Aufstellung Bundestagswahl

AfD-NRW: Am Ende grinst das „Gesicht des NS“ freundlich

Auf ihrem Landesparteitag zur Listenaufstellung für die Bundestagswahl will sich die nordrhein-westfälische AfD nach Macht- und Flügelkämpfen als moderat und geeint präsentieren. Der Dortmunder Matthias Helferich aus dem rechtsextremen Parteilager schaffte es dennoch auf Listenplatz 6.

Samstag, 04. Januar 2025
Michael Klarmann
Matthias Helferich, spricht auf dem Aufstellungsparteitag der NRW-AfD zu den Delegierten. Foto: picture alliance/dpa | Fabian Strauch
Matthias Helferich, spricht auf dem Aufstellungsparteitag der NRW-AfD zu den Delegierten. Foto: picture alliance/dpa | Fabian Strauch

Landeschef Martin Vincentz, Typ Schwiegermutters Liebling, sagte am Freitag dem WDR, die Delegierten hätten mit ihrem Votum für Helferich möglicherweise den „Listenplatz schlicht verschenkt“. Denn gegen den Dortmunder läuft ein Parteiausschlussverfahren (PAV). Der Jurist Helferich hatte sich vor Jahren in einem Chat – ironisch überzeichnend, wie er später mitteilte – als „das freundliche Gesicht des NS“ und „demokratischer Freisler“ bezeichnet. Bei der letzten Bundestagswahl war er über die Landesliste ins Berliner Parlament gewählt worden, doch die AfD-Landesgruppe verweigerte ihm die Fraktionszugehörigkeit.

Helferich gehört damit nicht der Bundestagsfraktion an, ist aber weiterhin Mitglied der AfD und bestens mit dem neurechten und rechtsextremen Vor- und Umfeld sowie der „Jungen Alternative“ (JA) vernetzt. Neue Vorwürfe führten dann zur Einleitung des laufenden PAV. Sein eigener Kreisverband stellte Helferich als Direktkandidaten in Dortmund auf, der Landesvorstand verweigerte jedoch die erforderliche Unterschrift, damit die Kandidatur offiziell werden kann. Gegenüber dem WDR sagte Vincentz am Freitag, dass Helferich zwar nun über den sicheren Listenplatz auf dem AfD-Ticket wieder in den Bundestag einziehen dürfte, aber nach einem Parteiausschluss außerhalb der Fraktion agieren könne.

Grabenkämpfe innerhalb des mitgliederstärksten Landesverbandes

Die nordrhein-westfälische AfD stellt den mitgliederstärksten Landesverband – und ist zerstritten und gespalten. Macht-, Graben- und Flügelkämpfe sind allgegenwärtig, selbst manche Kreisverbände der rechtsradikalen Partei sind zerstritten. Einst tobte jener Machtkampf zwischen dem ehemaligen Landeschef Rüdiger Lucassen, zu dessen Lager damals auch Helferich gehörte. Auf der anderen Seite stand unter anderem Thomas Röckemann, den manche scherzhaft „Höckemann“ nannten, weil er dem rechtsextremen Lager um Björn Höcke zugerechnet wurde.

Lucassen und Helferich wollten seinerzeit als eher gemäßigt wahrgenommen werden. Vincentz löste später Lucassen als Landeschef ab und hegte Röckemann etwas ein. Ausgerechnet er kandidierte am gestrigen Freitag in Marl gegen Helferich um Listenplatz 6 – und scheiterte. Denn 245 Delegierte stimmten für den heutigen Höcke-Vertrauten Helferich und nur 224 für den früheren NRW-„Höckemann“ Thomas Röckemann.

Maximilian Krah soll die Einheit bringen

Als der Listenparteitag am Donnerstagabend in Marl begann, war überraschenderweise kein Geringerer als Maximilian Krah anwesend. Krah, ähnlich extrem rechts wie Helferich und in Teilen der Partei wegen mancher Skandale höchst umstritten, hielt eine der Eröffnungsreden. Ein kluger Schachzug, um die Lage respektive die Lager zu befrieden? Krah stärkte Vincentz den Rücken. Er lobte den Landeschef und den an diesem Abend noch nicht gewählten, aber designierten Spitzenkandidaten Kay Gottschalk. Die AfD müsse in NRW einig auftreten, sagte Krah in seiner ungewöhnlich zahm klingenden Rede über den in völkischen-radikalen Kreisen als zu liberal abgewatschten Landesverband. Das Werben fiel nur bedingt auf fruchtbaren Boden.

Den Landesverband NRW konnte Vincentz nicht wirklich einen. Je mehr er versuchte, Helferich und dessen Umfeld kaltzustellen, desto mehr Interna über Mitstreiter und Vertraute von Vincentz gelangten an die Öffentlichkeit. Höhepunkt waren dabei die Enthüllungen über den ehemaligen Landes- und Fraktionsvize Klaus Esser aus Düren. Er soll Teile seiner Vita aufgebauscht beziehungsweise gefälscht und Mitglieder über Scheinadressen in seinen Kreisverband Düren aufgenommen haben.

Durchstechen von brisanten internen Infos

Und Esser hatte ein dubioses Privatdarlehen für eine soziale Initiative eines Parteifreundes eingefädelt. Kürzlich gab es zudem eine Hausdurchsuchung bei Esser wegen der Lebenslaufaffäre und mutmaßlich gefälschter Universitätsabschlüsse. Helferich und ein weiterer NRW-Abgeordneter, Roger Beckcamp, sind entweder selbst mit Andeutungen und Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen – oder Parteifreunde vermuten hier diejenigen, die oder deren Umfeld brisante Informationen an die Medien durchgestochen haben.

Im Vorfeld des Listenparteitages wurden auf den Telegram-Kanälen der gegnerischen Lager interne Informationen verbreitet. Dort wurden Mitglieder der gegnerischen Flügel denunziert, beschimpft, echte und falsche inkriminierende Informationen über sie veröffentlicht. Manches davon geschah in einem Tonfall, der eher an einen Schauprozess des gefürchteten NS-Blutrichters Roland Freisler erinnerte. Das Ausmaß der so veröffentlichten Informationen übertraf das, was AfD-Anhänger bei antifaschistischen „Outings“ zu befürchten haben.

Ein Nobody düpiert die Landesspitze

Die Fronten scheinen weiter verhärtet. Helferich selbst trat in Marl aber nicht gegen den von Vincentz und dem Landesvorstand auf Listenplatz 1 gesetzten Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk aus Viersen an. Gegen den designierten Spitzenkandidaten kandidierte am Freitagmittag Axel Fischer aus Düren, parteiintern ein völliger Nobody. Er ist zugleich Geschäftsführer jenes sozial engagierten Vereins, dem Esser den Privatkredit eines vermögenden AfD-Mitglieds vermittelt hatte.  

Esser war einst Kassierer des e.V., Parteifreund Fischer ist dessen Geschäftsführer, die stellvertretende Geschäftsführerin kandidierte bei der letzten Kommunalwahl für die AfD. Der Verein will Schulkinder im Rahmen von Inklusionsmaßnahmen betreuen und bietet zudem Seniorenbetreung an. In Düren hat sich die Initiative allmählich etabliert, wird akzeptiert. Die Kandidatur Fischers gegen Gottschalk um den ersten Listenplatz dürfte demgegenüber für den Ruf des Vereins ein Himmelfahrtskommando gewesen sein, parteiintern jedoch war es eine geschickt platzierte Generalabrechnung. Denn Fischers Schimpftiraden gegen die Parteispitze und Esser mussten an solch prominenter Stelle auf dem Parteitag von den Journalisten wahrgenommen werden.

151 Stimmen für Herrn Nobody

Am Ende war Fischers Suade also in der Welt und Gottschalk mit 292 von 488 abgegebenen Stimmen zwar gewählt – aber der Nobody aus Düren erhielt selbst stolze 151 Stimmen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete: „Nur etwa ein Drittel der Delegierten hatte [Gottschalks] Sieg beklatscht, und 61,2 Prozent der Stimmen sind kein Triumph.“ Das illustriert, wie tief die Gräben immer noch sind.

Auch bei späteren Wahlen lagen die Ergebnisse der Kandidaten der beiden Parteilager nicht selten dicht beieinander. Der ehemalige Landeschef Lucassen, der dem Helferich-Lager zugerechnet wird und als verteidigungspolitischer Sprecher der aktuellen Bundestagsfraktion fungiert, schlug seinen Fraktionskollegen Stefan Keuter zunächst im ersten Wahlgang um den sicheren Listenplatz 5 mit 234 zu 233 Stimmen. In der anschließenden Stichwahl verwies Lucassen Keuter dann ins Abseits.

Arbeitsplatzgarantie durch Listenplatz

Der Parteitag wurde vorsorglich auf insgesamt fünf Tage angesetzt, Montag soll er spätestens enden. Nach den bisherigen Prognosen könnten die ersten zwanzig Listenplätze in NRW bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar als Jobgarantie gelten. Es geht also um sehr viel Geld und Macht, für den jeweiligen Kandidaten und natürlich für die künftig von diesen im Politikbetrieb angestellten Mitstreiter. Zwar hat sich das Vincentz-Lager mit seinen Kandidaten bis Freitagabend und bis zum Listenplatz 10 überwiegend durchgesetzt. Das bedeutet aber keineswegs, dass die AfD in NRW moderater geworden ist.

„Sprachlich sind es oft nur Nuancen, die die Kandidaten in Marl voneinander unterscheiden, inhaltlich wollen alle mit einer Politik weit rechts der Union punkten“, bilanzierte die „Rheinische Post“ (RP). In seiner Bewerbungsrede sprach Helferich von „millionenfacher Remigration“ die Deutschland brauche. Gottschalk hingegen hatte angemerkt, man müsse „abschieben, abschieben, abschieben“.

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