AfD-Rechte: „Gegebenenfalls heftige Kontroversen“
Sozialpopulistisch oder marktradikal? Völkisch-nationalistisch oder „modernisiert" rechtspopulistisch? Die AfD muss sich entscheiden.
Vermutlich gibt es zwei Fragen, die über die Zukunft der AfD entscheiden. Die eine ist die, was die AfD eigentlich sein will: völkisch-nationale Bewegungspartei, die auch Anklänge an die 20er und frühen 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht scheut, oder rechtspopulistische Parlamentspartei des 21. Jahrhunderts, ähnlich der FPÖ unter Heinz-Christian Strache? Frage zwei hat eher mit politischen Inhalten zu tun: die AfD als Partei des Marktradikalismus oder als eine, die mit sozialpopulistischen Tönen auf Stimmenfang geht?
Beide Fragen sind eng miteinander verbunden. Und beide wird der Bundesparteitag Anfang Dezember nicht abschließend beantworten. Was das Gewicht des völkischen Flügels anbelangt, wird sich das eine oder andere an den Personalentscheidungen ablesen lassen, die die Delegierten in Hannover zu treffen haben. Einer grundsätzlichen Klärung ist die AfD aber ausgewichen, als der vorige Parteitag im April die damalige Bundessprecherin Frauke Petry mit ihrem Antrag für eine „realpolitische“ Orientierung auflaufen ließ. Die AfD will beides sein. Völkisch und 21. Jahrhundert. Sowohl als auch.
Ost-Verbände drängen
Auf die zweite Frage ist die AfD bisher ebenfalls genaue Antworten schuldig geblieben. Das stört vor allem die, die auf Sozialpopulismus setzen. Vor allem Landesverbände aus Ostdeutschland, in denen die Völkisch-Nationalen dominieren, drängen nun darauf, dass die AfD über unkonkrete Aussagen zum Mindestlohn und über verbale Bekenntnisse zu einer Begrenzung von Leih- und Werkarbeit hinaus konkreter wird.
Die Landesvorstände Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben einen gemeinsamen Antrag für den Parteitag eingereicht. Sie verlangen, der neue Vorstand solle sich im nächsten Jahr „nachdrücklich dafür einsetzen, dass die AfD eine klare sozialpolitische Programmatik erarbeitet“. Dabei müssten „insbesondere die Punkte Rente und Krankenversicherung intensiv behandelt werden“, heißt es in dem Antrag, den Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke vor den Delegierten begründen soll.
Diskussion viereinhalb Jahre gemieden
Ein Teil dieser Begründung liegt bereits schriftlich vor: Im Wahlkampf habe sich „besonders deutlich“ gezeigt, „dass die Alternative für Deutschland hinsichtlich einer klaren sozialpolitischen Programmatik Nachholbedarf“ habe. „Echte Volkspartei“ könne aber „nur eine Partei sein, welche die soziale Frage in all ihren Facetten aufgreift und ihr gemäß beantwortet“. Die Diskussion dürfte wenig harmonisch verlaufen, ahnen die Autoren: „Dass es dabei im Meinungsfindungsprozess gegebenenfalls zu heftigen Kontroversen kommen kann, dürfte uns dabei gar nicht schlecht zu Gesicht stehen, denn genau das erwartet der Bürger von uns. Lediglich von öffentlichen Personaldebatten hat dieser endgültig genug.“
Gute Diskussionsgrundlage seien die „in einigen Landesverbänden und Landtagsfraktionen“ erarbeiteten „ersten Konzepte zur Sozialpolitik im Allgemeinen oder im Speziellen zu Themen wie Rente oder Krankenversicherung“, heißt es in der Antragsbegründung. Durch die Blume wird damit anerkannt, dass die Bundes-AfD auch mehr als viereinhalb Jahre nach ihrer Gründung nichts Wichtiges zum Thema beigesteuert hat.
„Rentensozialismus“ versus „Volksrente“
Tatsächlich hatte es die AfD bisher vermieden, allzu konkret zu werden, wenn es um Renten oder Krankenversicherung ging. Und das mit doppeltem Grund. Das Thema könnte Teile der Anhängerschaft abschrecken. Und es spaltet schon jetzt die Partei zwischen denen, die marktradikal auftreten wie Fraktionschefin Alice Weidel und jenen, die die Partei auf einen sozialpopulistischen Kurs bringen wollen. Zu ersteren gehört Bundessprecher Jörg Meuthen, für den es bereits „Rentensozialismus“ wäre, würden „Selbstständige und Beamte zwangsweise in das marode System der gesetzlichen Rentenversicherung gezwungen werden“. Zu letzteren zählt jemand wie Sachsen-Anhalts Landeschef André Poggenburg, der mit dem Begriff einer „Volksrente“ hausieren geht, von der man freilich nicht viel weiß – außer, dass Meuthen sie womöglich für „rentensozialistisch“ halten würde.
In einem vor knapp einem Jahr erarbeiteten Strategiepapier zur Bundestagswahl waren sich die Autoren, darunter Vorstandsmitglied Georg Pazderski, der Risiken für ihre Partei bewusst. „Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft der AfD nicht auseinanderdividiert“, hieß es dort. Es komme „für den Erfolg 2017 vorrangig darauf an, wie schon bisher etwaige Differenzen möglichst im Hintergrund zu lassen und das Gemeinsame der AfD-Wählerschaft zu betonen“. Als Beispiele für Themen mit Spaltungsgefahr wurden „Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung“ genannt.
Rechtspopulistische Heilsversprechen
Mit diesem Wahlkampf der Verschleierung und Vernebelung holte die AfD unter Arbeitern 21 Prozent, unter Angestellten 12 und unter Arbeitslosen ebenfalls 21 Prozent. Programmatisch hatte die AfD diesen Gruppen zwar wenig zu bieten. Doch die Standardthemen Flucht, Migration, Islam, Kriminalität überlagerten alles. Und wenn dann doch jemand zur Sozialpolitik Genaueres wissen wollte, folgte meist – egal, ob von AfD-Radikalen oder angeblich AfD-„Gemäßigten“ – das rechtspopulistische Heilsversprechen, es werde allen besser gehen, wenn bloß nicht so viele Ausländer im Lande wären.
Auf die Dauer ist freilich mehr gefragt als die Produktion platter Sprüche, denkt sich offenbar der eine oder andere in der AfD. Erst recht, seit die Partei im Bundestag sitzt. In ihrer Fraktion zeichnen sich bereits erste Konflikte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik ab. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, forderte Höcke-Adlatus Jürgen Pohl Maßnahmen, die speziell die „vielfältigen sozialen und ökonomischen Probleme“ in Ostdeutschland lindern sollen. Pohl ist einer der Initiatoren des Höcke-treuen „Alternativen Arbeitnehmerverbands Mitteldeutschland“ (ALARM!), der in den drei Landesverbänden aktiv ist, die auch den Antrag zum Parteitag eingebracht haben. Unverzüglich müsse es etwa eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns geben und die Einführung einer „armutsfesten Staatsbürgerrente für Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft und mindestens 35 Arbeitsjahren“, fordert Pohl. „Es muss in der Fraktion eine Entscheidung über den sozialpolitischen Kurs geben“, zitiert ihn der „Tagesspiegel“.
Kampf der „Arbeitnehmer“-Vertreter
Auf Widerstand stoßen dürften seine Forderungen insbesondere bei den wirtschaftsliberal orientierten Kräften in der Fraktion rund um Weidel und Beatrix von Storch. Widerspruch meldete aber auch der Abgeordnete Uwe Witt an, der Bundesvorsitzende der mit „ALARM!“ konkurrierenden „Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer“ (AVA). Er hält eine Anhebung des Mindestlohns laut „Tagesspiegel“ für Unfug. „Unternehmer können nicht für staatliche Misswirtschaft bestraft werden“, erklärte er.
Witt sprach nach Bekanntwerden der Kontroverse von einem „fiktiven Streit zwischen mir und Jürgen Pohl, der keiner ist“. Die Differenzen zwischen den beiden angeblichen „Arbeitnehmer“-Vertretern können aber auch solche Beschwichtigungen nicht übertünchen. Hier der ehemalige Büroleiter Höckes, dort einer, der in der Vergangenheit verlässlich an der Seite von Ex-Parteichefin Petry und ihrem Ehemann Marcus Pretzell zu finden war. Wenn Pohl und Witt über Sozialpolitik streiten, ist der Konflikt immer auch Ausdruck des Kampfs um die Macht in der Partei.