AfD: Persönlich verfeindet – gemeinsam auf (Rechts-)Kurs

Eine Vorsitzende, die in ihrem Vorstand fast allein steht; ein Vorsitzender, der sich Unterstützung am rechten Rand der Partei besorgt; eine Fraktion, die untersuchen lässt, ob Antisemitismus Antisemitismus ist; ein Fraktionschef mit gehörigem Drang zum Radikalen und einem ersten Karriereknick: Personell zeigt sich die AfD tief zerrissen. Den Drang nach rechts stellt aber niemand in Frage.

 

Freitag, 24. Juni 2016
Rainer Roeser

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Zwei Bilder sagen noch mehr. Bild eins erschien am vorigen Sonntag um 13.21 Uhr auf der Facebook-Seite von AfD-Bundessprecherin Frauke Petry. „In Einheit gegen Antisemitismus“ ist auf der Grafik zu lesen. Sie zeigt Petry selbst und Albrecht Glaser, einen ihrer Stellvertreter. Bild zwei erschien acht Minuten später auf der Facebook-Seite von Petrys Ko-Sprecher Jörg Meuthen. „Antisemitismus hat keinen Platz in der AfD und auch nicht in unseren Fraktionen. Daher stehen wir uneingeschränkt hinter Jörg Meuthen und seinem konsequenten Kurs, diese rote Linie glaubwürdig zu ziehen“ ist auf dieser Grafik zu lesen. Sie zeigt – abgesehen von Petry, Glaser und dem direkt betroffenen Meuthen – alle anderen zehn Mitglieder des AfD-Bundesvorstands, von der nach AfD-Maßstäben als „gemäßigt“ geltenden Alice Weidel bis zum rechten Flügelmann André Poggenburg.

Hätte es noch eines Belegs dafür bedurft, wie isoliert Petry im Führungsgremium ihrer Partei ist – kaum etwas wäre geeigneter gewesen als die beiden Grafiken. Doch bei allen Feindschaften und Animositäten in der Führungsspitze: Politisch trennt die verschiedenen Gruppen und Grüppchen nicht viel. Im Kampf gegen den Islam haben sie nach den Anti-Flüchtlingskampagnen ein neues gemeinsames Feindbild entdeckt. International nähern sie sich stetig anderen rechtspopulistischen Parteien an.

Unterschiede gibt es in der Herangehensweise. Reicht es, wenn die AfD klingt wie Pegida – oder soll auch eine Art Rednertausch möglich sein? Reicht es, wenn man als Schutzpatron „deutscher Identität“ auftritt – oder sollte man die „Identitäre Bewegung“ als Bündnispartner verstehen? Oder auf europäischer Ebene: Reicht es, wenn man öffentliche Auftritte mit dem Front National etwas verdruckst dem NRW-Landeschef Marcus Pretzell überlässt, während Petry Termine mit der FN-Chefin Marine Le Pen tunlichst vermeidet? (bnr.de berichtete)

Stimmungmache gegen die Bundessprecherin

Die Fronten in der AfD werden zunehmend unübersichtlicher. Sogar Leute wie Björn Höcke oder Hans-Thomas Tillschneider, der Chef der „Patriotischen Plattform“, stehen plötzlich Seite an Seite mit dem „Gemäßigten“ Meuthen. Sie eint vor allem das gemeinsame Feindbild Petry. Das führt so weit, dass so unterschiedliche Charaktere wie Höcke und Meuthen gemeinsam in Hintergrundgesprächen mit Journalisten Stimmung gegen die Bundessprecherin machen.

Doch trotz Petrys Isolation in der AfD-Führung: Im Konflikt über den Fraktionsausschluss des baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon hat sie sich weitgehend durchgesetzt. Gegen eine sofortige Entscheidung über den Ausschluss hatte sie plädiert und für „ordnungsgemäße Verfahrensweisen“, worunter sie versteht, „die Äußerungen des Fraktionsmitgliedes Gedeon mittels eines wissenschaftlichen Gutachtens überprüfen zu lassen“. So will es die Fraktion nun tatsächlich halten. Und nachdem Gedeon anbot, seine Fraktionsmitgliedschaft bis September „ruhen“ zu lassen – am 22. Juli verschwindet der Landtag ohnehin in die mehr als sechswöchige Sommerpause –, war der von Petry abgelehnte und von Meuthen angestrebte Showdown zwischen dem Fraktionschef und dem „philosophierenden“ Abgeordneten aus Singen abgesagt. (bnr.de berichtete)

Antisemitismus und die „politisch korrekte Ausdrucksweise“

Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für den Rauswurf hätte Meuthen wohl nicht hinter sich versammeln können. Drei Gutachter, die noch gesucht werden müssen, sollen jetzt über den Sommer das eigentlich Offenkundige bewerten: ob Gedeon auch nach AfD-Maßstäben antisemitisch über die Stränge geschlagen hat.

Die AfD ist keine antisemitische Partei. Aber wie manche in ihr denken, verrät fast beiläufig eine Bemerkung von Meuthens Parlamentarischem Geschäftsführer Bernd Grimmer. Bei jenem Drittel der Abgeordneten, die Gedeons sofortigen Ausschluss verhinderten, handele es sich nicht um Antisemiten, meinte er. Aber, so zitierten baden-württembergische Zeitungen Grimmer weiter: Sie hätten die „Meinungsfreiheit über die politisch korrekte Ausdrucksweise“ gestellt. So wird für einen gewichtigen Teil der Abgeordneten die Absage an Antisemitismus zum bloßen Ausfluss einer „politisch korrekten Ausdrucksweise“, gegen die man gemäß dem inoffiziellen AfD-Leitmotiv des  „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ auch verstoßen kann.

Unentbehrlicher Bündnispartner von Rechtsauslegern

Dass Meuthen AfD-intern überhaupt noch im Spiel ist, hat er paradoxerweise der Parteirechten zu verdanken. Als der Baden-Württemberger beim Essener Parteitag im Sommer 2015 als Sprecher gewählt wurde, galt er den meisten als „gemäßigtes“ Korrektiv zum nationalkonservativen Flügel. Doch mehr und mehr suchte er die Nähe insbesondere zu Alexander Gauland. Beim Stuttgarter Bundesparteitag bewies Meuthen, dass er auch im Tonfall im rechtspopulistischen Mainstream der neuen AfD angekommen war: Den meisten Beifall heimste er ein, als er sagte, seine Partei wolle „weg vom links-rot-grün verseuchten – man könnte auch sagen: leicht versifften – 68er-Deutschland, von dem wir die Nase voll haben“.

Fünf Wochen später tat Meuthen den nächsten Schritt und trat beim Kyffhäusertreffen von Björn Höckes Rechtsaußengruppe „Der Flügel“ auf. (bnr.de berichtete) Dass er dort wissen ließ, wie wenig er vom Begriff „liberal“ hält und dass er stattdessen als „freiheitlich denkender, konservativer Patriot“ gesehen werden will: Man hörte es dort gern. Dass er gegen „Genderismus und andere Perversionen des so genannten Zeitgeistes“ wetterte und gegen das „kranke Verhältnis zur eigenen Nation“, wie es „im grün-linken Lager so erschreckend verbreitet“ sei: Derlei Auftritte machen Jörg Meuthen zum unentbehrlichen Bündnispartner von Rechtsauslegern bei ihrem Drang, die AfD weiter zu radikalisieren. Solche Auftritte helfen aber auch ihm selbst: Nicht ohne Grund blieben jene Kräfte, die regelmäßig laut aufschreien, wenn einer der Ihren in die Kritik gerät, im Fall Gedeon stumm. Tillschneider distanzierte sich gar ausdrücklich von dem auffällig gewordenen Abgeordneten: „Auch ich stehe zu Jörg Meuthen, weil deutscher Patriotismus und Kritik an der Regierung ohne Geschwurbel von einer freimaurerisch-zionistischen Weltverschwörung auskommt.“

„Brandbrief“ aus Sachsen-Anhalt

Zu sinken droht andernorts der Stern eines ausgewiesenen rechten Flügelmanns. Zumindest erhielt er in dieser Woche einen mächtigen Dämpfer. Multifunktionär André Poggenburg, Bundesvorstandsmitglied, Landes- und Fraktionsvorsitzender in Magdeburg, hatte den Bogen spätestens überspannt, als er sich  beim vorigen Landesparteitag erneut zum Chef der AfD in Sachsen-Anhalt wiederwählen ließ – und dass trotz seiner vorherigen Zusage, nicht mehr zu kandidieren. (bnr.de berichtete) Die Quittung erhielt er nun in Form eines von Medien als „Brandbrief“ bezeichneten Aufrufs der allermeisten wichtigen Funktionäre aus seinem Bundesland.

Vordergründig richtete sich der „Ruf der Vernunft“, wie das Papier tituliert war, vor allem gegen die „Patriotische Plattform“. „Wir haben ein aus eigener Kraft erarbeitetes Parteiprogramm und klare, verbindliche Regeln dafür, wo unsere roten Linien verlaufen. Dieser Radius darf nicht durch eine kleine, laute Gruppe ständig vergrößert werden, denn sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit“, heißt es in dem „Ruf der Vernunft“.

Tillschneiders „Patrioten“ hatten wenige Tage zuvor für eine engere Zusammenarbeit zwischen „Identitärer Bewegung“ und AfD plädiert: „Denn auch die AfD ist eine identitäre Bewegung und auch die Identitäre Bewegung ist eine Alternative für Deutschland.“ Die AfD-Funktionäre aus Sachsen-Anhalt konterten: „Wir wollen keine enge Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich selbst noch nicht gefunden haben. Die Identitäre Bewegung ist solch eine Gruppierung. Sie besteht in Deutschland aus heterogenen Ideologien und wird in Teilen nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie ist somit eine schwer einzuschätzende Gefahr für unsere bürgerliche Mitte.“

Zum Landtagsvize weggelobt

Und grundsätzlich notierten sie: „Wir lehnen entschieden ab, dass eine Organisation, wie die Patriotische Plattform (PP), den Anschein erweckt, für die Mehrheit der AfD zu sprechen und unsere Grenzen aufweicht.“ Die „Plattform“ zeige sich derzeit als „Anti-Petry-Bündnis“:  „Das missbilligen wir! Über Personal entscheiden die AfD und ihre Gremien selbst in basisdemokratischer Abstimmung. Wir brauchen keine Partei innerhalb der Partei, die unsere im Volk beliebte Bundesvorsitzende destabilisiert.“

Welche Rolle Petry, der man spätestens seit dem erzwungenen Abgang von Parteigründer Bernd Lucke innerhalb und außerhalb der AfD die Kompetenz zum virtuosen Intrigenspiel zubilligt, beim Zustandekommen des „Rufs der Vernunft“ spielte, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass, wer in Sachsen-Anhalt die „Patriotische Plattform“ schlägt, zuverlässig wissen kann, dass er auch Poggenburg trifft. Und so nahm es nicht Wunder, dass gleich am Tag nach der Veröffentlichung ein Beschluss der Magdeburger Fraktion bekannt wurde: Poggenburg soll nach der Sommerpause für das durch den Rücktritt des AfDlers Daniel Rausch vakant gewordene Amt des Landtagsvizepräsidenten kandidieren. Wird er gewählt, tritt er als Fraktionschef zurück.

Ob die Rechnung aufgeht, ist unklar. Bei allen anderen Parteien sind Zweifel laut geworden, ob ausgerechnet Poggenburg geeignet ist, den Landtag in seiner Gänze zu repräsentieren. Käme es aber doch so, würde Matthias Büttner sein Nachfolger als Fraktionschef. Ein grundsätzlicher Wandel wäre das wohl nicht. Im vorigen Jahr gehörte Büttner zu den Unterzeichnern der „Erfurter Resolution“, mit der die AfD auf (Rechts-)Kurs gebracht wurde.

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