Affenlaute und Bananen

Der italienische Fußball hat nach wie vor ein massives Problem mit Gewalt und Diskriminierung. Vor allem offener Rassismus und territoriale Diskriminierung prägten die vergangene Saison.

Freitag, 12. September 2014
Joachim Wolf

Ciro Esposito starb am Ende Juni in einem römischen Krankenhaus – der 30-jährige Napoli-Fan erlag den schweren Verletzungen, die ihm bei einem Angriff von Roma-Fans vor dem italienischen Pokalfinale am 3. Mai zugefügt worden waren. Kurz nach der Auseinandersetzung war Daniele De Santis, ein ehemaliger Ultra des AS Rom mit guten Kontakten in die rechtsextreme Szene verhaftet worden, da er laut Augenzeugen gemeinsam mit anderen die Napoli-Fans vor dem römischen Olympia-Stadion attackiert und auf sie geschossen haben soll. Allerdings standen sich an diesem Tag im Finale des italienischen Pokals der SSC Neapel und der AC Florenz gegenüber – AS Rom war nämlich gar nicht am Endspiel beteiligt, sondern bereits im Halbfinale gegen Neapel aus dem Wettbewerb geflogen. So könnte der brutale Angriff zum einen als perverser „Racheakt“ für diese Niederlage gesehen werden. Zum anderen empfanden es die römischen Fans wohl auch ganz allgemein als „Provokation“, dass die von ihnen gehassten Neapolitaner an diesem Tag in „ihrer“ Stadt waren. Und so zeigt die hemmungslose Attacke auch, dass die teilweise tiefe Abneigung nicht nur der italienischen Fanlager, sondern auch der Regionen und Städte Italiens gegeneinander in tödlicher Gewalt enden kann.

Der italienische Fußballverband hat schon länger die Antirassismus-Vorschriften der UEFA um einen Paragrafen erweitert: Vereinen drohen seitdem auch in Fällen von „territorialer Diskriminierung“ durch ihre Fans Strafen wie Kurven- oder Stadionsperrungen sowie Geldstrafen. Territoriale Diskriminierung meint dabei die weit verbreiteten Vorurteile der Norditaliener gegen die Süditaliener, aber auch die teilweise große Abneigung vieler Regionen und Städte gegeneinander. Beschimpfungen wie „Terroni“ („Erdfresser“) fallen hierunter. Und Fan-Gesänge wie dieser: „Merkst du den Gestank, da flüchten ja die Hunde: Die Neapolitaner kommen. Oh, diese Cholera-Kranken, das Erdbeben hat sie platt gemacht, ein Stück Seife haben die noch nie gesehen. Napoli, du bist eine Schande für Italien“.

Diskriminierende Gesänge gegen Neapolitaner

Oder das Lied „Oh Vesuv, wasch` sie mit Feuer“ („oh Vesuvio lavali col fuoco“), das in dieser Saison immer wieder in den italienischen Stadien gesungen wurde, um die Neapolitaner zu schmähen. Beispielsweise von den Fans des F.C. Bologna während des Spiels gegen den SSC Neapel, bei dem auch ein Banner mit der frei übersetzten Aufschrift „Es wäre uns eine Ehre, wenn der Vesuv wieder aktiv wäre“ („sarà un piacere quando il Vesuvio farà il suo dovere“) gezeigt wurde. Als Konsequenz aus diesem Verhalten wurde dem Verein vom italienischen Sportgericht im Wiederholungsfall eine teilweise Sperrung seines Stadions angedroht. Die Reaktionen folgten prompt: Der Ehrenpräsident des F.C. Bologna , Gianni Morand, nannte die Vorfälle „eine Schande“ und auch die Bürgermeister von Bologna und Neapel verurteilten gemeinsam das Verhalten der Bologna-Fans. Der FC Turin und Inter Mailand wurden mit Kurvensperrungen ohne Bewährung belegt, da die Fans beider Vereine ebenfalls diskriminierende Gesänge gegen Neapel angestimmt hatten. Und der AS Rom wurde ebenfalls bestraft weil die Fans des Hauptstadtclubs gleich bei mehreren Liga-Spielen das Lied „Oh Vesuv, wasch‘ sie mit Feuer“ gesungen hatten, so bei der Partie gegen den SSC Neapel Anfang Februar und beim Spiel gegen Sampdoria Genua.

Neben der territorialen Diskriminierung war in der vergangenen Saison vor allem der offen zur Schau getragene Rassismus in den italienischen Fußballstadien präsent. So beleidigten während der Partie zwischen Hellas Verona und dem SSC Neapel am 12. Januar Anhänger des norditalienischen Vereins den kolumbianischen Napoli-Spieler Pablo Armero mit so genannten „Affenlauten“ rassistisch. Hellas erhielt daraufhin als Strafe eine Kurvensperre auf Bewährung. Auch Cagliari Calcio wurde Anfang des Jahres zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, da seine Fans beim Spiel gegen den AC Mailand den Stürmer Mario Ballotelli rassistisch beleidigten.

In Bergamo warf ein Zuschauer während des Spiels  gegen den AC Mailand eine Banane in Richtung des schwarzen Milan-Spielers Kevin Constant. Der damalige AC-Trainer Clarence Seedorf brachte danach die Hoffnung zum Ausdruck, dass der Übeltäter schnell gefunden und für lange Zeit aus dem Stadion verbannt werden würde. Ein weiterer rassistischer Vorfall ereignete sich während eines Trainings der italienischen Nationalmannschaft in Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft: In Florenz wurde Mario Ballotelli von Fans als „Sch... N...“ beschimpft. Der damalige Präsident des italienischen Fußballverbandes, Giancarlo Abete, verurteilte die Beleidigungen sofort als „inakzeptabel“.

Anne Frank im Roma-Trikot

Auch Antisemitismus gibt es nach wie vor in den italienischen Stadien. So riefen Anfang März  Anhänger von Juventus Turin während des Spiels ihrer Mannschaft gegen den AC Florenz „Florentiner, keine Italiener, sondern nur ein Haufen Juden“ („Fiorentini non italiani, ma soltanto una massa di ebrei“) . Der Präsident der „Union der Jüdischen Gemeinden in Italien“, Renzo Gattegna, verurteilte die antisemitischen Gesänge und sagte: „Wieder einmal hat sich während eines Fußballspiels die Dummheit einiger Fans manifestiert. Die antisemitischen Gesänge einiger Juve-Fans sind eine traurige Bestätigung dafür, wie viel noch zu tun ist, bis Hass und Vorurteile endlich ausgelöscht sind, wo eigentlich Loyalität, Leidenschaft und Liebe für den Sport vorherrschen sollten“.

Anfang Dezember vergangenen Jahres waren im Zentrum von Rom verstärkt Aufkleber aufgetaucht, die das von den Nazis ermordete Mädchen Anne Frank im Trikot des AS Rom zeigten. Hinter der geschmacklosen Fotomontage werden Anhänger von Lazio Rom vermutet, die auf diese Weise den Hauptstadt-Rivalen antisemitisch beleidigen wollten. Die Empörung bei Touristen, Anwohnern und Ladenbesitzern war groß, und wohl auch deshalb wurden die Sticker zumeist schnell wieder entfernt. „Dieser Vorfall zeigt wieder einmal, wie nahe Sport und Rassismus beieinander liegen“, kommentierte die römische Tageszeitung „la repubblica“ und verwies dabei auch auf die lange Liste von antisemitischen Vorfällen, die sowohl auf Anhänger von Lazio Rom als auch auf Fans der Roma zurückgehen.

Rechtsextremes Gedankengut ist ebenfalls im italienischen Fußball verbreitet. So sollen auf ihrer Saison-Abschlussfeier Ultras von Hellas Verona auf dem Parkplatz des Veranstaltungsortes aus ihren Autos ein Hakenkreuz geformt haben. Eine Erhebung des italienischen Innenministeriums dokumentiert das noch wie vor hohe Potenzial rechter Ultra-Gruppierungen in Italien: von insgesamt 388 Ultra-Gruppen werden dort 45 als rechtsextrem, 15 als linksextrem und neun als „gemischt“, also als rechts und links, eingestuft. Die Mehrheit der rechtsextremen Ultra-Gruppen ist der Studie zufolge in den ersten beiden italienischen Ligen aktiv: 17 dieser Gruppierungen gibt es in der Serie A, 18 in der Serie B.

Renzi isst öffentlich eine Banane

Nach diskriminierenden Vorfällen lassen die deutlich ablehnenden Reaktionen von Politikern, Vereinsvertretern und Repräsentanten der Zivilgesellschaft nicht lange auf sich warten. Zwar folgen diesen Reaktionen nur allzu selten Taten, trotzdem sind sie durchaus als Ausdruck echter Besorgnis und Ablehnung zu bewerten und können somit zumindest auch zu einem öffentlichen Problembewusstsein beitragen. Die italienische Sportgerichtsbarkeit bestraft die Clubs immer wieder für rassistische und diskriminierende Ausfälle ihrer Fans. Auch das jährlich stattfindende und von Fans selbst organisierte antirassistische Fußballturnier „mondiali antirazzisti“ („antirassistische Weltmeisterschaften“) zeigt, dass zumindest ein Teil der Anhängerschaft sich mit dem Thema aktiv auseinandersetzt und bereit ist, Diskriminierung im Stadion zu bekämpfen.

Und es gibt weitere positive Signale: Nachdem Dani Alves Anfang Mai dieses Jahres beim spanischen Liga-Spiel zwischen dem F.C. Barcelona und Villarreal von einem Zuschauer mit einer Banane beworfen worden war und diese als Reaktion darauf aufgegessen hatte, zeigten sich weltweit Fans, Sportler und Prominente solidarisch mit Alves und veröffentlichten in den sozialen Netzwerken Bilder, auf denen sie ebenfalls eine Banane aßen – so auch der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, der damalige Trainer der Fußballnationalmannschaft Cesare Prandelli und Stümer-Star Mario Balotelli.

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