AfD: Umfragen verheißen nichts Gutes
Nordrhein-Westfalen wählt am Sonntag neue Kommunalparlamente. Die Erwartungen der AfD-Spitze dürften sich als unrealistisch erweisen. Und Teile des Personals wirken ganz und gar nicht seriös und „bürgerlich“.
Es ist die letzte Standortbestimmung vor dem Superwahljahr 2021 mit immerhin sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl: Im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen wählen die Bürger am 13. September die Chefs der meisten Kommunalverwaltungen sowie Kreistage, Stadt- und Gemeinderäte.
Chancen, irgendwo zwischen Aachen und Minden, Emmerich und Siegen einen Landrat oder Bürgermeister zu stellen, werden der AfD nicht eingeräumt. Und auch bei der Wahl der Kommunalvertretungen musste die Partei ihre Erwartungen in den letzten Monaten sukzessive zurückschrauben. In der vorigen Woche veröffentlichte der WDR Umfrageergebnisse aus elf Großstädten des Landes. Demnach käme die AfD in Städten, die für sie immer schon ein schwieriges Pflaster waren wie Münster, Bonn oder Aachen, nur auf drei beziehungsweise vier Prozent. Mit acht Prozent ermittelten die Forscher von infratest dimap deutlich höhere Werte in Duisburg, Essen oder Siegen. In einer parallel veröffentlichten landespolitischen Umfrage wird die NRW-AfD derzeit auf sieben Prozent taxiert. Bei der Landtagswahl 2017 waren es 7,4 Prozent.
Alte Wunden schwären weiter
Weit entfernt ist die AfD jedenfalls von jenem „zweistelligen Ergebnis“, von dem ihr Landeschef Rüdiger Lucassen Anfang des Jahres geträumt hatte. Und auch von seiner Erwartung, man werde „als Fraktion in nahezu sämtliche Stadt- und Gemeinderäte des Landes einziehen“, bleibt nicht viel. Zum einen ist es dem personell schwächlich aufgestellten Landesverband bei weitem nicht gelungen, in vielen kreisangehörigen Städten und Gemeinden genügend Kandidaten zu finden. Zum anderen behindern die Konflikte zwischen „Flügel“-Lager und den angeblich „gemäßigteren“ Kräften in manchen Regionen nach wie vor die Arbeit.
„Wahlkampf eint vor allen Dingen. Das tut NRW auch ganz gut“, sagt zwar AfD-Landesvize Matthias Helferich. Und auch Lucassen meint, die Vorbereitung auf die Wahl habe „noch mal mehr zusammengeschweißt“. Doch die alten Wunden schwären weiter. Wegen der Streitereien gibt es sogar im Kreis Unna im östlichen Ruhrgebiet und im münsterländischen Kreis Coesfeld überhaupt keine AfD-Listen. Dass dort einer der Kandidaten in seinem Wahlkreis direkt gewählt werden könnte, erscheint unwahrscheinlich.
Scheinseriöses Personal
Logische Folge sind absehbar zwei Kreistage ganz ohne AfD-Vertreter. Im einen Fall zog der „gemäßigte“ Bezirksvorstand Arnsberg die Liste zurück, die ihm zu „Flügel“-lastig erschien und bei deren Wahl vor allem einer aus seinen Reihen durchgefallen war. Im anderen Fall cancelte der „Flügel“-orientierte Bezirksverband Münster die ohnehin nur aus zwei Kandidaten bestehende „gemäßigte“ Liste. Ein Ausschlussverfahren gegen den Bezirksvorsitzenden Steffen Christ, der auch die Liste in der Stadt Münster selbst kippen wollte, folgte. In NRW greift man gerne zum Instrument des Parteiordnungsverfahrens.
Über 1500 Kandidaten habe die AfD in Nordrhein-Westfalen aufgestellt, bilanzierte ihr Landesvize Matthias Helferich unlängst. Doch beileibe nicht jeder und jede von ihnen ist geeignet, das Bild einer seriös-demokratischen Partei zu vermitteln. Da ist etwa Yannick Noé, der AfD-Kreisvorsitzende in Leverkusen mit auffälliger Nähe zur „Identitären Bewegung“. Nach Lage der Dinge wird er dem neuen Stadtrat angehören. (bnr. de berichtete) Da sind Wolfgang Palm in Aachen (bnr. de berichtete) und Udo Schäfer im Oberbergischen Kreis. (bnr. de berichtete) Von den verblichenen „pro“-Parteien hat es sie zur AfD gezogen. Da ist der Ex-Republikaner Volker Marsch, der in Porta Westfalica nun für die AfD antritt. (bnr. de berichtete) In Emmerich ist es Stefanie van L., die trotz ihres politischen Vorlebens im Umfeld der „Bruderschaft Deutschland“ und ihrer Frauengruppe „Schwesternschaft Deutschland“ sowie zuletzt bei der gleichfalls extrem rechten Initiative „NRW stellt sich quer“ nun für die AfD kandidiert. (bnr. de berichtete)
Ein „Corona-Rebell“ als Oberbürgermeister?
Selten einmal distanzierte sich die AfD von obskurem Personal. In der Landeshauptstadt Düsseldorf war es freilich in der vergangenen Woche der Fall. Dort hatte AfD-Oberbürgermeister-Kandidat Florian Josef Hoffmann, gern gesehener Gast bei den Aufläufen der örtlichen „Corona-Rebellen“, der „Rheinischen Post“ (RP) Einblicke in sein krudes Weltbild ermöglicht. Den Bau von Antennen für den neuen Mobilfunkstandard 5G würde er als Oberbürgermeister stoppen, verriet er der RP. Warum? Weil der geplante Impfstoff gegen das Coronavirus in Wahrheit so angelegt sei, dass er die Gene verändere. Später solle den Menschen noch ein Chip injiziert werden, berichtete Hoffmann weiter: „Über 5G lassen sich dann die Menschen in vielfältiger Weise manipulieren.“
Hoffmanns Corona-5G-Fantasie, aber auch seine Überzeugung, die Idee des menschengemachten Klimawandels sei eine Erfindung der NASA, um die Atomenergie zu fördern, ging sogar dem Düsseldorfer AfD-Kreisvorstand zu weit. Er wollte Hoffmann, der sich bei Facebook eine Weile im „Gib Gates keine Chance“-T-Shirt präsentierte, aus dem Vorstand abwählen lassen. In einer Mitgliederversammlung fand sich freilich nicht die erforderliche Mehrheit, wie die RP berichtete.
Händeringend Kandidaten gesucht
Das nordrhein-westfälische Wahlrecht sieht vor, dass Parteien nur in jenen Bezirken wählbar sind, für die sie auch Kandidaten aufgestellt haben. Listen allein reichen nicht. Noch bis kurz vor Abgabeschluss der Wahlvorschläge Ende Juli war die AfD daher händeringend auf der Suche nach Kandidaten gewesen. Ihr Kreisverband Minden-Lübbecke etwa appellierte noch drei Tage vor dem Stichtag, man könne „mit zwei Unterschriften helfen, damit die AfD in voller Stärke antreten kann“. Es klang so, als ginge es um Unterstützungsunterschriften. Zu unterzeichnen war freilich keine Unterstützungserklärung, sondern die Bereitschaft, selbst zu kandidieren. Mancher bemerkte das zu spät. Dass die AfD die „Kandidaten“ bewusst hintergangen hat, wird man ihr wohl nicht nachsagen können – maximal, dass sie nicht immer genau genug erklärt hat, was da unterschrieben wurde.
Zum Abschluss des Wahlkampfs kommt am kommenden Samstag AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen nach NRW. Sprechen wird er bei Lucassens Heimatkreisverband in Euskirchen. Auf die Unterstützung der Nordrhein-Westfalen kann er sich im parteiinternen Kampf um die Macht bisher stets verlassen – auch wenn die von ihm losgetretenen Querelen den einen oder anderen Parteigänger abgeschreckt haben und nun Stimmen kosten könnten. Meuthens Versuch, eine seit 2015 stetig radikalisierte AfD als bürgerlich oder seriös zu präsentieren, ist auch Lucassens Rezept.
Bayern als abschreckendes Beispiel
In Euskirchen wird auch die bayerische AfD-Landesvorsitzende Corinna Miazga auf der Bühne stehen. Mit ihren 37 Jahren soll sie den Eindruck vermitteln, dass die AfD mehr ist als nur Altherrenpartei. Lucassen etwa geht stramm auf die 70 zu. In der AfD ist Miazga nicht unumstritten. Freunde von einst halten ihr vor, allzusehr auf Meuthen zu setzen – und dabei eine erneute Kandidatur für den Bundestag im Blick zu haben. Dass sie in NRW auftritt, könnten die dortigen AfD’ler als schlechtes Omen auffassen. Bei der Kommunalwahl in Miazgas Heimat – einst die Hochburg der Partei in den alten Bundesländern – holte die AfD Ende März landesweit nur noch 4,7 Prozent, nicht einmal die Hälfte dessen, was die AfD dort bei der Bundestagswahl 2017 und der Landtagswahl 2018 erreicht hatte.
Dass die AfD in NRW ähnlich schwach abschneidet, ist nicht ausgemacht. Gewiss sein dürfte aber, dass direkt nach der Kommunalwahl die Matadoren der internen Schlammschlachten wieder in ihren Schützengräben verschwinden werden. Denn gleich am Tag nach der Kommunalwahl – Lucassen kündigte es bereits an – will der Landesvorstand an die Vorbereitung der Listenaufstellung für die Bundestagswahl gehen. Endgültig entschieden werden soll dann Anfang Februar.