Alibiveranstaltung

Zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 führte die braune Szene am Sonntag ihren „Traditionsmarsch“ durch – ein Großteil der NPD- und Kameradschaftsanhänger scheint sich aber für die Teilnahme an der „Großveranstaltung“ am kommenden Wochenende entschieden zu haben.

Montag, 14. Februar 2011
Andrea Röpke

Die Luft war schneidend kalt, der Sammelplatz an der Bayerischen Straße, gleich hinter dem Dresdner Hauptbahnhof, unwirtlich. Es schien, als wenn alle Teilnehmer die Veranstaltung als Pflichtübung schnell hinter sich bringen wollten. Die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO), vertreten durch den sächsischen Landeschef Kai Pfürstinger, hatte wie bereits seit Jahren zum „Trauermarsch zum Gedenken an die Opfer der Alliierten Terrorangriffe auf Dresden 1945“ geladen. Mehr als tausend Rechte folgten dem Aufruf. Sie kamen überwiegend aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Ein paar jüngere und ältere Leute waren aus den südlichen Bundesländern angereist. Der Norden war nicht vertreten, auch nicht durch Mitglieder der NPD-Führung in Mecklenburg-Vorpommern.

Es hatte zunächst für interne Verwirrung gesorgt, dass an zwei aufeinander folgenden Wochenenden Demonstrationen erfolgen sollten. Inzwischen scheint sich der Großteil der NPD- und Kameradschaftsszene für die Teilnahme an der am kommenden Samstag geplanten „Großveranstaltung“ entschieden zu haben. Viele Verbände orderten Bahntickets und Busse für den 19. Februar.

Proteste auf die andere Seite der Elbe verbannt

Die kleinere Veranstaltung am 13. Februar hingegen wurde aufgrund des historischen Datums der Bombardierung als „Traditionsmarsch“ von der JLO beworben. Die Behörden hatten im Vorfeld dafür gesorgt, dass die Neonazis nicht – wie im letzten Jahr erfolgreich gelungen – blockiert werden würden. Gegenveranstaltungen waren auf die andere Seite der Elbe verbannt worden. Immerhin nahmen rund 17 000 Menschen an den Protesten, aber vor allem an eigenen Gedenkfeiern teil.

Proteste in Sicht- und Hörweite der Geschichtsleugner sind in Dresden seit Jahren unerwünscht. Beamte aus mehreren Bundesländern sicherten die Eingänge von Studentenwohnheimen in der Nähe der Technischen Hochschule ab. Niemand durfte während des Neonazi-Aufmarsches hinaus. Hubschrauber kreisten. Auch wurde zur Aufklärung über antifaschistische Bewegungen eine „Drohne“ eingesetzt, wie die Einsatzleitung gegenüber der „taz“ einräumte. Entlang der Aufmarschroute der Neonazis wirkten die Straßen wie ausgestorben. Knapp tausend NPD-Gegner schafften es dennoch am frühen Nachmittag in die Südvorstadt. Viele versammelten sich stundenlang friedlich in der Nähe der Marschroute an der Bergstraße. Obwohl sogleich berittene Polizei anrückte und mehrere Wasserwerfer vorgefahren wurden.

„Flucht – Vertreibung – Bombentod“

Mit rund zweistündiger Verspätung setzen sich die „geschichtsbewussten Deutschen“ (NPD) gegen 17.00 Uhr am gestrigen Sonntag in Bewegung. Vier junge Frauen tragen das weiße JLO-Transparent mit der Aufschrift: „Flucht – Vertreibung – Bombentod – Euer Opfer – Unser Auftrag!“ Organisator Pfürstinger wirkte nervös. Wenig bekannte Neonazi-Kader unterstützten ihn. Maik Müller von den Freien Kräften aus Dresden war dabei, ebenso Tommy Naumann aus Leipzig. Die achtköpfige Landtagsfraktion der NPD in Sachsen hielt Abstand. Begnügte sich später mit einer Aufstellung in der zweiten Reihe. Der Leipziger NPD-Stadtratskandidat Istvan Repaczki kümmerte sich um den Ordnungsdienst. Deren Anhänger gingen unmittelbar nach dem Start auf die zahlreichen Fotografen los. Es gab ein großes Medieninteresse, auch einige ausländische Fernsehteams waren angereist.

Selbstbewusst hatte der Hauptredner und Historiker Olaf Rose zuvor noch lange Interviews gegeben. Sein Redebeitrag vor dem Marsch missfiel scheinbar einigen Kameraden, es gab vereinzelte Pfiffe. Dem Taktiker wird die internationale Medienaufmerksamkeit sehr bewusst gewesen sein. Rose hatte auch die Kriegstoten der Alliierten in die Schweigeminute miteinbezogen. Zudem schien er für manch revisionistischen Geschmack die alliierten Bombenflüge als zu wenig „verbrecherisch“ dargestellt zu haben.

NPD-Spitze aus Sachsen in der zweiten Reihe

Der Start verzögerte sich, weil rund 100 Neonazi-Demonstranten, vornehmlich aus Nordrhein-Westfalen noch erschienen und die Polizeikontrollen passieren mussten. Einzelne wurde genauer durchsucht. Dann wurden die ersten Fackeln entzündet.

Hinter den wenigen Landsmannschafts-Anhängern lief die NPD-Spitze um Holger Apfel, die erst spät mit einem Kleinbus angekommen war. Gitta Schüßler, Landtagsabgeordnete der NPD aus Zwickau, reiste mit jüngeren Leuten und Ehemann an. Stolz zeigte sie einigen Frauen das Transparent vom „Ring Nationaler Frauen“. Getragen wurde es anschließend nicht von ihr, der geschassten ehemaligen Vorsitzenden, sondern von ihrer Nachfolgerin Edda Schmidt aus Baden-Württemberg und auch von Jasmin Apfel aus Riesa.

Beziehungssstress über Facebook enthüllt

Viel mehr als die Bombardierung Dresdens schien einige NPDler die Medienenthüllungen ihrer gehackten Mails zu interessieren. Es war Internes über Finanzierungen, Strategien oder Wahlkampfplanungen ans Tageslicht gekommen. Auch der latent vorherrschende Rassismus sowie NS-Huldigungen wurden gut sichtbar. Insbesondere unter den jüngeren Freien Nationalisten muss zudem deren Sorglosigkeit im Umgang mit Internet und ungeschütztem Mailverkehr Kopfschütteln verursacht haben. Zumal einer der Parteivordenker seinen Beziehungsstress mit einer führenden Aktivistin über Facebook auszuleben schien. Interne Brüche wurden sichtbar, der „Mythos Kameradschaft“ vorgeführt. Doch nicht nur die Männer scheinen betroffen, auch die Kameradinnen zogen allzu offen über einander her.

Von diesen Zwistigkeiten werden die älteren Demo-Teilnehmer wenig gewusst haben. Sie unterhielten sich angeregt über alte Zeiten. Der extrem rechte Liedermacher Friedrich Baunack hatte zwei jüngere Frauen dabei. Die ehemaligen „Frontbann24“-Anhänger aus Berlin waren in einer Gruppe erschienen. Ein paar Schlesier zeigten ihre Fahne. Heilwig Holland vom „Schutzbund für das deutsche Volk“ verteilte Flyer.

NPD-Stadträtin filmt diverse Veranstaltungen

Unwohl schien sich die Zittauer NPD-Stadträtin Antje Hiekisch zu fühlen. Sie bewegte sich mit Ehemann und jungem Kollegen außerhalb des mit Gittern abgesperrten Versammlungsplatzes. Es war einigen Journalisten aufgefallen, dass sie als „normales“ Filmteam getarnt bereits den ganzen Tag diverse Veranstaltungen in Dresden gedreht hatten. Scheinbar froh alles überstanden zu haben, huschte Hiekisch beim Aufmarschstart schnell in die vertrauten Reihen. „Heimattreues Leipzig“, Nationale Sozialisten Berlin und die Freien Nationalisten Leipziger Land zeigten sich mit Transparenten. Einige allzu bunt gekleidete Frauen aus Mügeln erregten Aufmerksamkeit.

Anwohner zeigten sich nicht entlang der Demonstrationsroute. Kaum jemand war an den Fenstern zu sehen. Gegen 19.00 Uhr, zurück am Versammlungsort, beschwor ein „ausländischer Gast aus Litauen“ die „alte Waffenbrüderschaft“. Maik Müller als Sprecher des neonazistischen „Aktionsbündnisses gegen das Vergessen“ hielt einen kurzen Beitrag. Das „Lied der Deutschen“ wurde gesungen. Doch die Rituale konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stimmung unter den Neonazi wenig feierlich war und außerdem die ohnehin kurze Route durch den aus der Nähe wahrnehmbaren Gegenprotest in Hochschulnähe eilig von der Verantwortlichen der Polizei noch weiter verkürzt worden war.

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