AfD-NRW: Heckenschützen gegen Parteifreunde
In der nordrhein-westfälischen AfD tobt erneut ein mit harten Bandagen geführter Machtkampf. Der AfD-Politiker Klaus Esser sorgt derzeit unfreiwillig für die meisten Schlagzeilen. Er soll sich als Jurist ausgegeben haben, ohne dies letztlich belegen zu können.
„Die AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen ist ganz offensichtlich auch ein Sammelbecken für verurteilte rechtsradikale Straftäter.“ Mit diesen Worten zitierte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ (KStA) Anfang Juni Paul Ziemiak, den Generalsekretär der NRW-CDU. „Hinter der angeblichen bürgerlichen Fassade von AfD-Fraktionschef Martin Vincentz erstreckt sich ein übelriechender brauner Sumpf in Form eines Versorgungswerks für verurteilte Kriminelle“, ergänzte Ziemiak.
Der Generalsekretär der NRW-CDU forderte umgehend Schritte, damit „rechtsradikale Straftäter nicht länger auf der Gehaltsliste des Parlaments stehen“. Einige Zeit später wurde gegen einen AfD-Mitarbeiter ein Betretungsverbot für Teile des Landtags verhängt. Der Fall machte Schlagzeilen und ging auf eine Exklusivrecherche des KStA zurück. Durchgesickert war, dass der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Klaus Esser aus Düren den wegen eines antisemitischen Vorfalls auf dem Haus der Heidelberger Burschenschaft Normannia erstinstanzlich verurteilten Maximilian H. beschäftigte. Laut eines aktuellen Berichtes des KStA hat H. unterdessen gekündigt.
„Übelriechender brauner Sumpf“
Es ist sowohl unter Burschenschaftern als auch innerhalb der AfD eher unüblich, dass sich Meldungen in der Öffentlichkeit häufen, die Parteifreunde, Mitstreiter, Verbands- oder Bundesbrüder öffentlich in die Bredouille bringen. Genau das passiert derzeit in NRW. Der AfD-Politiker Klaus Esser ist stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes und der Landtagsfraktion, er ist Chef der AfD-Fraktion im Kreistag Düren und er führt den Kreisverband Düren. Er und H. sind – oder waren es zumindest bis vor kurzem noch – beide Mitglieder der Kölner Burschenschaft Germania.
Nach den neuerlichen Enthüllungen, siehe unten, postete der extrem rechte AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich aus Dortmund bei X: „Anzeige gegen [Klaus Esser] ist nun auch an die [Staatsanwaltschaft] Aachen raus. Verdacht der Urkundenfälschung und des Anstellungsbetrugs. Wer JA und Verbandsbrüder verrät, hat meine Solidarität nicht verdient.“ Gegen Helferich, der sich vor Jahren in einem Chat mit einem Parteifreund – angeblich ironisch – selbst als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnete, läuft ein Parteiausschlussverfahren (PAV).
Parteiausschlussverfahren gegen Helferich
Zunächst hatte die AfD-NRW dem Dortmunder, der auf dem letzten Landesparteitag zum Beisitzer in den Vorstand gewählt worden war, formal die Mitgliedsrechte entzogen. Helferich nahm den Fehdehandschuh auf. Nachdem Teile der Begründung des PAV offenbar an die Medien durchgesickert waren, veröffentlichte auch er am 25. Juni auf seiner Webseite seine „Antwort auf das PAV!“. Darin teilte er gegen seine Parteifreunde aus. Mittlerweile scheint er das Schreiben wieder von seiner Seite entfernt zu haben.
Gut einen Monat später veröffentlichte der Online-Auftritt des Magazins „Stern“ wenig schmeichelhafte Inhalte aus den Feststellungen des Landesschiedsgerichts. Helferich erschaffe demnach „Bedrohungsszenarien“, habe wiederholt und gezielt „Fehltritte oder vermeintliche Fehltritte anderer Parteimitglieder“ platziert und das getan, „um Druck auszuüben“. Dabei handelte es sich offenbar um tatsächliche oder angebliche frühere Verbindungen von Parteimitgliedern ins extrem rechte und neonazistische Lager.
Extrem rechter Aufklärer
Zudem habe Helferich in einem Chat über die „Tätigkeit als Nutte“ einer Parteifreundin fabuliert. Das Schiedsgericht sah darin eine möglicherweise „strafbare Formalbeleidigung“, zitierte der „Stern“ weiter. Ende Juli berichtete die Wochenzeitung „Die Zeit“ über den NRW-Streit und stellte zu Helferichs Kampf gegen Landeschef Martin Vincentz fest: „Ausgerechnet ein besonders Radikaler will aufdecken, wie extrem die Partei ist.“ Vincentz und Esser bemühen sich, die AfD nach außen als relativ moderat darzustellen – unabhängig davon, wie moderat Parteifreunde in NRW tatsächlich agieren.
In einem Zivilprozess eines früheren Mitglieds der „Republikaner“ (REP) gegen Helferich erklärte sich dieser vor wenigen Tagen vor dem Oberlandesgericht Köln bereit, seine V-Mann-Vorwürfe gegen den Ex-REP aus Oberhausen nicht mehr zu erheben. Dieser hat sich unterdessen der AfD angenähert und einen AfD-Neujahrsempfang in Duisburg mit Parteichefin Alice Weidel gesponsert. Als Rechtsbeistand stand Helferich der Düsseldorfer Szeneanwalt Björn Clemens zur Seite.
Dreck aufwirbeln in der AfD
Dieser hatte sich kurz vor dem Prozess mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gewandt und – zum Zwecke der Darstellung des Rechtsstreits – die V-Mann-Vorwürfe Helferichs gegen den Ex-REP erläutert. So erfuhr auch „nd. Die Zeitung“ (vormals „Neues Deutschland“) von dem Prozesstermin. In der nd-Berichterstattung über den Fall hieß es später: „Matthias Helferich hat Schmutz aufgewirbelt, der viele in der AfD dreckig machen kann. Die Episode vor dem Oberlandesgericht Köln wird sicher nicht die letzte gewesen sein.“
Zurück zu Esser: Nach einem Urteil des Amtsgerichts Heidelberg soll sein späterer Mitarbeiter im August 2020 an einem antisemitischen Vorfall beteiligt gewesen sein. Maximilian H., Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania, soll zusammen mit anderen Männern einen seinerzeit 25-jährigen Studenten auf dem Haus der Burschenschaft Normannia in Heidelberg mit Gürteln geschlagen haben. Neben den Schlägen soll der Student auch als „Judensau“ und „Drecksjude“ beschimpft worden sein.
Antisemitismus in Heidelberg
Vor dem Angriff soll der 25-Jährige die Frage nach seiner jüdischen Herkunft bejaht haben. Seine Großmutter sei Jüdin gewesen. Das Amtsgericht Heidelberg verurteilte H. und zwei weitere Burschenschafter im Dezember 2022 zu acht Monaten Haft auf Bewährung. Die Verteidigung legte Berufung ein, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufungsverhandlung soll in einigen Wochen stattfinden. Anfang Juni berichtete der KStA über all das erstmals. Die Düsseldorfer „Rheinische Post“ (RP) brachte Ende Juni exklusiv eine weitere Enthüllung über Esser.
Gegen diesen gebe es „Betrugsvorwürfe“, dabei ging es darum, dass Esser im Kreisverband Düren Mitglieder aufgenommen haben soll, die gar nicht dort wohnen. Damit habe er seinen eigenen Kreisverband aufblähen wollen, um ihn schlagkräftiger zu machen und auf Parteitagen durch eine größere Zahl von Delegierten mit mehr Gewicht abstimmen zu können. Laut RP soll der Euskirchener Kreisvorsitzende Frank Poll mit einer Strafanzeige gegen Esser und Briefen an den Landes- und Bundesvorstand aktiv geworden sein. Esser und die AfD witterten dahinter eine Schmutzkampagne.
Weder Staatsexamen noch Universitätsabschlüsse
Nach aktuellen und neuen exklusiven Enthüllungen der RP soll der stellvertretende Landes- und Fraktionssprecher Esser vor Jahren parteiintern vorgegeben haben, Jurist zu sein. Mit dieser Angabe habe er sich damals um den Posten des Geschäftsführers in der Düsseldorfer Landesgeschäftsstelle beworben. Er bekam die Stelle. Nach Recherchen der RP ließen sich weder Staatsexamen noch Universitätsabschlüsse nachweisen. Der Dürener bestreitet die Vorwürfe.
Die RP berichtet: „Auf einen umfangreichen Fragenkatalog zu seinem beruflichen Werdegang lässt Klaus Esser eine große Kölner Anwaltskanzlei reagieren. Die Vorwürfe entbehrten jedweder Beweistatsachen, heißt es in einem Schreiben. Der Lebenslauf sei von Dritten gefälscht mit dem Ziel, ihm parteiintern zu schaden.“ Eine private E-Mail-Adresse Essers, von der aus die Unterlagen 2018 verschickt worden sein sollen, sei vor gut zehn Jahren gehackt worden. Mindestens eines der Zeugnisse könne es auch gar nicht geben, da Esser nie an der genannten Universität studiert habe, zitierte die RP aus dem Schreiben der Anwaltskanzlei.
Verbandsbrüder keilen
Kurz darauf postete Helferich, es sei Strafanzeige erstattet worden, denn „wer JA und Verbandsbrüder verrät, hat meine Solidarität nicht verdient.“ Verbandsbrüder meint hier: Helferich und Esser sind beide Burschenschafter, sie gehören jedoch verschiedenen Burschenschaften an. Und normalerweise klären Verbandsbrüder Unstimmigkeiten zunächst intern, gehen aber nicht in der Öffentlichkeit gegeneinander vor und geben auch keine Informationen darüber an die Medien weiter.
Laut aktueller Medienberichte teilte die AfD am Montag mit: „Der Landesvorstand der AfD NRW prüft die Vorwürfe gegen den stellvertretenden Sprecher Klaus Esser genau und wird, wenn gefordert, selbstverständlich mit allen behördlichen Stellen kooperieren.“ Es gelte gleichwohl „immer die Unschuldsvermutung und der Landesvorstand der AfD NRW ist der Überzeugung, dass Klaus Esser die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aufklären wird.“