AfD zieht es auf die Straße
Für Ende Mai plant die Partei eine Demonstration mit 10.000 Menschen in Berlin. Als seriöse Kraft will sie sich präsentieren – der Versuch könnte scheitern.
Björn Höcke hatte eine Vision. Das Ziel müsse sein, „Ende des Jahres oder spätestens Anfang des Jahres eine Massendemonstration in Berlin vor dem Kanzleramt durchzuführen mit einer klaren Botschaft. Dort dürfen dann nicht nur zehntausend, zwanzig- oder dreißigtausend zugegen sein. Dort müssen dann einhundert-, zweihundert- oder dreihunderttausend oder wie in Frankreich eine Million Menschen zugegen sein. Und die Kernbotschaft kann nur lauten: Wir fordern Neuwahlen!“
Zweieinhalb Jahre sind inzwischen seit Höckes Aufruf, Kanzlerin Merkel mittels Straßenprotesten aus dem Amt zu treiben, vergangen. Deutschland erlebte damals, im Spätsommer und im frühen Herbst 2015, eine Phase großer rechter Aufzüge. In Dresden verzeichneten die selbst ernannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ gerade ihre zweite Blütephase mit in der Spitze 15.000 bis 20.000 Demonstrationsteilnehmern. Höckes AfD-Landesverband schaffte es immerhin, in Erfurt bis zu 5000 Menschen auf die Straße zu bringen. In der Anhängerschaft der Partei kursierten fast schon (All)Machtphantasien. Doch als die AfD im November 2015 bundesweit zur Demonstration in Berlin mobilisierte, kam man über die Erfurter Zahl nicht hinaus.
Riskantes Unterfangen
Stattdessen sahnte die AfD regelmäßig an den Wahlurnen ab. Bundesweit steht jeder achte Wähler hinter ihr. Straßen- und demotauglich war die Partei in der Vergangenheit aber höchst selten. Ende des Monats soll nun ein neuer Anlauf gestartet werden. Für den 27. Mai plant die AfD eine Großdemonstration in Berlin. Mit 10.000 Teilnehmern soll sie sonntagmittags vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor ziehen. Eine „Zukunft für Deutschland“ will die Partei bei ihrer Demo fordern. Die Frage, was das genau bedeuten könnte, dürfen ihre Anhänger im Augenblick beantworten: Per Internet sollen sie „kurz und knackig“ angeben, „wofür gestritten werden soll“.
Die Demonstration in Berlin ist für die AfD ein riskantes Unterfangen. Einerseits will die Partei, die mittlerweile in 14 Landtagen und dem Bundestag sitzt, sich als seriöse Kraft inszenieren. Andererseits pflegen nicht wenige in ihren Reihen einen systemoppositionellen Gestus, der sich besonders auf der Straße ausdrücken soll. Vor allem, aber längst nicht nur im Osten der Republik sind sie zu finden. Dort, wo man in Lutz Bachmann nicht den kleinkriminell Vorbestraften sieht, sondern dessen Pegida für einen Bündnispartner oder gar ein Vorbild hält.
Vorbehalte im Parteivorstand
Anfangs gab es Vorbehalte wegen der Demoplanung im Parteivorstand: Die Sache könne sicherheitstechnisch aus dem Ruder laufen, fürchteten einige. Gruppen, mit denen man sich ungern öffentlich zeigt, könnten zu massiv vertreten sein und unschöne Bilder liefern, sorgten sich andere. Die Mehrheit freilich wollte den Aufzug im Herzen der Bundeshauptstadt.
Um die Darstellung eigener Stärke soll es gehen. Aber nicht zuletzt ist es auch der Versuch, jene Mitglieder wieder einzufangen, die zuletzt bei Demonstrationen ohne parteioffiziellen Anstrich mit von der Partie waren – Aktionen, die der AfD nicht selten negative Schlagzeilen einbrachten. In Kandel etwa, wo AfD-Abgeordnete, NPDler und rechte Hools gemeinsam aufliefen. (bnr.de berichtete) In Hamburg, wo sich AfDler, Türsteher und ortsbekannte Rechtsszene bunt mischten. In Delmenhorst, wo AfD-Prominenz Seite an Seite mit Neonazis und Hooligans durch die Stadt zogen. (bnr.de berichtete) Oder in Duisburg, wo sogar eine AfDlerin ans Mikrofon trat. (bnr.de berichtete)
„Hier marschiert der nationale Widerstand!“
Doch nicht nur solche, kaum kontrollierbaren, aber dennoch bezeichnenden Aktivitäten einiger Mitglieder verstören jene im Bundesvorstand und in der Parteizentrale, die sich um eine saubere Optik sorgen. Auch AfD-offizielle Demonstrationen liefern zuweilen Bilder, die man in Berlin ungern sieht. Wie kürzlich am 1. Mai der Aufzug der AfD in Querfurt. (bnr.de berichtete) Eltern mit Kinderwagen, Demo-Neulinge gab es dort. Aber eben auch jene, die schon äußerlich den Eindruck vermittelten, sie seien einem Neonazi-Auflauf entsprungen.
Videos jener Demonstration in der sachsen-anhaltinischen Provinz müssten eigentlich jeden sich „gemäßigt“ nennenden AfD-Politiker erschaudern lassen. „Hoch die nationale Solidarität!“ und die Aufforderung „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“, johlten die Teilnehmer – man kennt derlei von Neonazi-Aktionen. „Jugend, Europa, Reconquista!“ oder „Heimat, Freiheit, Tradition!“, riefen sie – eher bekannt sind die Parolen von der „Identitären Bewegung“. „Unsere Fahne, unser Land – maximaler Widerstand!“, schrien sie – man hörte derlei bisher vor allem bei rechten Hooligans. „Hier marschiert die AfD!“, gab Hans-Thomas Tillschneider, der Vormann der „Patriotischen Plattform“ vorne im Demozug per Megafon vor – „Hier marschiert der nationale Widerstand!“, kam von weiter hinten als Antwort.
Unzufriedene Parteibasis
Aufzüge wie in der kleinen Stadt im Saalekreis gefallen zwar Leuten wie Tillschneider, aber vermutlich nicht einer Mehrheit seines Bundesvorstands. Und erst recht nicht dem Vormann der AfD-„Gemäßigten“, Parteivize Georg Pazderski. Im Parlament müsse die AfD „gute Oppositionsarbeit“ abliefern, hat er kürzlich im Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ gesagt. „Manche Äußerungen aus der Partei verhindern aber noch, dass wir in der Bevölkerung so ankommen, wie wir das möchten.“ Die AfD müsse ihr Potenzial deutlich ausweiten und für mehr Menschen wählbar werden. Pazderski: „Das heißt aber auch, wir müssen an unserem Image arbeiten. Es gibt bestimmte Dinge, die gehen einfach nicht, weil sie Menschen, Wähler und Parteimitglieder verstören.“
Doch weite Teile der AfD-Basis ticken anders. Für sie ist der Drang auf die Straße auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit Tendenzen in der Partei- und der Fraktionsspitze, die sie verunsichern. Die AfD-interne Karriere von Alice Weidel gehört dazu, die trotz all ihrer radikalen Sprüche den Ruf nicht los wird, doch letztlich nur ein Geschöpf von Goldman Sachs zu sein. Oder der am Ende gescheiterte Versuch von Teilen der Bundestagsfraktion, einen Ex-Mitarbeiter von Wolfgang Schäuble zum neuen Fraktionsgeschäftsführer zu machen. Und nicht zuletzt die Vorstöße der AfD-Oberen, mit der Gründung einer eigenen Stiftung zur quasi „normalen“ Partei zu werden.
Spagat zwischen Parlaments- und Bewegungspartei
Den Spagat zwischen der Seriosität einer Parlamentspartei und der Radikalität einer fundamentaloppositionellen „Bewegungspartei“ sollen vor allem die Bundesvorstandsmitglieder Steffen Königer und Guido Reil schaffen. Ihnen hat der Vorstand die Demo-Vorbereitungen aufgetragen. Königer ist einer der Verbindungsleute der „Alternativen Mitte“ im Bundesvorstand. Gerne verweist er auf seine Demo-Erfahrungen aus dem Jahr 1989, als er in Potsdam für das Neue Forum auf die Straße ging.
Reil fiel unlängst auf, weil ihm das Demonstrationsrecht womöglich nicht in allen Facetten geläufig ist. Den Mittag des 1. Mai verbrachte er in Polizeigewahrsam, statt wie eigentlich geplant an der DGB-Kundgebung zum Tag der Arbeit in seiner Heimatstadt Essen teilzunehmen. Der AfD-Politiker hatte einen Platzverweis der Polizeibeamten partout nicht befolgen wollen, nachdem bei einem seiner Security-Leute Pfefferspray gefunden worden war. Gut möglich, dass die AfD vor ihrer Berliner Veranstaltung den Teilnehmern noch einmal ganz genau erklärt, was man zu einer Demo mitbringen darf und was nicht.