"Plandemie 2.0"
Affenpocken sorgen für Hysterie unter Verschwörungsgläubigen
Das Thema Corona hat in rechten Kreisen und der Querdenker-Szene Mobilisierungspotential eingebüßt. Nahezu dankbar scheinen sich nun einige Akteure der Diskussion um das Affenpockenvirus anzunehmen – um sie für eigene Propaganda-Zwecke zu instrumentalisieren.

Spätestens mit der Aufhebung fast aller COVID-19-Schutzmaßnahmen wurde die verschwörungsideologische Querdenker-Szene Deutschlands vor eine große Herausforderung gestellt. Diese dreht sich vor allem um die Frage, wie man Mobilisierungspotential der Bewegung erhalten kann. Die Teilnehmerzahlen von „Spaziergängen“ und Demonstrationen sind kontinuierlich rückläufig. Der Versuch, den Ukraine-Konflikt als neues Thema zu besetzen, brachte keine neuen Dynamiken. Nun hat sich in der letzten Woche für die Szene eine neue Möglichkeit aufgetan: Das ursprünglich in West- und Zentralafrika verbreitete Affenpockenvirus, welches sich gerade für eine Reihe an Infektionsketten in Europa, Nordamerika und Australien verantwortlich zeigt.
Da die Übertragungsgefahr des Affenpockenvirus' von Mensch zu Mensch relativ gering ist, weisen Fachleute die Sorge vor einer neuen Pandemie zurück. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält eine Eindämmung der Erkrankung für möglich, es läge kein Grund für Massenimpfungen vor. In Deutschland würden laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zwar Vorbereitungen für die mögliche Beschaffung von Impfstoffen getroffen, aber auch hier steht eine Impfung der allgemeinen Bevölkerung nicht zur Debatte. Dennoch hält dies viele Akteure des rechten und verschwörungsideologischen Spektrums nicht davon ab, prophetisch eine vermeintliche „Corona-Diktatur 2.0“ inklusive Impfpflicht zu beschwören.
Anschluss an das Narrativ eines „Great Reset“
Dabei sind die Affenpocken nicht erst seit letzter Woche Thema in den einschlägigen Telegram-Kanälen. So machte bereits im Juni 2021 die Nachricht eines stark begrenzten Ausbruchs in Wales die Runde. „Querdenker-Arzt“ und QAnon-Anhänger Bodo Schiffmann mutmaßte damals schon: „Nach dem COVID-19 im Sterben liegt braucht man dringend einen Pandemie Nachschub.“ Daran anschließend und ganz in der szenetypischen Deutung der Corona-Pandemie verhaftet, suggeriert er jetzt eine zweite „Plandemie“. Der Ausbruch des Virus sei mit langem Vorlauf geplant worden. Dabei verweist er, wie viele andere Verschwörungsideologen auch, auf ein im März 2021 durchgespieltes fiktives Szenario einer weltweiten Ausbreitung eines gentechnisch veränderten Affenpockenvirus. Dass dieses Szenario vor allem dazu diente, das Risiko biologischer Bedrohungen zu analysieren und gefährliche Lücken in der Aufsicht über die Biotechnologie aufzuzeigen, wird von Schiffmann dabei bewusst übergangen.
Diese Deutung der Situation reiht sich nahtlos in die Vorstellung eines „Great Reset“ ein. Nach dieser eindeutig antisemitisch gefärbten Verschwörungserzählung würde eine „globale Finanzelite“ planen, die derzeitige Weltwirtschaftsordnung zurückzusetzen, in Zuge dessen eine „weltweite Gesundheitsdiktatur“ etablieren zu wollen, um so die Massen nach ihren Belieben kontrollieren zu können. Eng damit verbunden sind die derzeit laufenden Verhandlungen um einen „WHO-Pandemievertrag“, auf den sich die WHO-Mitgliedsstaaten im Dezember 2021 geeinigt hatten. Verschwörungsgläubige fürchten durch diesen Vertrag die Aufgabe „der nationalen Souveränität und des Rechts des Einzelnen“.
Die „Plandemie 2.0“ gilt angeblich als bewiesen
Aufgriffen wird diese Argumentation auch von dem rechtsextremen Compact-Magazin um Chefredakteur Jürgen Elsässer. Die WHO würde „derzeit an einem Plan zur Ausweitung ihrer Macht und zur weiteren Aushöhlung der Souveränität ihrer Mitgliedsstaaten“ arbeiten. Es gäbe einen geheimen Plan „globaler Eliten“ zur „Errichtung einer neuen Weltordnung“. Alarmistisch und Panik-beschwörend teilt man mit: „Corona, Impfungen und die Ukraine-Eskalation waren erst der Anfang!“ In ähnlicher Weise äußert man sich auch von Seiten des österreichischen Verschwörungssenders „AUF1-TV“, hinter dem der Rechtsaußen-Aktivist Stefan Magnet steht. Dass sich der aktuelle Ausbruch der Affenpocken tatsächlich mit dem fiktiven Datums des Planspiels decke, grenze „an blanken Hohn“ - damit sei die „Plandemie“ angeblich bewiesen.
Allerdings werden innerhalb der Szene auch weitere vermeintliche Beweise angeführt. Verdächtig scheint etwa, dass die USA bereits 2019 dem Affenpocken-Impfstoff „Jynneos“ die Zulassung erteilt und jüngst neue Dosen bestellt haben. Auch wird durch reichweitenstarke Verschwörungsideologen wie Eva Herman und Oliver Janich in ihren Telegram-Kanälen auf den Umstand hingewiesen, dass der erste deutsche Affenpocken-Patient in der gleichen Klinik behandelt wird wie Anfang 2020 der erste COVID-19-Patient. Dem behandelnden Arzt, Dr. Clemens Wendtner, wird dabei die Fälschung von PCR-Test-Ergebnissen vorgeworfen – ein vertrautes, szenetypisches Muster, welches bereits im Zuge der Corona-Pandemie zur Anwendung kam. Dass im Januar in der EU das Medikament „Tecovirimat“ zur Behandlung von Affenpocken zugelassen wurde, wirkt auf die Wahngebilde weiter bestärkend. Janich hält kommende „Zwangsimpfungen“ für unausweichlich und fordert für ihn typisch „TRIBUNALE, TRIBUNALE, TRIBUNALE!!!“
Eingliederung der Affenpocken in bekannte Deutungsmuster
Darüber hinaus wird die Diskussion um Affenpocken aber auch dafür bemüht, die Corona-Schutzimpfungen zu diskreditieren. So ist der in die Türkei geflüchtete Rechtsextremist Attila Hildmann der Überzeugung, mit den Affenpocken würde vor allem das Ziel verfolgt werden, unerwünschte Nebenwirkungen der Corona-Impfung in Form von Gürtelrosen zu vertuschen. Die ebenfalls ins Ausland abgetauchte Duderstädter Ärztin Carola Javid-Kistel geht dabei sogar noch einen Schritt weiter. In ihrem Telegram-Kanal teilt sie Nachrichten, die eine Infektion mit Affenpocken als direkte Folge von Vektor-Impfstoffen wie „Vaxzevria“ von AstraZeneca darstellen, da diese auf Basis eines unter Schimpansen verbreiteten Adenovirus hergestellt werden. Da eine ausschließliche Infektion von Geimpften mit dem Affenpockenvirus jedoch zu auffällig sei, wird zusätzlich eine Verbreitung des Virus unter Ungeimpften über das Trinkwasser behauptet.
Insgesamt gesehen scheinen sich rechte und verschwörungsideologische Akteure in einer Sache sicher zu sein: Die mediale Berichterstattung über die aktuellen Affenpocken-Fälle dient angeblich vor allem dem Zweck, nach dem Abflachen von COVID-19 erneut Panik zu verbreiten und den pandemischen Ausnahmezustand künstlich zu verlängern. Im Telegram-Kanal des österreichischen Identitären Martin Sellner wird gefragt: „Ernstzunehmende Krankheit oder neuer Vorwand für tyrannische Regierungsmaßnahmen?“ Die rechtsextreme Kleinstpartei der „Freien Sachsen“ begreift die Affenpocken als von der WHO inszeniert und wundert sich, „ob es einen fließenden Übergang von Corona zu den Affenpocken gibt“. Ähnliches hört man aus Kreisen der neonazistischen Partei „Die Rechte“: „Corona zieht nicht mehr richtig. Da muß was neues her.“
Nutznießer einer Pseudo-Panik
Es wirkt fast schon zynisch, dass bezüglich der Affenpocken in der Szene vor Panikmache und Hysterie gewarnt wird – schließlich baut sich in dieser selbst eine neue Bedrohungslage auf, die weder der Realität entspricht, noch mit Medienberichten und Einschätzungen von Experten übereinstimmt. Tatsächlich sind die Akteure selbst Nutznießer der aktuellen Situation: Aufbauend auf den Erfahrungen mit dem Corona-Virus soll der eigene Einflussbereich erhalten oder dank der breiten medialen Aufmerksamkeit gar noch vergrößert werden. Ganz in diesem Sinne begreift es auch der rechtsextreme Videoblogger Matthäus Westfal, aka „Aktivist Mann“, in einer Videobotschaft vom Dienstag. Nach ihm müsste nun „die letzte und nicht gerade hellste Birne verstehen, welches Spiel hier gespielt wird.“