Rezension

AfD: „Rechtsextrem, das neue Normal?“

Die AfD ist mittlerweile Gegenstand vieler Sammelbände. „Rechtsextrem, das neue Normal?“ unterscheidet sich von vielen Textsammlungen dadurch, dass ausgewiesene Experten in knapper Form mit klarer Struktur ihre Themenschwerpunkte präsentieren.

Montag, 19. August 2024
Armin Pfahl-Traughber
In über 20 Aufsätzen werden in der Publikation „Rechtsextrem, das neue Normal?“ vor allem verschiedene Aspekte der AfD thematisiert.
In über 20 Aufsätzen werden in der Publikation „Rechtsextrem, das neue Normal?“ vor allem verschiedene Aspekte der AfD thematisiert.

Über die AfD liegt mittlerweile eine Fülle an Sammelbänden vor. Die darin enthaltenen Aufsätze setzen sich meist irgendwie kritisch mit der Partei auseinander, dem Publikationsprojekt fehlt es aber häufig an klarer Struktur. Auf den ersten Blick ist das auch bei „Rechtsextrem, das neue Normal? Die AfD zwischen Verbot und Machtübernahme“ so. Nach der Lektüre muss man aber ein solches Urteil doch korrigieren. Es gibt zwar Beschwörungen über die Gefahren durch die Partei, die meisten Beiträge liefern aber eine differenzierte Erörterung zu einem besonderen Sachverhalt.

Über 20 Aufsätze widmen sich dabei auf meist rund zehn Seiten unterschiedlichen Themen. In der Gesamtschau entstand dadurch ein interessantes Parteiporträt, werden doch die unterschiedlichsten Aspekte in einschlägigen Fachbeiträgen erörtert. Herausgeber sind Matthias Quent und Fabian Virchow, beide Professoren mit Rechtsextremismusforschung als Schwerpunkt. Die jeweiligen Autoren haben meist einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund.

Keine bloßen Protestwähler

Ausgangspunkt für die Herausgabe war die schlichte Wahrnehmung, dass bei der AfD ein  allgemeiner Bedeutungsanstieg bei gleichzeitiger Radikalisierung auszumachen ist. Für die bundesdeutsche Demokratie wird damit auch ein „Ernstfall“ von Charlotte Knobloch konstatiert, die insbesondere auf Antisemitismus und Erinnerungskultur verweist. Für die der Partei eigenen unterschiedlichen Strategien wird danach eine interessante Typologie von Virchow entwickelt.

Ihm folgen Abhandlungen einerseits von Kai Arzheimer und andererseits von Beate Küpper und Andreas Zick, welche sich den Motiven und der Sozialstruktur der Wählerschaft zuwenden. Dabei wird mit guten Argumenten die verbreitete Deutung, wonach es sich primär um Protestwähler handele, zugunsten von differenzierten Untersuchungen verworfen. Ein besonders interessanter Beitrag von Wolfgang Schroeder nimmt einen Vergleich vor, hier von AfD und „Bündnis Sahra Wagenknecht“, wobei es eben nicht um eine feste Gleichsetzung, sondern eben einen offenen Vergleich geht.  

AfD und BSW im Vergleich

Nicht alle Beiträge können hier erwähnt oder kommentiert werden. Aber eine beispielhafte Auswahl vermittelt die inhaltliche Vielfalt: Um die AfD und den Antisemitismus geht es etwa Marc Grimm und Jannis Niedick, bekundet doch die AfD eine pro-jüdische Einstellung, hat aber die meisten antisemitischen Wähler. Inwieweit die AfD als politischer Arm des Rechtsterrorismus gelten kann, ist dann in dem Beitrag von Quent ein gesondertes Thema. Dass die AfD letztendlich die CDU zerstören will, thematisiert Ann-Katrin Müller, während sie als Reaktion darauf eine falsche Strategie der Unionspartei kritisiert.

Marcus Bensmann spricht die Beziehungen nach Russland an, es gibt auch solche nach China, wäre noch eine Ergänzung. Bei Johannes Hillje ist die digitale Mediennutzung ein Thema, während Jana Faus das in der Mitte auszumachende Schweigen kritisiert. Eher knapp werden Erfolgsaussichten möglicher Gegenstrategien behandelt, etwa von Claus Leggewie, Simone Rafael und Judith Rahner, wobei diese besser Gegenstand eines eigenen Sammelbandes sein sollten.

Optionen für weitere Sammelbände

Und dann findet man noch Abhandlungen über die Anfälligkeit von Arbeitern, die Bedeutung von Konspirationsvorstellungen für die Partei oder die Realisierung möglicher Verbotsüberlegungen. Fast alle Beiträge sind gut durchstrukturiert und enthalten Kurzkapitel, womit man eine Art nützlichem Nachschlagewerk vorliegen hat. Blicke in andere Länder erfolgen nur nach Österreich, wobei auch diese Dimension eher einen eigenen Sammelband nötig machen würde.

Nur am Rande kommt das Vorfeld vor, welches von der „Identitären Bewegung“ bis zur Neuen Rechten reicht. Zwar wird das Extremismuspotential der Partei immer mal wieder thematisiert, was aber nicht in einer bilanzierenden Einschätzung zu dessen Intensität mündet. Gerade wenn eine Debatte über eine Verbotsoption geführt werden soll, ist ein solcher Gesichtspunkt nicht nur aus juristischen Gründen wichtig. Die erwähnten inhaltlichen Lücken sprechen aber nicht gegen den Sammelband. In folgenden Auflagen könnten sie durch einschlägige Beiträge geschlossen werden.

Matthias Quent/Fabian Virchow (Hrsg.), Rechtsextrem, das neue Normal? Die AfD zwischen Verbot und Machtübernahme, München 2024 (S. Piper-Verlag), 286 S., 22 Euro

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