Esoterik
Anastasia–"Fest der Liebe“: eine Prise NSDAP, Romantik und Energiekleider
Bei einem am Donnerstag in „Südfranken“ gestarteten mehrtägigen „Fest“ wollen sich verschiedene rechtsesoterische Szenen weiter vernetzen. Bei völkischen Tänzen sollen sich Partner:innen für Großfamilien finden. Damit die Kinder ideologisch passen, werden etwa „Schoßreinigungen“ angeboten. Hinter dem harmonischen Reigen verbirgt sich ein langfristiger Plan - Antisemitismus und Rassismus inklusive.

Als Referenzpunkt für Interessiere gibt die zum Fest gehörige Webseite die Thingstätte in Eichstätt im nördlichen Oberbayern an. In der Nähe soll vom 27. bis 31. Juli das „Fest der Liebe“ der Anastasia-Bewegung stattfinden. Die Thingstätte Eichstätt, ein historischer Kultplatz der NSDAP, 1935 von den Nazis errichtet, war nur eine von zahlreichen Thingstätten, die Hitler im ganz Deutschland in Anknüpfung an nordische-germanische Kulte errichten ließ. Genutzt wurden sie für propagandistische NSDAP-Veranstaltungen und völkische Jahreskreisfeste wie etwa Sonnenwendfeiern.
Das Wort Thing geht auf die altnordische/germanische Tradition zurück und beschreibt das Treffen im Kreise eines Stammes. Hier versammelt sich die geballte Stärke, hier werden Entscheidungen getroffen, hier kommt der Stamm zusammen. 90 Jahre nach der Fertigstellung der Thingstätte in Eichstätt durch die Nazis wird diesem nun möglicherweise neues völkisches Leben eingehaucht, wenn die völkische, antisemitische Anastasia-Bewegung hier in der Nähe ihr „Fest der Liebe“ feiert. Der Verfassungsschutz stuft die Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall ein.
Das „Fest der Liebe“ findet jedes Jahr an unterschiedlichen Orten im deutschsprachigen Raum statt. Hier sollen insbesondere Liebesbeziehungen innerhalb der Anastasia-Gemeinschaft geknüpft werden. Analoges Tinder mit klaren völkischen Profilvorgaben sozusagen. Diese sind eindeutig: Ziel ist es, weitere Landsitze zu gründen, Familiensiedlungen, die den Stamm ernähren sollen. Ganz nach den Vorgaben in den Anastasia-Büchern. So gibt es an diesem Festival auch Vorträge über Familienlandsitzgründungen in anderen Regionen Deutschlands und zu Siedlungen in Russland. Wie jedes Jahr.
Die Anastasia-Bewegung hat ihren Ursprung in der gleichnamigen zehnbändigen Fantasy-Romanreihe von Wladimir Megre. Deren Hauptfigur Anastasia, blond und blauäugig, lebt in der russischen Taiga. Sie hat übersinnliche Kräfte, kommuniziert mit Tieren und Pflanzen. Megres Bücher – das erste ist 1996 erschienen – fanden reißenden Absatz auf dem Markt der braunesoterischen Welt. Anastasia und ihr von Megre erfundenes „uraltes wedisches Wissen“ werden von ihrer Anhängerschaft verehrt. Die Romanfigur ist Vorbild für das eigene Leben. Ziel ist es, die Vorgaben der Bücher treu zu befolgen, um so einen ähnlichen übernatürlichen Status zu erreichen wie Anastasia.
Die Bücher bieten Anleitung für jegliche Lebensbereiche – eine große Portion Antisemitismus, Rassismus und Sexismus inklusive. Anastasia erklärt, wie frau gebären soll, wie sie sich kleiden soll, wie sie sich als Frau verhalten soll und wie Mann und Frau sich lieben sollen. Endogamie, also das Schließen von Ehen innerhalb der ideologischen Community, ist wichtig – ganz im Sinne der Wurzelrassenlehre –, um das arisch-slawische Blut reinzuhalten und die völkischen Werte über Generationen weiterzugeben.
Kinderreiche Familienstämme sind in völkischen Kreisen ein Garant für das Fortbestehen der Gemeinschaft, für ihre Stärke und die von ihr selbst zugeschriebene Überlegenheit. Dasselbe Ziel verfolgte auch der Verein „Lebensborn“ im Dritten Reich, dessen Aufgabe es war, die Geburtenrate von arischen und erbgesunden Kindern zu erhöhen. Die Lebensrune Algiz zierte das Logo dieser arischen Zuchtstation.
Eine wichtige Rune, auch im heutigen völkischen Kontext. Auf Schloss Ober Neundorf, einem Anastasia-Sitz im sächsischen Görlitz, ziert diese Rune die Fassade des Schlosses. Daneben eingraviert ist „Friede, Freiheit, Selbstbestimmung“, der Slogan vieler Montagsspaziergänge. Wladislawa Ruggle und andere russische Nationalisten sind hier regelmässige Gäste und Initiatoren für völkische Veranstaltungen.
Wegbereiterin der Anastasia-Bewegung im Westen
Wladislawa Ruggle ist eine der Hauptprotagonistinnen und Wegbereiterinnen der Anastasia-Bewegung im deutschsprachigen Raum. Sie stammt ursprünglich aus dem Uralgebirge und ist 1995 in die Schweiz ausgewandert. Seit bald 25 Jahren verbreitet sie im deutschsprachigen Raum die braunen Lehren der Anastasia-Bewegung, organisiert Lesungen mit Megre und hält Seminare über die „Kraft der Ahnen“. Ihre Verbindungen reichen von Rechtsextremen im deutschen Raum bis zu ultranationalistischen russischen Extremisten.
Die Frauen bei Anastasia tragen lange, meist weiße Kleider. Genäht werden diese „Energiekleider“ ohne Knoten, um den Energiefluss nicht zu unterbrechen. Kurse zum energetischen Nähen kann man auch bei Ruggle besuchen. Die Kleider fallen glockenförmig weit offen bis auf den Boden, damit sich die Frau bzw. ihr Schossraum mit der Erde und der irdisch-weiblichen Energie verbinden kann. Bestickt werden sie meist mit einem roten Faden und mit verschieden Swastika-Symboliken. „Rod“ ist im wedischen Pseudoglauben die Wurzel, der Stamm, aber auch die Farbe, die dies repräsentiert. Rot soll es also sein. Rot auch die Farbe der Swastika auf ihren Kleidern.
Ruggles Fäden ziehen sich jedoch noch weiter als nur durch die Energiekleider. Geschickt spinnt sie diese von der Schweiz aus zwischen russischen, deutschen und österreichischen Anastasia-Anhänger:innen. In der Schweiz steht die Bewegung weder unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes (hier Nachrichtendienst genannt), noch sorgt sie für nennenswertes mediales Interesse. Ein perfekter Ausgangsort für Putins „fünfte Kolonne“.
Beim "Fest der Liebe“ dieses Wochenende wird Ruggle die Kreistänze anführen. Genau hier zeigt sich das Problem. Es sieht alles unscheinbar aus. So nett. Blumenkränze im Haar, lange Kleider, geflochtene Zöpfe und Lagerfeuerromantik. Doch die russischen Kreistänze haben eine wichtige sakrale Bedeutung im slawisch-wedischen Glauben der Anastasiawelt.
Fruchtbarkeitskult in völkischen Bewegungen
Im Thing verbindet sich die Energie der Stämme durch den Tanz, hier treffen sich Weiblichkeit und Männlichkeit. So wird zunächst in reinen Frauenkreisen und in reinen Männerkreisen getanzt. Die Idee dahinter ist es, das Energiefeld zu erhöhen, sich kosmisch zu verbinden, um sich dann energetisch zu vereinen zu einem starken Kreis. In diesem sollen sich die gegensätzlichen Pole von männlich und weiblich stärkend verbinden. All das dient der Fruchtbarkeit. Dem Stamm. Der slawisch-arischen Rasse.
Homosexualität wurde laut Ruggle von „jüdischen Hohepriestern“ initiiert, um einen „Genozid an der weißen Rasse“ zu verüben. Denn dann gibt es keine Kinder. „Keine Kinder“ wiederholt sie gebetsmühlenartig in einem Werbevideo für ihr „Kraft der Ahnen“-Seminar im Kanton Baselland. „Keine Kinder“ und das wollten angeblich „die Eliten“. Ruggle verbreitet hier eine der gefährlichsten Verschwörungserzählungen mit großer Anschlussfähigkeit.
Auch Oleg Pankow, russischer Nationalist, Rechtsextremist und Anastasia-Anhänger, gehört zu den unzähligen Fäden, die bei Ruggle zusammenlaufen. 2017 erklärte er in der thüringischen Gedächtnisstätte in Guthmannshausen dem Publikum, dass die Sig-Rune der Waffen-SS dazu diente, den Geist des Volkes bis in den Himmel zu erheben. Zu Ruggles Geflecht gehören auch Wjatscheslaw Seewald, Frank-Willy Ludwig von „Urahnenerbe Germania“ und Burghard Bangert, bekannt geworden als der „Nazi-Druide“. Bei ihm wurden mehrere Waffen sichergestellt. Er hatte zu Gewalt gegen Juden, Asylsuchende und Linken aufgerufen und den Mord am Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begrüßt.
Anastasia-Gründer Megre und seine Anhänger:innen glauben an Telegonie. Diese besagt, dass der erste Sexualpartner einer Frau das physische und psychische Bild ihrer Kinder prägt, auch wenn sie von einem anderen Mann stammen. Hat sie also vor der Ehe Sexualkontakt mit einem Dunkelhäutigen, haftet dies an der Frau. Sie ist beschmutzt. Sollte sie später Kinder mit einem weißen arischen Mann haben, sei es dennoch möglich, dass diese dunkelhäutig werden.
Das Konzept dieser „Vererbungslehre“ war primär in der Tiermedizin Thema. Es wurde von der Wissenschaft bereits vor über hundert Jahren verworfen und gilt als widerlegt – was allerdings die Nazis nicht davon abgehalten hat, die Telegonie als sogenannte Imprägnationstheorie ideologisch zu verwerten. Sie gilt noch heute bei Anastasia-Anhänger:innen. Die Telegonie wird in den Büchern auch als Grund genannt, warum sich viele Männer nicht richtig um ihre Kinder kümmern. Denn hatte die Frau Sex mit einem anderen Mann vor der Ehe, sind diese energetisch nicht ganz seine eigenen. Aber natürlich gibt es auch dafür Abhilfe in der Anastasia-Welt: aufwändige „Schossraumreinigungszeremonien“.
Mehr zur „energetischen Reinigung des Beckenraumes (für Frauen und Männer)“ soll eine gewisse Sabina im Rahmen ihres Vortrags beim „Fest der Liebe“ erzählen. Titel: „Ordnungen des Lebens und der Liebe“. Ihr Referat behandelt die fünf biologischen Naturgesetze – jene Naturgesetze, auf welchen die Germanische Neue Medizin (GNM) aufbaut. Diese antisemitische Pseudomedizin, erfunden von Ryke Geerd Hamer, hat bereits zahlreiche Tote zu verantworten. Chemotherapien beispielsweise werden in der GNM als eine von Juden gegen die „weiße Rasse" eingesetzte genozidale Maßnahme angesehen. Ähnliche Verschwörungen kursierten auch zur Corona-Impfung.
Nach ihrem Vortrag bietet „Sabina“ die energetische Reinigung des Beckenraumes direkt vor Ort an. Safer Sex in völkisch sozusagen. Neben Kursen zur "Germanischen Neuen Medizin" mit Schossraumreinigung und den Kreistänzen von Ruggle stehen auch Kurse zur Stärkung der Weiblichkeit auf dem Programm, außerdem mehrere Gespräche in getrennten Männer- und Frauenkreisen.
Wenig überraschend können Rechtsradikale, Reichsbürger:innen und Verschwörungsideolog:innen der Anastasia-Bewegung einiges abgewinnen. Der ökologische, naturverbundene und staatsferne Anstrich verfängt und lässt die Gemeinschaft rasch wachsen. Dabei existieren zahlreiche personelle und ideologische Verflechtungen. Das „Königreich Deutschland“ um Peter Fitzek etwa vertritt ideologisch die Ziele der Anastasia-Bewegung, welche auch die "Germanische Neue Medizin" und die Schetinin-Pädagogik praktiziert.
Die Vernetzung und die Anschlussfähigkeit des Anastasia-Kults in andere Gruppierungen ist so groß geworden, dass sich die einzelnen Protagonist:innen und Bubbles kaum noch trennen lassen. Doch der Öko-Anstrich trügt, die Anastasia-Bewegung ist gefährlich und das „Fest der Liebe“ keine harmlose Zusammenkunft mit etwas Tiefgang. Auf einem Treffen der Russlanddeutschen Konservativen und dem rechtsradikalen „Arminius Bund" schwärmte der Holocaustleugner und Rechtsextremist Nikolai Nerling, bekannt als der „Volkslehrer“, von den Anastasia-Strukturen: „Sie sind radikal, sie sind dezentral, sie sind unabhängig und sie können kämpfen…“