Verbotene SA-Parole „Alles für Deutschland“
AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu Geldstrafe verurteilt
Der thüringische AfD-Chef Björn Höcke ist wegen des Verwendens einer verbotenen NS-Parole zu 13.000 Euro Geldstrafe (100 Tagessätze à 130 Euro) verurteilt worden. Das Landgericht in Halle nahm dem langjährigen Geschichtslehrer und völkischen Ideologen nicht ab, dass er den Wahlspruch „Alles für Deutschland“ der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) nicht gekannt habe.
Inmitten von Neonazis marschierte Björn Höcke durch Dresden. Es war der 13. Februar 2010, Tausende Rechtsextreme aus ganz Europa waren zum Jahrestag der alliierten Bombardierung in die sächsische Landeshauptstadt gekommen. Die AfD war damals noch nicht gegründet und der Mann, der später als völkischer Strippenzieher zum bekanntesten Gesicht der Rechtsaußenpartei aufsteigen sollte, ein Nobody.
Es gibt ein Video, auf dem Höcke im braunen Mob zu sehen ist, Parolen brüllend. Im Prozess gegen den AfD-Politiker vor dem Landgericht in Halle an der Saale hätte es die Staatsanwaltschaft gerne gezeigt. Als Beleg, wes Geistes Kind der 52-Jährige ist. Und dass es mitnichten nur ein Fauxpas ist, wenn er eine verbotene NS-Parole benutzt. Doch das Gericht lehnte den Antrag ab. Eine Vorfestlegung, wie das Verfahren ausgehen würde, aber sollte das nicht sein.
Ahnungslosigkeit nicht abgenommmen
Nach vier Verhandlungstagen sprach die Strafkammer den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der thüringischen AfD am Dienstagabend wegen des „Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation“ schuldig und verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 13.000 Euro (100 Tagessätze à 130 Euro). Das Gericht nahm dem langjährigen Geschichtslehrer, der gerne den Intellektuellen und Bildungsbürger gibt, sein Bekenntnis zur Ahnungslosigkeit nicht ab. „Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann, der weiß, was er sagt“, erklärte Strafkammervorsitzender Jan Stengel. Es ging um eine Wahlkampfrede im Mai 2021 in Merseburg, die Höcke, wie er es selbst vor Gericht ausdrückte, in eine „aufsteigende rhetorische Kaskade“ münden ließ: „Alles für unsere Heimat! Alles für Sachsen-Anhalt! Alles für Deutschland!“
Dass „Alles für Deutschland“ der Wahlspruch der Sturmabteilung (SA) war, der paramilitärischen Schlägertruppe der NSDAP, das habe er nun wirklich nicht gewusst, beteuerte Höcke im Prozess. Und ebenso wenig habe er mitbekommen, dass vor ihm schon andere AfDler juristischen Ärger wegen des Verwendens dieser verbotenen SA-Losung bekommen haben.
„Das sieht nicht aus nach Zufall“
Einer Losung im Übrigen, die bei bundesdeutschen Rechtsextremen auch vor dem Aufkommen der AfD schon gerne genutzt wurde, wie Andreas Kemper nachgewiesen hat: „Neonazis von der FAP bis zur NPD stellten sich mit der Parole ‚Alles für Deutschland‘ selber in eine bewegungspolitische Kontinuität mit dem Nationalsozialismus“, heißt es in einem Aufsatz des Münsteraner Soziologen und AfD-Experten.
Eine ältere Studie Kempers mit dem Titel „Zur NS-Rhetorik des AfD-Politikers Björn Höcke“ hatte die Staatsanwaltschaft Höcke im Prozess vorgehalten, dazu sein offen verkündetes Ziel, „die Grenzen des Sagbaren“ erweitern zu wollen: „Das sieht nicht aus nach Zufall, um es vorsichtig zu formulieren“, meinte Oberstaatsanwalt Ulf Lenzner. Höcke versuchte die Studie als „Pseudowissenschaft“ und „Kinderkram“ abzutun, sein Vokabular sei das des 19. Jahrhunderts, nicht des NS. „Ich habe mit dem Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts am Hut.“ Er kenne sich nicht einmal gut aus damit. In seinem Geschichtsstudium, sagte Höcke, habe er kein einziges Seminar zum Nationalsozialismus besucht. Und Hitlers „Mein Kampf“ nie gelesen.
Höcke schweigt
Wortreich ließ sich der AfD-Politiker über die angeblich gefährdete Meinungsfreiheit in Deutschland aus und stilisierte sich zum Opfer, zwei seiner Lieblingsthemen. Nur einmal wurde er plötzlich schweigsam – als ihn die Staatsanwaltschaft auf seinen Dialog mit Tesla-Chef Elon Musk auf dessen Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) ansprach. Wenige Tage vor Prozessbeginn im April hatte Höcke da behauptet, die deutschen Gesetze sollten verhindern, dass sich Deutschland „wiederfinde“. Wie das denn zu verstehen sei, wollte Staatsanwalt Benedikt Bernzen wissen. Der Angeklagte verweigerte die Antwort.
Kurz bevor am Dienstag die Beweisaufnahme endete, sprang für Höcke dann noch ein neurechter Vordenker in die Bresche. Auf Antrag von Verteidiger Ulrich Vosgerau, Teilnehmer des von Correctiv aufgedeckten Treffens von rechtsextremen Aktivisten, führenden AfD- und CDU-Mitgliedern in Potsdam, wurde Karlheinz Weißmann als „sachverständiger Zeuge“ vernommen. Von Vosgerau als „einer der wichtigsten Fachleute für die Geschichte des ‚Dritten Reichs‘“ angepriesen, sollte der pensionierte Studienrat, der vor allem als Mitgründer des gerade aufgelösten „Instituts für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek und als rechter Publizist hervorgetreten ist, über die Bedeutung der Losung „Alles für Deutschland“ im Nationalsozialismus sprechen.
„Junge Freiheit“-Kolumnist geladen
Wenig überraschend kam der „Cato“-Herausgeber und „Junge Freiheit“-Kolumnist dabei zu dem von der Verteidigung gewünschten Ergebnis: Die Parole sei eigentlich viel älter, die Nazis hätten sie vereinnahmt, aber nicht allzu sehr genutzt – obwohl sie auf dem „Ehrendolch“ der SA prangte und bei der Eröffnung des Reichsparteitags der NSDAP 1934 in Nürnberg riesig auf der Wand des Saales zu lesen war. „Im Großen und Ganzen“, befand Weißmann, „wird man sagen müssen, dass es keine besondere Präsenz dieser Formel gegeben hat.“
Auch als Höcke ihn leicht suggestiv fragte, ob man das SA-Motto „als normaler Mensch“ kennen könne, antwortete der 65-Jährige, der sich 2018 ins Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD berufen ließ und Höcke (der ihn siezte) trotzdem erst einmal in seinem Leben getroffen haben will, wie bestellt: Das halte er für „extrem unwahrscheinlich“. Auf kritische Nachfragen von Gericht und Staatsanwaltschaft musste Weißmann dagegen immer wieder passen.
„Extrem unwahrscheinlich“?
Mit ihrem Urteil blieb die Strafkammer unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die auf eine sechsmonatige Bewährungsstrafe plädiert hatte. „Der augenscheinlich fundierte NS-Sprachschatz des Angeklagten deutet auf Täterwissen hin“, sagte Staatsanwalt Bernzen und beantragte, dass Höcke als Bewährungsauflage 10.000 Euro an eine NS-Gedenkstätte oder ein Demokratieförderprojekt zahlen solle. Die Verteidiger verlangten Freispruch. Rechtsanwalt Vosgerau kündigte an, gegen die Verurteilung nötigenfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen zu wollen.
Eigentlich hatte in Halle eine kurzfristige ergangene weitere Anklage gleich mitverhandelt sollen. Doch so oft hatte der Angeklagte kurz vor Verhandlungsbeginn seine Verteidiger ausgetauscht, dass die beiden Verfahren wieder getrennt werden mussten – zu wenig Vorbereitungszeit für das verbliebene Anwaltstrio um Ulrich Vosgerau. Wieder geht es um die SA-Parole, doch in diesem Fall schien eindeutig, dass Höcke sich auf Ahnungslosigkeit nicht würde berufen können. Im Dezember 2023 sprach er bei einem Auftritt in Gera über den anstehenden Prozess in Halle – und forderte das Publikum durch Gesten auf, seine Worte „Alles für“ mit dem Ruf „Deutschland“ zu ergänzen. Seine Fans taten das bereitwillig.
Nächste Gerichtsprozesse stehen bevor
Höcke wird deshalb noch einmal auf der Anklagebank im Hallenser Landgericht Platz nehmen müssen. „Zeitnah“, wie es heißt. Bislang gibt es für diesen neuerlichen Prozess aber keinen Termin – und auch nicht für ein drittes Verfahren, das am Landgericht im thüringischen Mühlhausen anhängig ist. Hier ist der prominente Rechtsextreme wegen eines höhnisch-aggressiven Telegram-Posts angeklagt, mit dem er 2022 die tödliche Messerattacke eines psychisch kranken Somaliers in Ludwigshafen kommentierte. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Volksverhetzung vor.
Möglicherweise hatte Höcke mit seinem „Anwaltskarussell“, wie Richter Stengel es nannte, darauf spekuliert, eine Verurteilung aufschieben zu können – um als unbescholtener Bürger in den Europawahlkampf gehen zu können, vielleicht sogar in die thüringische Landtagswahl im September, bei der Höcke erster Ministerpräsident der AfD werden möchte. Aber vielleicht ging es ihm auch nur darum, die Justiz vorzuführen. Dafür spricht, dass er, wie jetzt bekannt wurde, bei einer AfD-Veranstaltung am 1. Mai in Hamm erneut über die Strafverfahren klagte. Und während er vor Gericht zunächst geradezu beflissen den rechtstreuen Bürger mimte und für seine Aussage sogar aufstand, „aus Anerkennung der Bedeutung des Gerichts“, wie er sagte, machte er in Hamm aus seiner Verachtung keinen Hehl. Seine strafrechtliche Verfolgung, schimpfte er, habe „nichts mehr mit Recht und Gesetz zu tun“.
Auch sein letztes Wort vor der Urteilsverkündung nutzte der AfD-Rechtsaußen zu scharfen Angriffen auf die Anklagebehörde. „Politischen Aktivismus“ warf er der Staatsanwaltschaft vor, klagte über „politische Verfolgung“ und flüchtete sich schließlich in etwas jammervollen Pathos: „Habe ich keine Menschenwürde? Bin ich kein Mensch?“