AfD-Politiker Maier: Eklat ohne Folgen

Lange vor dem Fall Noah Becker sorgte der heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier mit einer Äußerung über den Massenmörder Anders Breivik für Empörung - auch in den eigenen Reihen. Der Videomitschnitt bleibt verschollen. Eine Spurensuche:

Donnerstag, 25. Januar 2018
Robert Kiesel

Über eines konnte sich Jens Maier zuletzt ganz sicher nicht beklagen: mangelnde Aufmerksamkeit. Grund dafür war ein rassistischer Tweet zu Noah Becker, veröffentlicht über den Twitter-Account des AfD-Bundestagsabgeordneten. Die Folge des laut Maier von einem Mitarbeiter abgesetzten Twitter-Posts: Eine einstweilige Verfügung gegen Maier, Austrittsforderungen und Distanzierungen aus der eigenen Partei, eine AfD-interne Abmahnung sowie eine Strafanzeige durch den attackierten Becker.

„Massenmörder aus Verzweiflung?“

Der Fall, wie gestrickt nach dem Lehrbuch der AfD-Strategie des kalkulierten Tabubruchs mit anschließender Relativierung, weckt Erinnerungen an einen anderen Eklat Maiers, der bislang folgenlos blieb. Am 19. April 2017 hatte dieser mit einer Aussage über den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik für Empörung gesorgt. „Breivik ist aus Verzweiflung heraus zum Massenmörder geworden“, hatte der damals noch am Landgericht Dresden aktive Richter bei einer Veranstaltung des rechtspopulistischen „Compact“-Magazins gesagt. In der Nähe von Pirna sollte Maier damals eigentlich über die deutsche Asylpolitik sprechen. Bezeichnend: Selbst der ebenfalls als Redner geladene Martin Semlitsch, Autor der neurechten Zeitschrift „Sezession“, distanzierte sich anschließend von den Aussagen seines Vorredners.

Der Unterschied zwischen der rassistischen Beleidigung gegenüber Becker und der Aussage Maiers über Breivik: Während sich die Autorenschaft des mittlerweile gelöschten Tweets kaum noch aufklären lassen wird, gab es für Maiers Aussagen zu Breivik einen Beweis. Den Videomitschnitt der Veranstaltung, der zunächst live ins Internet übertragen wurde, um Minuten nach Ende des „Compact“-Treffens kommentar- und spurlos zu verschwinden. „Dieses Video ist nicht verfügbar“ steht seitdem dort, wo viele die Aussagen Maiers gern nachgeprüft hätten. Eine Überprüfung, die Maiers politische Karriere möglicherweise hätte beenden können, bevor sie richtig begonnen hatte. Wer den Videomitschnitt damals sang- und klanglos verschwinden ließ und warum dies geschah, ist bis heute ungeklärt.

Vergebliche Recherche

Uwe Wurlitzer ist einer von denen, die sich damals um Aufklärung bemühten. Der Abgeordnete des sächsischen Landtags war zu jenem Zeitpunkt Generalsekretär der AfD im Freistaat, verließ zwei Tage nach der Bundestagswahl an der Seite von Ex-Parteichefin Frauke Petry zunächst die Fraktion und wenig später auch die Partei. Vier bis sechs Wochen hätten er und andere Mitglieder des sächsischen AfD-Landesvorstands versucht, an den Mitschnitt zu gelangen, erinnert sich Wurlitzer heute. Ein ehemaliger Mitstreiter spricht gar von mehr als zwei Monaten der Recherche. Vergebens: Weder der vom „Compact“-Magazin beauftragte Kameramann, noch der Veranstalter selbst habe den Mitschnitt zur Verfügung gestellt, so Wurlitzer. Stattdessen habe es ausweichende Antworten und Verweise auf die jeweils andere Seite gegeben, wenn überhaupt. „Das Verhalten des Compact-Magazins spricht Bände“, sagt Wurlitzer.

Und er geht noch weiter: „Ich bin mir ganz sicher, dass Herr Maier an der Stelle sowas gesagt hat. Das trau ich ihm absolut zu. Wenn Herr Maier das nicht gesagt hätte, wäre es für das Compact-Magazin kein Problem gewesen, eine Kopie davon rauszurücken. Das haben sie nicht getan“, sagt Wurlitzer und ergänzt: „Es hat Erklärungsversuche von seiner Seite (Jens Maier, Anm. d. Red.) gegeben, die deutlich machen, dass dort mehr gesagt worden ist, als jetzt behauptet wird.“ Wurlitzer berichtet von Gästen der „Compact“-Veranstaltung, die sich am Tag darauf über das dort von Maier Gesagte „fürchterlich aufgeregt“ hätten.

Verschwinden des Videomitschnitts ist „starkes Indiz“

Ein anderer, der sich intensiv um Aufklärung bemühte, heißt Julien Wiesemann. Der 26-Jährige, zum damaligen Zeitpunkt Vorsitzender der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ in Sachsen, sieht im Verschwinden des Videomitschnitts ein „starkes Indiz“ dafür, dass Maier die Aussagen wie berichtet getätigt hat.„Der Fall ist damit für viele eigentlich klar“, sagt Wiesemann, selbst wenn Maier erklärt habe, falsch verstanden worden zu sein.

Wiesemann, der kurz nach Petry und Wurlitzer von seinen Parteiämtern zurückgetreten war, der AfD aber weiter angehört, erinnert sich an parteiinterne Überlegungen im Nachgang der Maier-Zitate zu Breivik, die Kandidatenlisten für die Bundestagswahl zu überdenken. Selbst einzelne Unterstützer Maiers seien sich ihrer Sache nicht mehr sicher gewesen, so Wiesemann. Die Überlegungen verliefen, auch weil die Videoaufzeichnung verschollen blieb, im Sande. Maier zog schließlich auf Platz zwei der sächsischen AfD-Landesliste in den Bundestag ein.

Schulterschluss statt Distanzierung

Mit Tino Chrupalla könnte einer zur Aufklärung beitragen, der genau wie Maier seit wenigen Monaten im Bundestag sitzt. Chrupalla gewann für die AfD das Direktmandat im Wahlkreis des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), fünf Monate zuvor war er laut eigener Aussage Gast der „Compact“-Veranstaltung nahe Pirna. Maiers Breivik-Zitat habe er „in einem anderen Kontext wahrgenommen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion am Telefon. Den parteiinternen Vorstoß zur Überarbeitung der Kandidatenliste bestätigt er. Chrupalla jedoch betrachtet den Fall für erledigt, auch weil sich die Aussagen Maiers ohne den Videomitschnitt nicht belegen ließen.

Eine Distanzierung Chrupallas von Maier ist indes nicht zu erkennen: Am heutigen Donnerstag stellen sich die beiden gemeinsam den Fragen ihrer Anhänger in der Heidescheune Cotta. „Ich freue mich drauf“, schrieb Maier auf Facebook anlässlich seiner Rückkehr an jenen Ort, an dem er im April 2017 seine Äußerungen zu Breivik getätigt hatte.

Der „Trumpf“ bleibt verborgen

Bleibt die Frage, wie sich jene äußern, die damals direkt beteiligt waren: Jens Maier, die Veranstalter des „Compact“-Magazins und der von ihnen beauftragte Kameramann? Knapp bis gar nicht. Maier, dessen Partei mit dem Slogan „Mut zur Wahrheit“ wirbt, lässt sämtliche Anfragen zur Sache unbeantwortet. Überliefert ist einzig seine Aussage gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, dem Maier unmittelbar nach der Veranstaltung in Cotta erklärt hatte: „Ich habe die Taten von Breivik weder entschuldigt, noch verharmlost.“ Ein kurz darauf via Facebook veröffentlichter Kommentar, manchmal sei es klüger, „noch einen Trumpf in der Hand zu haben“, bleibt in Bezug auf die verschollene Videoaufzeichnung bis heute eine hohle Phrase.

Der Text ist auf vorwärts.de erschienen

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