AfD-Politiker berufen sich auf NS-kompatibles „Großraum“-Konzept
Auch AfD-Politiker sprechen von einer „Großraumordnung mit Interventionsverbot“, ein NS-kompatibler Ansatz aus den 1940er Jahren von Carl Schmitt. Er dient auch zur Delegitimierung des universellen Menschenrechtsverständnisses.
In Gera hielt Björn Höcke anlässlich des deutschen Nationalfeiertags am 3. Oktober 2022 eine Rede, worin er sich auch bezüglich der deutschen Außenpolitik zur Einordnung des Ukraine-Kriegs äußerte. Darin hieß es u.a.: Es sei „US-amerikanische Strategie, als raumfremde Macht auf unserem Kontinent Keile zu treiben zwischen Nationen, die eigentlich sehr gut miteinander zusammenarbeiten könnten.“
Oder er meinte: „Wir werden von einer raumfremden Macht und einer fremdbestimmten Bundesregierung in einen Krieg hineingetrieben …“ Seine Ausführungen gipfelten in den Worten: „Aber wenn ich mich jetzt für das deutsche Volk entscheiden müßte zwischen dem Regenbogen-Imperium, dem globalistischen Westen, dem ‚neuen Westen‘ oder dem traditionellen Osten, ich wählte den Osten!“ Zwei Aspekte verdienen hier besonderes Interesse: Das politische Bekenntnis zum traditionellen Osten ist kaum verklausuliert eines zu Putin. Und: Es wird mehrfach die Formulierung „raumfremde Macht“ als politisches Schlagwort genutzt. Eine nähere Erläuterung dazu findet sich in Höckes Rede nicht. Gleichwohl legt die Begriffswahl bestimmte bis in die 1940er Jahre zurückgehende ideengeschichtliche Prägungen nahe.
Krah beruft sich (mal wieder) auf Carl Schmitt
Denn es gibt Ausführungen dazu in dem Buch von Maximilian Krah „Politik von rechts“. Der AfD-Spitzenkandidat für die kommenden Europawahlen widmet sich darin ebenfalls außenpolitischen Themen, etwa in dem Unterkapitel zu „Zeitenwende und Multipolarität“. Bereits einleitend wird ein Gegensatz zwischen „Globalismus“ und „Multipolarität“ postuliert. Ersteres sei die Absicht des von den USA angeführten Westens, dem „Großräume“ mit „angestammten Regionalmächten“ gegenüber stünden. Dem „westlichen Globalismus mit universellem Anspruch“ sei aber auch ein politischer Widerspruch erwachsen, nämlich „die Idee eines Pluriversums von Großräumen“.
Als Beispiele werden etwa China und Russland genannt. Sie gehörten zu „einer antihegemonialen Allianz mit dem Ziel der Etablierung verschiedener Großräume“. Derart gegensätzliche Modelle seien schon „in den 1940ern und 1950ern durch Carl Schmitt dargestellt worden“. Auch hier dient demnach der genannte Staatsrechtler als geistiges Vorbild. Krah nennt ausdrücklich dessen Schrift „Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ von 1941.
Gegen westliche Demokratien gerichtete „Großraumordnung“
Die beiden AfD-Politiker nutzen mit „Großraum“ und „Interventionsverbot für raumfremde Mächte“ dessen zentrale Termini. Doch was war nun mit den damit einhergehenden Auffassungen gemeint, wurden sie doch während der NS-Diktatur von Schmitt publiziert? Dem Autor ging es darin um eine „Großraumordnung“, die als „spezifisch völkerrechtliche Größe“ legitimiert werden sollte. Ein „Großraum“ werde durch ein „Reich“ dominiert, dessen Herrschaft sollte keine „fremde Interventionen“ erfahren. Gemünzt war die Argumentation seinerzeit auf „unser Deutsches Reich“, das „wesentlich volkhaft bestimmt“ sei.
Dieses basiere als eine „wesentlich nicht universalistische rechtliche Ordnung auf der Grundlage der Achtung jedes Volkstums“. Damit stehe es gegenüber den westlichen Demokratien in einem Gegensatz, aufgrund derem „unstaatlichen und unvölkischen Übergreifen in ein universalistisches Weltrecht“. Konkret sollte eine „Großraumordnung“ für den NS-Staat umgesetzt werden. Dies sei für Deutschland in Europas Mitte möglich, wofür die „Tat des Führers“ die politischen Voraussetzungen geschaffen habe. Das „Deutsche Reich“ sollte demnach ohne Einmischungen den dortigen „Großraum“ dominieren.
Autoritäre Diktaturen schätzen „Großraumordnungen“
Bezogen auf die damalige Ausgangssituation hätte dies bedeutet, dass weder Großbritannien noch die USA handlungsfähig gewesen wären. Diese Beschränkung würde nicht nur gegen eine militärische Option sprechen, was historisch für NS-Deutschland in Europa zu einem militärischen Sieg geführt hätte. Noch nicht einmal politische Forderungen zugunsten von Menschenrechten wären möglich gewesen. Erklärtermaßen handelte es sich bei all dem um NS-kompatible Positionen.
Auch gegenwärtige autoritäre Diktaturen lehnen derartige politische Interventionen ab, sogar in China gibt es eine derart ausgerichtete Carl Schmitt-Rezeption. Gleichlautend argumentieren die genannten AfD-Politiker, wobei Krah auch Schmitt ganz offen als geistiges Vorbild angibt. Seine Ausführungen entsprechen in Form und Inhalt denen des Staatsrechtlers. Gleichzeitig verwirft er dabei Kant aufgrund dessen Universalismus. Diesen nimmt der AfD-Politiker lediglich als „Globalismus“ wahr. Bemerkenswert ist daher auch folgende Aussage von Krah: „Das zentrale politische Argument zur Legitimierung des Globalismus sind die Menschenrechte“. Auch hier sagt der ideengeschichtliche Ausgangspunkt viel über die politische Gegenwart aus.