Angst als Erklärung für Rechtsextremismus

Peter R. Neuman, der als Terrorismusforscher medial sehr bekannt ist, legt auch ein Buch zum Rechtsextremismus vor. Mit ideengeschichtlichem Blick macht er als zentralen Grund dafür aus: die Angst vor der Moderne.

Freitag, 10. November 2023
Armin Pfahl-Traughber
"Logik der Angst". Buchcover
"Logik der Angst". Buchcover

Es gibt unterschiedliche Erscheinungsformen von Rechtsextremismus. Doch worin bestehen ihre Gemeinsamkeiten, nicht nur bezogen auf die Ideologie, sondern auch auf die Motivlage? Diese Frage haben sich mittlerweile viele Wissenschaftler gestellt. Einen Antwortvorschlag liefert jetzt auch Peter R. Neumann, der am King’s College London eine Professur für Sicherheitsstudien innehat und als Radikalisierungs- und Terrorismusexperte auch medial überaus bekannt ist. Sein Buch „Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln“ will bereits im Titel einen entsprechenden Vorschlag präsentieren.

Es ist die Angst vor der Moderne, welche als primärer Bedingungsfaktor von Neumann genannt wird. Seine Beschreibung und Deutung ist dabei stark ideengeschichtlich fixiert, was für einen Gewalt- und Terrorismusforscher eigentlich etwas ungewöhnlich wirkt. Entsprechend ist der Blick in dem ganzen Buch eher auf Ideen, weniger auf Parteien oder Terroristen gerichtet. Der Autor will damit einen Beitrag zur analytischen Durchdringung des Rechtextremismus leisten, woraus dann erfolgreiche Gegenstrategien entwickelt werden könnten.

Bedingungsfaktoren: „Logiken“ und „Wurzeln“

Dabei gliedert sich seine Erörterung in zwei große Teile, einmal zu „Logiken“, zuvor zu „Wurzeln“. Bezogen auf diesen Gesichtspunkt postuliert Neumann, dass in den meisten Fällen die Gegnerschaft zu den Ideen der liberalen Moderne von prägender Relevanz war. Die entsprechenden Kapitel sind mit „Identität“, „Ordnung“ und „Pessimismus“ überschrieben. Wie auch bei seinen folgenden Ausführungen springt Neumann dabei thematisch und zeitlich hin und her. Immer wieder hebt er die erwähnte Konfliktlinie hervor, wobei diese anhand von unterschiedlichen Denkern aufgezeigt wird.

Ähnlich geht er im zweiten Block zu den „Logiken“ vor, hier stehen „Angst“, „Flucht“, „Kampf“ und „Macht“ im Zentrum. Dabei macht der Autor das Gemeinte anhand von verschiedenen Publikationen deutlich. Dies alles spricht für seine breiten ideengeschichtlichen Kenntnisse, wenngleich Manches etwas grobschnittig in den jeweiligen Zuordnungen wirkt. Gleichwohl gelingt es Neumann, die erwähnten gemeinsamen Strukturmerkmale auszumachen. Sie sind aber jeweils gleichzeitig auf Geschichtsphilosophen wie Massenmörder bezogen.

Die Gemeinsamkeit einer „Logik der Angst“

Der Autor präsentiert bereits in der Einleitung seine zentrale These: Demnach beruhen „trotz der größer werdenden Vielfalt von Ansichten und Akteuren praktisch alle Formen des Rechtsextremismus nach wie vor auf derselben Logik – einer Logik der Angst. Die Grundlage dafür ist seine historische Entwicklung: Rechte Ideen sind fast überall als Reaktion auf den Vormarsch der liberalen Moderne und ihrer zentralen Werte – Fortschritt, Universalität, Individualismus und Gleichheit – entstanden“. Diese Einschätzung könne man nicht nur beim historischen Faschismus, sondern auch beim gegenwärtigen Rechtspopulismus ausmachen.

Angstfaktoren seien heute eben die „liberalen Eliten“ oder die „bedrohlichen Fremden“. Diese Auffassung, so Neumann weiter, müsse auch stärker das präventive Vorgehen prägen. Gegen Ende mahnt er die Liberalen und Linken, sie sollten mehr Geduld mit den „Verlierern“ haben. Nur wenn man diesen Menschen eine ideelle und reale Perspektive gebe, würden sie in den gegenwärtigen Umbrüchen nicht einschlägigen politischen Versuchungen erliegen. Dies sei eine Aufgabe, die nie ende.

Angst als angemessener, aber nicht alleiniger Bedingungsfaktor

Ganz allgemein kann man diesen Aussagen über die für Rechtsextremismus auszumachenden Ursachen sicherlich zustimmen, wobei die erwähnte Frontstellung gegen die Moderne auch schon von vielen anderen Verfassern hervorgehoben wurde. Der Autor macht berechtigt die ideologische Gemeinsamkeit aus, welche Altrechte und Neurechte, Reichsbürger und Verschwörungsideologen prägt. Die mit Angst einhergehende Gefühlswelt erklärt wohl auch, warum ein Attraktivitätsfaktor in rechtsextremistischen Weltdeutungen besteht. Gleichwohl macht es sich Neumann mit dem ideengeschichtlichen Rundumschlag etwas zu einfach, denn nicht jedes Angstempfinden führt automatisch zum Rechtsextremismus.

Dafür müssen noch andere Bedingungsfaktoren in den Blick genommen werden, wozu die politische Kultur in unterschiedlichen Ländern zählt. Denn unterschiedliche Gruppen in unterschiedlichen Ländern reagieren unterschiedlich auf Umbrüche. Es bedarf daher auch einer größeren Differenzierung bei der Ursachenanalyse. Außergewöhnlich und lobenswert an dem Buch ist, dass auch einmal die ideengeschichtliche Dimension stärker ein Thema ist.  

Peter R. Neumann, Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln, Berlin 2023 (Rowohlt-Berlin-Verlag), 208 Seiten, 22 Euro

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