Landtagswahl Niedersachsen
AfD profitiert von der Krisenstimmung
Die AfD kann sich bei der Landtagswahl in Niedersachsen als Nutznießer der Unsicherheit und Unzufriedenheit in der Bevölkerung sehen. 10,9 Prozent der Stimmen bedeuten 18 Sitze im neuen Hannoveraner Landesparlament. Für die AfD endete im zweitgrößten Flächenstaat Deutschlands damit auch eine seit 2020 zu beobachtende Niederlagenserie bei Wahlen neuer Länderparlamente.
Seit den Bürgerschaftswahlen 2020 in Hamburg ging es bei den Urnengängen mit dem Stimmenzuspruch stetig bergab, wenn man auch nur im Mai in Schleswig-Holstein an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Nun kletterte die AfD in Niedersachsen von 6,2 Prozent 2017 auf nun 10,9 Prozent. Dahinter steckt ein Zweitstimmenplus von rund 160.000 und auch noch ein Zuwachs von etwa 60.000 Stimmen im Vergleich zum niedersächsischen Anteil bei der Bundestagswahl des Vorjahres.
2017 ging Landes-AfD noch mit neun Mandaten in die Legislatur. Dauerhafte interne Streitereien und Grabenkämpfe in der Partei trafen fortan auch die Fraktion, die im Abgang von drei Vertreter*innen im September 2020 gipfelten, womit der Fraktionsstatus verloren ging. Christopher Emden verließ die verbliebene AfD-Landtagsgruppe dann am 31. Juli dieses Jahres und somit kurz vor dem anstehenden Wahltermin. Er ging mit der Nachricht an die Öffentlichkeit, dass man sich bei der Aufstellung einer Landesliste für die Landtagswahl einen Platz erkaufen konnte und sprach konkret von 4.000 Euro, was staatsanwaltliche Ermittlungen nach sich zog.
Eidesstattliche Erklärungen
Laut dem Landesvorsitzenden Frank Rinck haben die Listenbewerber*innen mittlerweile eidesstattliche Erklärungen abgegeben, in denen die Behauptung einer Käuflichkeit verneint wurde. Der Unruhezustand in der vom niedersächsischen Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuften AfD geht also über den Wahltermin hinaus weiter.
Von den 18 Mandaten entfallen gemäß der Landesliste gleich 15 auf männliche Bewerber, angeführt von Stefan Marzischewski-Drewes, ein 56-jähriger Mediziner aus Gifhorn. Nur vier künftige Abgeordnete gehen mit Landtagserfahrung an ihre neue Aufgabe. Auch Jens-Christoph Brockmann, der den Wahlkampf koordinierte, ist künftiger MdL. Als Trigger-Slogan warb man unter anderem mit Parolen wie „Damit Heizen wieder bezahlbar wird!“
Salzgitter eine Hochburg
Nach vorläufiger Analyse von infratest dimap erhielt die AfD von ihrem Stimmenanteil in der Altersskala der 35- bis 44-Jährigen den größten Zuspruch. Weitere Erkenntnis: Männer machten ihr Kreuz eher bei der AfD als Frauen. Die Wähler*Innen-Wanderungsbetrachtung zeigt, dass die AfD von der CDU im Vergleich zur Stimmabgabe vor fünf Jahren mehr als 40.000 Stimmen zu sich herüber gezogen hat. Auch von der FDP gab es einen Zulauf von 40.000 Stimmen. Aus dem SPD-Lager landeten diesmal über 25.000 Stimmen bei der AfD. Von übrigen Parteien kamen noch mal 10.000 Stimmen, außerdem wurden ca. 25.000 Nichtwähler*innen gegenüber 2017 mobilisiert.
Hochburgen hatte man in den Wahlkreisen Salzgitter (18,4 %), Gifhorn-Nord/Wolfsburg (16,8%), Aurich (15,6%), Leer/Borkum (15,4%) und Wolfenbüttel-Süd/Salzgitter (15,1%). Andererseits wurde das schlechteste Ergebnis in Göttingen (4,6%) erzielt – im Übrigen wurde in allen anderen 86 Wahlkreisen die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen.
Die Basis wiederholt Bundestagswahlergebnis
Spitzenkandidat Marzischewski-Drewes hatte als Wahlziel eine Verdoppelung des 2017-Ergebnisses ausgegeben. Prozentual hat das nicht geklappt. Bezogen auf die errungenen Abgeordnetensitze schon. Zur Wahlparty war auch Bundessprecher Tino Chrupalla nach Niedersachsen gereist. Er schwadronierte über das erzielte Ergebnis vollmundig, dass alles über 10 Prozent im Westen bereits Volksparteicharakter habe. Besoffen vor Glück rieb man sich bei der AfD in der Tat die Augen, denn als lange zerstrittener Haufen und ohne tatsächliche Leistungsnachweise aus dem Landtag lag man in diversen „Sonntagsfrage-Umfragen“ im September 2021 noch bei 5,4 Prozent, im März diesen Jahres dann bei 5,9, im Juni bei 5,6 und sogar im August noch bei 6,1 Prozent.
Auch die rechts-esoterisch offene und Verschwörungsmythen verbreitende Partei Die Basis, die nach eigenen Angaben in Niedersachsen 3.000 Mitglieder zählt, nahm an der Wahl teil und holte unter Landeschef Benjamin Dieckmann am Ende 1,0 Prozent. Damit erreichte man erneut das Resultat der letzten Bundestagswahl. Das beste Ergebnis holte man in Buchholz/Nordheide mit 1,8 Prozent.
AfD-Kandidaten ziehen den Kürzeren
Mit Spannung und bundespolitischer Aufmerksamkeit wurde auch die Oberbürgermeister-Stichwahl in Cottbus verfolgt. Dort setzte sich Tobias Schick (SPD) gegen Lars Schieske (AfD) durch. 68,6 gegenüber 31,4 Prozent waren am Ende dann ein doch deutlicher Vorsprung für den Sozialdemokraten, der auch von CDU, Grünen, FDP und Linken unterstützt wurde, die im ersten Wahlgang zum Teil noch eigene unterlegene Kandidaten aufgeboten hatten.
Schieske hatte im Wahlkampf einen Brief verteilen lassen, in dem er Ausländer*innen pauschal diffamierte und beleidigte. Daraufhin hatte die Stadtverordnete Barbara Domke (Grüne) Strafanzeige gegen Schieske wegen Volksverhetzung und Verleumdung gestellt.
Verloren für die AfD ging parallel zur Niedersachsen-Wahl auch der erste Wahlgang im an Hamburg angrenzenden Landkreis Harburg, wo Matthias Müller sich um das Landratsamt beworben hatte. Er bekam allerdings deutlich abgeschlagen nur 11,9 Prozent der Stimmen, was nicht für den Einzug in eine Stichwahl reichte. In diese gehen dafür Amtsinhaber Rainer Rempe (CDU/47,7 %) und als Herausforderer Michael Cramm (SPD/40,9).