Björn Höcke
AfD Thüringen: Systemsprenger-Partei zwischen Parlament und Wahlkampf
Auf ihrem Landesparteitag am Wochenende hat die AfD Thüringen ihre Landesliste für die Bundestagswahl Ende Februar aufgestellt und ihre Landessprecher im Amt bestätigt. Im Landtag setzt die Fraktion derweil die parlamentarische Demokratie mit ihrer Erpressungsmacht unter Druck und führt sie vor.
Wie die anderen Parteien rüstet sich auch die AfD in Thüringen für die vorgezogene Bundestagswahl im Februar 2025. Schon bei den letzten Wahlen zum Deutschen Bundestag konnte die Partei im Freistaat mehr als doppelt so viele Stimmen auf sich vereinen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. In den acht Wahlkreisen errang sie 2021 sogar gleich vier Direktmandate. Mit Marcus Bühl, Stephan Brandner und Michael Kaufmann wollen nun drei davon ihre Wahlkreise verteidigen, bei den Erststimmen hatten sie 2021 Ergebnisse zwischen knapp 25 und 30 Prozent erzielt. Klaus Stöber tritt nach parteiinternen Querelen in seinem Wahlkreis als Einzelkandidat an, gegen ihn läuft momentan ein Parteiausschlussverfahren. Komplettiert wurde die fünfköpfige Fraktion in der laufenden Legislatur bislang durch Jürgen Pohl, der über seinen zweiten Platz auf der Landesliste einzog, im Februar 2025 aber nicht erneut zur Wahl steht.
Bei einem ähnlichen Erfolg bei den Direktmandaten bei der kommenden Wahl sind für die anderen AfD-Kandidat*innen für den Bundestag vor allem die vordersten Plätze auf der neunköpfigen Landesliste relevant. Anders als sonst, hatte der Vorstand der Partei für die Liste keinen Vorstand vorgelegt. Auf Platz eins wählten die Delegierten in Arnstadt Stephan Brandner, der seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und seit 2019 einer von drei stellvertretenden Bundessprechern der Partei. ist. Platz zwei belegt Stephan Möller, der seit zehn Jahren für die AfD im Thüringer Landtag sitzt und bislang mit Björn Höcke die Doppelspitze des Landesverbandes gebildet hat. Brandner und Möller sollen die AfD als „Thüringer Tandem“ in den Wahlkampf führen.
AfD-Zweierspitze bleibt
Auf Listenplatz drei unterlag der Bundestagsabgeordnete Michael Kaufmann dem parlamentarischen Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion, Torben Braga, der 2021 beim Einzug in den Bundestag gescheitert war. Platz vier belegt Andreas Leupold, Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Nordhausen und seit Sommer 2024 auch Vorsitzender des Nordhäuser Stadtrats. Auf Platz 5 folgt Robert Teske, Höckes Büroleiter, den sechsten Platz belegt Christopher Drößler und den siebten Alexander Claus. Auf Platz acht befindet sich Michael Kaufmann, den Schluss der Liste bildet auf Platz neun Stefan Schröder.
Sowohl Höcke als auch Möller wurden von den rund 230 Delegierten als Landessprecher im Amt bestätigt. Damit ist die Frage vom Tisch, ob die AfD im Freistaat künftig von einer Einerspitze in Kombination mit einem Generalsekretär geleitet wird. Ein solches Modell sah ein Antrag beim AfD Bundesparteitag aus Thüringen vor, der im Sommer 2024 allerdings vertragt wurde. In seiner Bewerbungsrede für das Amt des Landessprechers betonte Höcke, nicht der gerade in sein Amt gewählte Mario Voigt sei der wahre Ministerpräsident von Thüringen. Der 52-jährige sagte von sich selbst, dass er „der wahre Ministerpräsident von Thüringen“ sei.
„Mit leeren Händen“
Tatsächlich ist die AfD seit der Landtagswahl in Thüringen am 1. September vergangenes Jahr mit 32 Abgeordneten stärkste Fraktion im Landtag. Weil mit ihr aber keine der demokratischen Fraktionen kooperieren will, hat die AfD keine reale Machtoption im Landesparlament. Auch Höcke gestand beim Landesparteitag, er habe nach der Landtagswahl „mit leeren Händen“ dagestanden. Dafür nutzen die Landtagsabgeordneten besonders Kleine Anfragen als Instrument der parlamentarischen Kontrolle. Seit der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages Ende September bis Anfang Dezember haben 16 Fraktionsmitglieder durchschnittlich mehr als eine Kleine Anfrage pro Werktag gestellt. Neben den üblichen kommunalen Themen je nach Wahlkreis der Abgeordneten sticht bei den parlamentarischen Initiativen besonders das Thema Corona hervor, mit dem die AfD ihr Umfeld an sich binden möchte.
Gesetzentwurf zum Thema Corona
Die AfD hat bereits einen Gesetzesentwurf für ein „Thüringer Coronamaßnahmen-Unrechtsbereinigungsgesetz“ vorgelegt und fordert in einem Antrag „Sofortiger Stopp der sogenannten Corona-Impfungen – Gesundheit der Thüringer Bevölkerung schützen“. Hinzu soll ein Untersuchungsausschuss zum Thema kommen, dessen Einsetzung die Fraktion mit einem Drittel der Landtagssitze im Alleingang durchsetzen könnte. Obfrau des Ausschusses soll die AfD-Landtagsabgeordnete Wiebke Muhsal werden, die bei der Vorstellung des Antrages von einer „Hygienediktatur“ sprach und auf jene hinwies, die auf die Straße gegangen seien, „weil sie ein freies Thüringen, ein freies Deutschland, eine freie Gesellschaft wollten und immer noch wollen“.
Mit Muhsals „Dank für euren unermüdlichen Einsatz für unsere Rechte und unsere Demokratie“ sendet sie ein deutliches Zeichen an die landesweit zeitweise bis zu zehntausend Akteur*innen und Teilnehmer*innen der „Corona-Proteste“ während der Pandemie. Vor ihnen hatten die Demokratieprojekte Mobit, IDZ, KomRex und ezra als „die größte rechtsextreme Mobilisierung seit Jahren“ gewarnt. Ihre zunehmende Radikalisierung habe sich „zu einer dauerhaften Krise für die Demokratie“ entwickelt, „mit der eine Zunahme von rechten Bedrohungen und Gewalt einhergeht“.
Deal geplatzt
Doch auch ohne reale parlamentarische Machtoption nutzt die AfD im Landtag ihre Sperrminorität als Erpressungsinstrument, der Co-Landesvorsitzende Stefan Möller hatte sie kurz nach der Wahl als „neu verliehene Gestaltungsmacht“ bezeichnet. Mit ihr drohen Blockaden parlamentarischer Abläufe, um Zugeständnisse an die AfD und im besten Fall eine Zusammenarbeit mit ihr zu erpressen. So beispielsweise bei den Wahlen zum Richter- und Staatsanwaltswahlausschuss, die neue Richter oder Staatsanwälte einstellen oder auf Lebenszeit berufen. Mit einer Blockade der Wahlen zu den Ausschüssen droht angesichts einer bevorstehenden Pensionierungswelle ein Richtermangel, der den Rechtsstaat in Thüringen lahmlegen könnte.
Die CDU im Landtag war daraufhin auf die Idee gekommen, die AfD bei der Wahl eines stellvertretenden Verfassungsrichters und des Landtagsvizepräsidenten zu unterstützen, wenn sie die Besetzung der Wahlausschüsse nicht blockieren sollte. Der Deal platzte kurz vor der entsprechenden Landtagssitzung, die Tagesordnungspunkte wurden verschoben. Das Verhalten – vor allem der CDU – zeigt jedoch, wie sehr die Erpressungsmacht der AfD schon im Vorfeld wirkt, ohne dass diese bereits angewendet worden wäre.