Unvereinbarkeitsliste

AfD-Streit um „Freie Sachsen“

Mit einer Distanzierung von der Partei „Freie Sachsen“ versucht die Bundes-AfD, ihrer Einstufung als extrem rechter Verdachtsfall entgegenzuwirken. Die Reaktionen innerhalb der Partei versprechen neue Grabenkämpfe, in dem besonders die Ostverbände opponieren.

Mittwoch, 23. Februar 2022
Kai Budler
In Meißen traten offenbar AfD-Anhänger zusammen mit Sympathisanten der "Freien Sachsen" auf, Foto: Screenshot
In Meißen traten offenbar AfD-Anhänger zusammen mit Sympathisanten der "Freien Sachsen" auf, Foto: Screenshot

Anfang Februar hat der AfD-Bundesvorstand beschlossen, seine Unvereinbarkeitsliste zu erweitern, in der Organisationen und Vereine aufgeführt werden, deren Mitglieder der Zutritt zur AfD verwehrt werden soll. Nun traf es die extrem rechte Kleinstpartei „Freie Sachsen“. Anfang des Januars hatte der Vorstand die AfD-Bundesgeschäftsstelle mit einer Prüfung der „Freien Sachsen“ beauftragt. In dem 17-seitigen Papier, das ENDSTATION RECHTS. vorliegt, heißt es, die Rhetorik von Köpfen der Freien Sachsen“ als „Teil eines Geflechts rechtsextremer Strukturen“ zeige „die tatsächliche Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und in Teilen sogar gegenüber dem Fortbestand der Bundesrepublik als Staat“.

„Signifikanter Schaden zu Lasten der AfD“

Mit der Rede von einem möglichen „Säxit“ sollten „gerade AfD-Wähler, die von der Regierungspolitik enttäuscht sind, (…)  offenbar gezielt angesprochen werden“. Reagiert die AfD auf einen Ansehensverlust im Freistaat nach der Einstufung der Kleinstpartei durch den Verfassungsschutz? Dies legt zumindest die Einschätzung nahe, „bei einem Unterlaufen von Veranstaltungen oder gar Auftritten von AfD-Mitgliedern bei Kundgebungen der Freien Sachsen ist mit einem signifikanten Schaden zu Lasten der AfD zu rechnen“.

Das Papier schließt mit der Bemerkung, es könne „kein gemeinsames Wir geben“. Es ist ein verzweifelter Versuch des Bundesvorstandes, nach dem Ausstieg von Jörg Meuthen eine vordergründige Abgrenzung zu extrem rechten Organisationen zu verfolgen, bevor das Verwaltungsgericht Köln im März darüber entscheidet, ob die gesamte AfD als extrem rechter Verdachtsfall eingestuft werden darf. Eine Rolle spielen werden dabei auch Aussagen von Meuthen aus Sicht eines Insiders nach seinem medienwirksamen Rücktritt.

Harsche Kritik aus Thüringen

Doch nur weil im AfD-Bundesvorstand ein Beschluss einstimmig gefallen ist, heißt es nicht, dass er auch von der gesamten Partei mitgetragen wird. Prompt hagelte es Kritik aus der Thüringer AfD, die fordert, die Unvereinbarkeitsliste der AfD auf dem für Mitte Juni geplanten Bundesparteitag überprüfen zu lassen.

Die „Freien Sachsen“ sei eine mit der AfD konkurrierende Partei, erklärten die beiden Thüringer Parteichefs Björn Höcke und Stefan Möller und sagen, trotz der Konkurrenz solle eine Unvereinbarkeitsliste nicht „der Gegnermarkierung und politischen Positionierung dienen“. Knapp zwei Wochen später legten die AfD-Fraktionsvorsitzenden der ostdeutschen Bundesländer nach, die sich nach eigenen Angaben auf halbjährlichen Konferenzen über die politische Lage austauschen.

AfD-Fraktionschefs begrüßen Corona-Proteste

Im Zentrum des jüngsten Treffens in Erfurt ging es um die als „parteiübergreifende Freiheitsspaziergänge“ verklausulierten und teils gewalttätigen Proteste, die sich während der Pandemie weiter radikalisiert haben. Die fünf ostdeutschen Fraktionsvorsitzenden legten dabei eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel „Erfurter Freiheitsappell“, in dem die AfD als einzige Stimme gerühmt wird, „die gegen den Block der Altparteien argumentiert und die existentiellen Sorgen der protestierenden Bürger in den Parlamenten zu Gehör bringt“.

Und so begrüßen die Fraktionsvorsitzenden „die Protestbewegungen, egal wo sie in Erscheinung treten“ als dringlich und notwendig, deren „Kriminalisierung (…) durch die Regierung und ihren Geheimdienst“ beendet werden müsse. Eine Distanzierung oder Abgrenzung der vor allem in Ostdeutschland von extrem rechten Kräften beeinflussten Proteste sind in der Erklärung nicht vorhanden.

Die Lehren aus der Unvereinbarkeit mit Pegida

Besonders schmerzen dürfte den Vorsitzenden des Bundesvorstandes, Tino Chrupalla, dass die Erklärung auch die Unterschrift von Jörg Urban, dem Vorsitzenden seines sächsischen Landesverbandes trägt. Der Vorstand des sächsischen Landesverbandes hatte es immer abgelehnt, die „Freie Sachsen“ auf die Unvereinbarkeitsliste zu setzen und hatte die Partei als unbedeutenden „Scheinriese“ abgetan.

Deren Vorsitzender hatte erklärt, zahlreiche AfD-Mandatsträger seien auch Mitglied in seiner Partei. Ohnehin ähnelt der „Erfurter Freiheitsappell“ der „Erfurter Resolution“ als Gründungsdokument des formal aufgelösten Netzwerks „Der Flügel“. Bereits in dem im März 2015 vorgelegten Papier wurde kritisiert, die AfD als „Widerstandsbewegung“ habe sich von „bürgerlichen Protestbewegungen“ ferngehalten und „in vorauseilendem Gehorsam sogar distanziert, obwohl sich tausende AfD-Mitglieder als Mitdemonstranten oder Sympathisanten an diesen Aufbrüchen beteiligen“. Gemeint war der damalige Unvereinbarkeitsbeschluss zur Teilnahme von AfD-Mitgliedern bei Pegida-Veranstaltungen sowie Auftritte von Pegida-Vertretern auf AfD-Veranstaltungen.

Verbot gekippt

Nachdem das Kooperationsverbot in der Praxis ohnehin nicht befolgt wurde, kippte der Parteikonvent das Verbot zwei Jahre später. Die Entscheidung war die Kapitulation eines Papiertigers vor dem Faktischen, denn viele AfD-Mitglieder und Mandatsträger hatten die Richtlinie ohnehin nicht befolgt. Auf eine solche Entwicklung setzen offenbar auch die Unterzeichner des „Erfurter Freiheitsappell“. Mit Urban und Björn Höcke wissen zwei davon um die Macht derartiger Appelle im gärigen Haufen AfD.

Einen Blick auf die Positionen der "Freien Sachsen", deren Führungspersonen der Partei in Verbindung zu anderen Neonazi-Szenen sowie auf die Beziehung zur bzw. die Abgrenzung von der AfD hat gerade das Kulturbüro Sachsen veröffentlicht.

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