Angriff auf Polizisten: Kader der Identitären verurteilt

Prozess gegen zwei Mitglieder der „Identitären Bewegung“ wegen eines Angriffs auf Polizeibeamte in Zivil vor dem Amtsgericht Halle (Saale) endet mit einem Freispruch und einer Bewährungsstrafe.

Mittwoch, 24. Juni 2020
Valentin Hacken
Von dem ehemals von Mitgliedern der Identitären Bewegung bewohnten Haus ging der Angriff aus, Foto: Lukas Beyer
Von dem ehemals von Mitgliedern der Identitären Bewegung bewohnten Haus ging der Angriff aus, Foto: Lukas Beyer
Die Staatsanwaltschaft Halle (Saale) hatte Mario M. und Dorian Sch. vorgeworfen, sie hätten im November 2017 gemeinschaftlich Polizeibeamte angegriffen (ENDSTATION RECHTS berichtete). Nun erging bereits am zweiten Verhandlungstag das Urteil, ursprünglich war ein weiterer Verhandlungstag angesetzt gewesen. Das Gericht hörte zunächst als letzten Zeugen einen unmittelbaren Anwohner des inzwischen von der „Identitären Bewegung“ aufgegebenen, extrem rechten Hausprojekts in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in Halle. Er schilderte, wie an dem Tatabend zunächst offenbar betrunkene Personen auf der Straße vor dem Haus der „Identitären“ zu hören gewesen sein sollen, auch Parolen sollen sie skandiert haben.

„Revier abstecken“

Die „Identitären“ reagierten schnell, erinnert er sich. Aus mehreren Stockwerken ihres Hauses seien Flaschen auf die betrunkenen Passanten geworfen worden, manche seien nahe deren Füßen aufgekommen. Wenig später hätten eine Person mit Helm, Schild und Schlagstock und eine Person mit Baseballschläger das Haus verlassen. Im Prozess unumstritten war, dass es sich dabei um die Angeklagten handelte. Mit „entschlossener Körperhaltung“ seien sie aus dem Haus, beschreibt der Zeuge. Er habe den Eindruck gehabt, hier hätte jemand sein „Revier abstecken wollen“, sei auf „Krawall“ gebürstet gewesen. Der Angeklagte Mario M. sowie die Verteidiger hatten am ersten Prozesstag geschildert, die betrunkenen Passanten seien im Haus als Bedrohung wahrgenommen worden, man habe einen erneuten Angriff auf das Haus befürchtet. Doch dem Antrag der Verteidiger, die Akten der Verfahren gegen die Passanten beizuziehen, erteilte die Staatsanwaltschaft eine Absage. Die Verfahren seien eingestellt worden, die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwögen. Rechtsanwalt Heinig, Verteidiger von Dorian Sch., sah darin einen Beleg, dass Verfahren gegen „Linke“ immer eingestellt würden, wenn diese gegen Rechte vorgingen. Wie der Verteidiger von Mario M., Rechtsanwalt Hammer, hat er eine Vergangenheit in der rechtsextremen Musikszene. Auch der AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter der AfD und zwischenzeitlich im rechtsextremen Hausprojekt mit einem Büro vertreten, fand im Zuge des Verfahrens Erwähnung. Das Gericht verlas auf Antrag der Verteidiger die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage Tillschneiders zu Angriffen auf das Hausprojekt. Ein ebenfalls verlesenes Gutachten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt entlastete Mario M. hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die bei ihm gefundene Zwille nebst Stahlkugeln sei nicht als Waffe im Sinne des Waffengesetzes zu werten.

Staatsanwaltschaft fordert Bewährungsstrafen

Für Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner stand in seinem Plädoyer fest, die Angeklagten hätten den betrunkenen Passanten eine „Abreibung“ verpassen wollen. „Ich bin felsenfest überzeugt, sie wollten das Recht in die eigene Hand nehmen“, führte er aus. Dass sie dabei an Polizeibeamte geraten waren, sei den Angeklagten bewusst gewesen. Dennoch habe Mario M. mit einem Reizstoffsprühgerät wie es die Polizei verwende die Beamten in Zivil angegriffen. Diese hätten sich deutlich vernehmbar mit „Polizei“ und „Halt Polizei“-Rufen zu erkennen gegeben. Lenzner verwies auf die Aussage einer der Beamten, der wörtlich sagte, „tausendmal“ hätten er und sein Kollege das gerufen. Die Ausübung von Notwehr oder eines Jedermann-Festnahmerechts durch die bewaffneten Angeklagten sei nicht erkennbar, die gemeinschaftliche Begehung einer gefährlichen Körperverletzung durch die Beweisaufnahme hingegen belegt. Ebenso sah er den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte erfüllt. Er forderte für Mario M. ein Jahr Haft, auszusetzen auf vier Jahre Bewährung sowie 200 Stunden gemeinnützige Arbeit und die Zahlung von 2.000 Euro an die Staatskasse. Für Dorian Sch. acht Monate Haft, auszusetzen auf zwei Jahre Bewährung sowie 100 Stunden gemeinnützige Arbeit und ebenfalls eine geringere Zahlung an die Staatskasse. Doch das Gericht folgte weitgehend den Darstellungen der Angeklagten. Deren teilweise Einlassungen hätten keine Absprachen zwischen Mario M. und Dorian Sch. erkennen lassen, welche den gemeinsamen Angriff auf Polizeibeamte umfassten. Das Gericht ging zudem davon aus, dass Dorian Sch. zum Zeitpunkt des Reizgas-Angriffs von Mario M. auf die Beamten so weit abseits gestanden habe, dass er als Beteiligter ausscheide. Zu Gunsten der Angeklagten sei auch zu werten, dass der Angriff bereits so lange zurückliege. An der Verfahrensdauer hatte es immer wieder öffentliche Kritik gegeben.

Eine Verurteilung, ein Freispruch

Bei den betroffenen Beamten stellte das Gericht leichte Verletzungen fest, die „nicht dramatisch“ gewesen seien. Offen lies Richterin Aschmann bei der Urteilsbegründung in diesem Zusammenhang das Ende ihres Satzes „Ich will jetzt nicht sagen, als Polizeibeamter ist man das gewöhnt, aber…“. Doch Mario M. habe hier definitiv Personen angegriffen. Ob er jedoch habe erkannt habe,  dass es sich dabei um Polizeibeamte handelte, hätte das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen können, trotz der vielfach bezeugten „Polizei“-Rufe. Mario M. habe ja einen Helm getragen und es sei Adrenalin im Spiel gewesen, zeigte sich die Richterin verständnisvoll. Dorian Sch. sprach das Gericht frei, Mario M. wurde hinsichtlich der Anklage wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz freigesprochen. Den Angriff auf die Polizisten bewertete das Gericht als gefährliche Körperverletzung, konnte aber weder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte noch einen tätlichen Angriff auf diese feststellen. Mario M. wurde zu acht Monaten, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung, sowie zur Zahlung von 1.000 Euro an den Weißen Ring verurteilt. Das Gericht sah davon ab, dem Rechtsextremisten einen Bewährungshelfer an die Seite zu stellen. M. wirke nicht wie ein Person, die das brauche, er stehe fest im Leben, begründete Richterin Aschmann die Entscheidung. Auf Nachfrage von ENDSTATION RECHTS. gab Oberstaatsanwalt Lenzner an, die Staatsanwaltschaft wolle Rechtsmittel gegen das Urteil prüfen, da es doch erkennbar vom durch die Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß abweiche. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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