Verwaltungsgericht Dresden

AfD Sachsen: Gesichert rechtsextrem vom Kopf her

Das Verwaltungsgericht Dresden hat zeitnah zur Eilentscheidung, die Einstufung der AfD Sachsen durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem sei rechtens, auch die Gründe veröffentlicht. Die Ausführungen klingen nicht so, als sollte sich in der Hauptsache etwas ändern. Die Belege, durchgehend aus der Spitze des Landesverbandes und von Landeschef Jörg Urban selbst, klingen zu eindeutig.

Dienstag, 23. Juli 2024
Thomas Witzgall
Der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban mit Lutz Bachmann im Februar 2023 auf einer Pegida-Bühne
Der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban mit Lutz Bachmann im Februar 2023 auf einer Pegida-Bühne

Mit der Entscheidung wurde erstmalig die Einstufung eines bedeutenden AfD-Landesverbandes als gesichert rechtsextrem einer richterlichen Überprüfung unterzogen und sie hielt stand. Andere Gliederungen, wie etwa Thüringen um Björn Höcke haben die Bewertung nicht angegriffen oder befinden sich wie der Bundesverband oder der Landesverband Bayern im Status eines Verdachtsfalles, zeitnahe Hochstufung nicht ausgeschlossen.

Die Richter betonen in ihrem Beschluss mit Verweis auf eine frühere Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, dass hier Verdachtsmomente nicht mehr ausreichen, sondern „sich die tatsächlichen dergestalt verdichtet haben“ müssen, „dass die Überzeugung besteht, dass es sich tatsächlich um eine extremistische Bestrebung handelt“. Verfassungsfeindliche Äußerungen und Verhaltensweisen müssen den Charakter der Partei prägen und von dieser Grundtendenz entsprechend beherrscht werden.

Kriterien für Parteiverbot auf Wunsch der AfD angelegt

Die Richter sind zu dieser Gewissheit gelangt, trotz der Anwendung des strengeren, eigentlich für Parteiverbotsverfahren entwickelten Prüfungsmaßstabs. Die AfD Sachsen hatte selbst darauf gedrängt, die Kriterien auf Menschenwürdegarantie, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu verdichten, die für den Verfassungsstaat schlichthin unentbehrlich sind. Die Richter konnten dem folgen, weil es zu keinem anderen Ergebnis führt. Heißt: Die Ausführungen würden auch einem Parteiverbotsverfahren genügen.

Dabei kommt es nicht auf ein bestimmtes Verhältnis zwischen verfassungsfeindlichen und unproblematischen Äußerungen an, auch der Rechtsprechung ist bewusst, dass es in extremistischen Bestrebungen einen „Alltag“ gibt. Vor dem Oberverwaltungsgericht Münster soll bekanntlich die verunglückte Verteidigung, nicht alles, was Höcke sage, sei auch verfassungsfeindlich, für entsprechendes Schmunzeln gesorgt haben. Entscheidender ist eher ein Mindestmaß an Aussagen, dann die Bewertung, von wem diese innerhalb der Partei kamen und wie diese darauf reagiert hat.

Wie bei allen vorangegangen Gerichtsentscheidungen zur AfD kommt dem ethnischen Volksverständnis eine entscheidende Bedeutung für die Annahme der Verfassungsfeindlichkeit zu. Die Einteilung des Staatsvolkes in Bürger erster und weiterer Klassen weist einem Teil mit (bestimmten) Migrationshintergrund eine dauerhafte herabwürdigende Stellung zu. Von einer Demokratie, getragen von den Freien und Gleichen, kann dann auch keine Rede mehr sein. Diese Einteilung wäre etwa Grundlage für die in Potsdam mutmaßlich debattierten Vertreibungspläne auch deutscher Staatsbürger.
 

Aufmerksamkeit legt das Verwaltungsgericht Dresden auf den Höcke-Flügel, weil diesem eben jenes verfassungsfeindliche Volksverständnis immanent sei. Das hat laut Entscheidung der Richter bereits das Verwaltungsgericht in Köln festgestellt und sich dabei auch auf Äußerungen des sächsischen Landesvorsitzenden Jörg Urban stützen können. Anhänger des ehemaligen Flügels würden maßgeblichen Einfluss auf den Landesverband ausüben. Neben dem Landesvorsitzenden werden noch Generalsekretär Jan Zwerk, der stellvertretende Vorsitzende Siegbert Dröse und der zum Schutz der Rechtspflege in den vorzeitigen Ruhestand versetzte Richter Jens Maier in der Entscheidung genannt.

Bezug auf Carl Schmitt

Zudem können die Richter auf eine ganze Bandbreite an Äußerungen von führenden Funktionären und auch direkt des Landesverbandes verweisen, die völkische Verschwörungserzählungen bedienen, die dem Volksverständnis entsprechen. Erwähnt werden hier Aussagen zum „Der große Austausch“ oder der Gebrauch von „Umvolkung“, wie etwa in der von allen Fraktionsvorsitzenden der fünf östlichen Bundesländer unterzeichneten "Dresdner Protestnote". Vom Pressesprecher des Landesverbandes findet sich sein positiver Bezug auf „den Nationalsozialisten Carl Schmitt“ wieder und dessen Forderung, wonach „nationale Homogenität“ Voraussetzung für „nationale(n) Demokratie“ sei. Schmitt hatte in radikaler Feindschaft zu Werten wie Pluralismus gefordert, „die Demokratie“ müsse die Homogenität bedrohende Einflüsse notfalls vernichten. 

Ein ganzer Bauchladen an Belegen kommt hier von Maximilian Krah, der trotz der Ausbootung aus der Delegation im Europäischen Parlament in weiten Teilen der AfD fest verankert ist und weiter großflächig eingeladen wird.
 

Urban, Höcke und Berndt an Banner. Eine von ihnen und weitere AfD-Fraktionsvorsitzenden unterzeichnete Note enthalte Anzeichen für das verfassungsfeindliche ethnische Volksverständnis
Urban, Höcke und Berndt an Banner. Eine von ihnen und weitere AfD-Fraktionsvorsitzenden unterzeichnete Note enthalte Anzeichen für das verfassungsfeindliche ethnische Volksverständnis

Zurechnen muss sich die AfD Sachsen hier zudem Aussagen Roland Ulbrichs, der als ehemaliger Richter am Bundesschiedsgericht der Partei die Nürnberger Rassegesetze zustimmend herangezogen hatte. Zwar gibt es Ordnungsmaßnahmen gegen Ulbrich. Zu verdanken hat die AfD Sachsen den Umstand den eigenen Parteifreunden in Nordsachsen, die ihn wieder als Direktkandidaten für den Landtag aufgestellt haben. In den Beschluss haben es auch zwei vulgär-rassistische Aussagen von Kreisvorstandsmitgliedern, wonach Europa in Anspielung auf das Trump-Motto „White Again“ werden solle, zudem Weihnachten und Deutschland weiß zu sein hätten.

Einen Angriff auf die Menschenwürde stellen für die Richter pauschale und diffamierende Aussagen über bestimmte ethnische und sonstige Minderheiten dar. Hier macht es nicht die einzelne Äußerung. Bei einigen aufgeführten Aussagen ist gut denkbar, dass sich im Strafprozess der jeweilige Verwender mit der Behauptung, es differenzierter gemeint zu haben, vor einer Verurteilung retten kann. Für die Richter am Verwaltungsgericht zählte jedoch die Masse, die einhellige Richtung und der daraus stehende Gesamteindruck. 
 

Aus dem Urteil: Kritiker und Gegner des Compact-Verbotes hatten immer wieder die Vermutung vertreten, das Strafrecht sei die Grenze. Die Entscheidung aus Dresden widerspricht dieser Ansicht
Aus dem Urteil: Kritiker und Gegner des Compact-Verbotes hatten immer wieder die Vermutung vertreten, das Strafrecht sei die Grenze. Die Entscheidung aus Dresden widerspricht dieser Ansicht

Aufgeführt werden Tendenzen, Geflüchtete, Muslime und Migranten als generell kriminell, schmarotzend und ihre Sexualität nicht unter Kontrolle habend („Rapefugees“) hinzustellen. Hier beginnen die Belege ebenfalls in oberen Gremien, etwa mit einer vom Landesverband geteilten Rede Tino Chrupallas, der von Einwanderern als „gut ausgebildeten Ganoven und Kriminellen“ sprach. Urban und Dröse finden sich hier wieder, wie Krah, die Junge Alternative Sachsen oder die Bundestagsabgeordnete Carolin Bachmann. Bei Islamfeindlichkeit gibt es Belege von Urban, Harlaß sowie dem Landtagsabgeordneten Jörg Dornau.

Richter: AfD-Aussagen greifen Grundordnung als Ganzes an

Weiter hält das Gericht der AfD Sachsen vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung als System verächtlich zu machen. Das passiere etwa darüber, dass alle anderen Parteien verächtlich gemacht würden über die Grenze hinaus, dass auch deren Ziele „gleichwertig und richtig sein können“. Diese Angriffe auf die Existenzberechtigung der Mitbewerber rüttelten am Mehrparteiensystem, einem Element der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. 

Das von der AfD verbreitete Ausmaß an „Beschimpfungen, Verdächtigungen und Verleumdungen“ gehe über bloße Kritik hinaus und würde die freiheitlich-demokratische Grundordnung als ganzes fragwürdig erscheinen lassen. Dadurch würde auch ein Klima entstehen können, in dem letztlich auch unter einer möglichen Anwendung von Gewalt gegen die als unerträglich hingestellte Grundordnung vorgegangen werden könnte.

Erwähnt werden hier diverse von den Pandemieleugnern gut bekannte Diktaturvergleiche, etwa wenn der Bundestagsabgeordnete Karsten Hilse von einem neuen „Ermächtigungsgesetz“ spricht. Zudem werden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur abgelehnt, sondern parallel ein angebliches Widerstandsrecht ausgerufen. Dem Landesverband direkt wird der NS-Vergleich vorgehalten, nachdem die Forderung „Lauterbach muss weg“ mit „Nürnberg 2.0“ ergänzt wurde.
 

Aus der Entscheidung des Verwaltungsgericht Dresden: Formulierte Erwartungen der Richter an eine als Verdachtsfall eingestufte Partei
Aus der Entscheidung des Verwaltungsgericht Dresden: Formulierte Erwartungen der Richter an eine als Verdachtsfall eingestufte Partei

Was den anderen AfD-Gliederungen bisher kaum vorgeworfen wurde, kommt auch bei der AfD Sachsen zum Tragen: Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Vorhalt gründet sich auf Aussagen Jens Maiers, wenn „Angeklagte „AfD-Richter“ fürchten“, hätte die AfD alles richtig gemacht. Mit dieser Formulierung gebe Maier die Bindung der Judikative an Recht und Gesetz auf, so die Richter. 

Der Tweet, womit der ehemalige Flügelobmann entgegen dem Richtereid zu erkennen gebe, nicht mehr ohne Ansehen der Person zu urteilen, wurde auch bei der Begründung gewürdigt, Maier zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Justiz in den Ruhestand zu schicken. Die Dresdener Richter schließen sich den Aussagen ihrer Kollegen hier ausdrücklich an. Der Landesverband haben sich in der Debatte um Maier ausdrücklich mit diesem solidarisiert, weshalb der Tweet nun der AfD Sachsen auch wegen nur kommentarloser Löschung zugerechnet wird. Hier erwarten die Richter eine ausdrückliche Distanzierung.

Enge und weiter ausgebaute Vernetzung mit anderen extremen Rechten moniert

Eine Besonderheit der Entscheidung besteht noch darin, dass die Richter zu erkennen geben, welches Verhalten sie von einer Bestrebung nach der Einstufung als Verdachtsfall erwarten, um eine Hochstufung zu verhindern. Die AfD Sachsen enttäusche hier auf ganzer Linie. Eine Distanzierung und Ordnungsmaßnahmen wären ohnehin schwierig gewesen, weil die Belege direkt von maßgeblichen Akteuren aus der Spitze des Landesverbandes kommen. 

Ähnlich sieht es ja bei der Entscheidung des OVG Münster aus, die ebenfalls problematische Aussagen von der Spitze, beginnend bei Alice Weidel und Alexander Gauland in ihrer Entscheidung anführten. Erwähnt wird auch, dass die Einstufung als Verdachtsfall nicht dazu führte, den Ton zu mäßigen und bestimmte Aussagen zu unterlassen. Auch habe der Flügel eine Grundhaltung nicht verändert und eine sichtbare Abkehr habe es nach dem „Warnschuss“ Verdachtsfall nicht stattgefunden. 

Ebenso fehlt es den Richtern an einer Distanz zu anderen extremistischen Gruppen, beginnend beim eigenen Jugendverband Junge Alternative. Erwähnt wird auch die Nähe zum „Institut für Staatspolitik“ (IfS) um Götz Kubitschek, etwa die stetige Teilnahme an Veranstaltungen, sowie der Umstand, dass mit Felix Menzel, Herausgeber der IfS-Publikation „Blaue Narzisse“ bei der Fraktion in Sachsen als Pressesprecher angestellt ist. Genannt werden auch Verbindungen zu Ein Prozent, der Identitären Bewegung, sowie Pegida, dem kürzlich verbotenen Verein hinter Compact und die Freien Sachsen.
 

Richter würdigten Widerspruch zu "Schuldkult" positiv. Dürfte aber selten sein, geschichtsrevisionistischer Begriff wird meist selbst verwendet, wie hier von der bayerischen Abgeordneten Ramona Storm
Richter würdigten Widerspruch zu "Schuldkult" positiv. Dürfte aber selten sein, geschichtsrevisionistischer Begriff wird meist selbst verwendet, wie hier von der bayerischen Abgeordneten Ramona Storm

Gegenüber der Menge an Belegen bleiben die entlastenden Momente marginal. So sei in Grimma die Beteiligung von NPD-Kadern an einer Demo unterbunden worden. Bei einer Kundgebung in Görlitz sei differenziert über das Thema Migration gesprochen und eine kursierende Falschinformation über Geflüchtete in der Stadt richtiggestellt worden. Nach dem Besuch der Holocaust-Gedankstätte Yad Vashem hätte ein Landtagsabgeordneter den „Schuldkult“-Kommentar eine JA-Mitgliedes „kritisch gewürdigt“. Allerdings hat der Landesverband in einem Schriftsatz ans Gericht die Nutzung des Wortes „Schultkult“ durch den „Bundestagskandidaten J.M.“ ausdrücklich als Meinungsfreiheit verteidigt und in totaler Verdrehung der Werte des Grundgesetzes davon gesprochen, dem Kandidaten eine Relativierung des Nationalsozialismus vorzuwerfen, sei „eine Verletzung seiner Menschenwürde“.

Bei dieser Haltung, angesichts der Fülle an Belegen auch aus höheren Führungsebenen des Landesverbands und der Rückbindung an andere Entscheidungen bis hin zum Bundesverfassungsgerichtsurteil zum NPD-Verbot wäre eine andere Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine große Überraschung.
 

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