habe ihn vielmehr gefragt, was er in diesem Fall machen solle, weil er damit keine Erfahrung habe. Auch Angst vor R. habe er nicht gehabt, sondern „Respekt“, sagte M. vor dem Staatsschutzsenat des OLG. Ein anderer Zeuge wollte ohne Rechtsbeistand keine Aussagen machen, ein weiterer war gar nicht erst erschienen. Weitere Zeug*innen sollen im Laufe des Prozesses, der bislang bis März 2024 terminiert ist, vernommen werden. Eine Einstellung des Verfahrens, wie sie der Rechtsanwalt von R., Steffen Hammer, gefordert hatte, lehnte die Kammer ab. Sie konnte nicht erkennen, dass R. kein faires Verfahren erwarten könne, sagte der vorsitzende Richter Martin Giebel.

Drohungen gegen Richter

Giebel steht im Zusammenhang mit „Knockout 51“ neuerdings selbst im Fokus von Neonazis. Kurz nach dem Ende des ersten Verhandlungstages war in sozialen Netzwerken ein Video aufgetaucht, in dem ein Foto mehrerer Neonazis zu sehen ist, die den Prozess besucht hatten und vor dem Gerichtsgebäude in Jena posieren. Unterlegt ist das Video mit Musik und unflätigen Beschimpfungen des Richters. Das Gericht prüft momentan mögliche Konsequenzen, will die erkennbaren Neonazis auf dem Bild aber nicht von einer Teilnahme als Zuschauer*innen ausschließen. Bislang seien keine Gründe erkennbar, die einen solchen Ausschluss rechtfertigen würden.

Die massive Präsenz der Neonazis an den ersten Verhandlungstagen hat nach Angaben der Opferberatung ezra in Thüringen ganz konkrete Folgen. Franz Zobel, Projektkoordinator von ezra, erklärte, Zeug*innen seinen der „direkten Konfrontation mit Unterstützer*innen aus dem extrem rechten Milieu ausgesetzt“. Er berichtet außerdem von „massiven verbalen Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber Zuschauer*innen und Journalist*innen durch das Umfeld der angeklagten Neonazis“. Ezra appelliert an das Gericht, „seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und einen Zeug*innenschutz zu garantieren“. Die Opferberatung befürchtet, dass der öffentliche Prozess ansonsten zum Tatort für rechte Angriffe werde.

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