AfD mit blauem Auge davongekommen
Nach der ersten Auszählung der Landeslisten schafft die Partei mit 5,3 Prozent den Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft. Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und der Terroranschlag von Hanau.
Fast drei Stunden herrschte Tristesse in der Hamburger Geschäftsstelle der AfD. Dass in der Hansestadt an einen Wahltriumph ähnlich wie in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nicht zu denken sein würde, war den AfD-Politikern aus der Hansestadt ohnehin klar gewesen. Im Nordwesten der Republik ist für die Partei nicht viel zu holen. (bnr.de berichtete hier und hier) Doch in den knapp drei Stunden zwischen den ersten Prognosen und einer Hochrechnung kurz vor 21.00 Uhr blickten die Besucher der Wahlparty in den Räumen des Landesverbandes in einen tiefen Abgrund: Alles deutete darauf hin, dass selbst das Minimalstziel verfehlt worden war: die Rückkehr in die Bürgerschaft.
Nockemann beklagt „Ausgrenzungskampagne“
Die Gesichter hellten sich ein wenig auf, als aus den Wahlbezirken mehr und mehr Ergebnisse geliefert wurden. Als nach 23.00 Uhr alle Stimmen für die Landeslisten ausgezählt waren, stand die AfD bei 5,3 Prozent. Das sind 0,8 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. Werden die Zahlen bestätigt, wenn auch alle Stimmzettel für die Wahlkreislisten ausgewertet sind, zieht die Partei mit sieben Abgeordneten ins Landesparlament ein. 2015 waren es acht Abgeordnete gewesen, von denen freilich zwei die AfD später verließen.
Spitzenkandidat Dirk Nockemann nannte das schwache Abschneiden das „Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne“ – einer Kampagne „des gesamten politischen Establishments der Stadt Hamburg“. Bernd Baumann, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion und selbst Hamburger, sagte, die Hansestadt mit ihrem „Linksblock“ von 73 Prozent sei schon „immer das schwierigste Pflaster“ für seine Partei gewesen.
Ratschläge aus Berlin
Doch trotz aller Verweise auf die Besonderheiten in der Elbmetropole: Verhindern wird es die AfD nicht können, dass das Fast-Debakel zu neuerlichem Streit über die richtige Strategie führt. „Flügel“-Gegner Georg Pazderski, Ende November aus dem Bundesvorstand abgewählt, steuerte einen Ratschlag aus Berlin bei: „Die AfD muss ihr bürgerlich-konservatives Image schärfen und eine noch klarere Grenze nach Rechtsaußen ziehen. Hier sind insbesondere der Bundesvorstand, die Landesvorstände, aber auch der Flügel gefordert.“
Die, die dem Kurs von Nockemann und Landesvize Alexander Wolf schon immer skeptisch gegenüberstanden, werden das anders sehen. Sie werfen dem Spitzenduo in Hamburg vor, allzu lasch agiert zu haben, und empfehlen mehr Radikalität. Stützen können sie sich auf Funktionäre wie AfD-Bundesvize Stephan Brandner. Der twitterte, als noch viel für ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde sprach: „Immer daran denken: Was sind schon so'n paar Hamburger gegen viele Millionen Thüringer, Sachsen und Brandenburger?“
Männerpartei
Anders als in den drei Ost-Ländern im vorigen Herbst konnte die AfD mit ihren Parolen gegen Migration bei den Hamburgern nicht landen. Infratest dimap zufolge sagten nur fünf Prozent der Wähler, Zuwanderung habe für ihre Entscheidung die wichtigste Rolle gespielt. Äußerst dürftig fielen die Werte aus, wenn nach den besonderen Kompetenzen der AfD gefragt wurde. Nur sieben Prozent hielten die Hansestadt-AfD in Sachen Kriminalitätsbekämpfung für kompetent, sechs Prozent in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Bei allen anderen Themen wurde der Partei noch weniger zugetraut.
Konnte die Partei schon inhaltlich nicht punkten, zeigten sich erneut ihre Probleme bei einzelnen Wählergruppen. Zwar stimmten Infratest dimap zufolge sieben Prozent der Männer für die AfD, aber bei den Frauen waren es nur drei Prozent. Unter den Wählern bis 24 Jahre kam sie nur auf drei Prozent, bei den Unter-35-Jährigen auf vier Prozent. Zwar holte sie unter Arbeitern mit 14 Prozent überdurchschnittlich viele Stimmen, doch damit blieb sie deutlich hinter der SPD und sogar knapp hinter den Grünen zurück.
Bürgerlichkeitssimulation verfing nicht
Verunsicherung greift in der Partei um sich. Auf der Habenseite hatte die AfD etwa ihren Coup verbucht, in Erfurt einen FDP-Politiker zum Ministerpräsidenten zu wählen. Thüringen sollte als Nachweis dienen, wie intensiv sich die AfD um die Mehrheitsfähigkeit eines angeblichen „bürgerlichen“ Spektrums bemühe – und dass sie sogar selbst Teil eines solchen Lagers sei. Doch die Bürgerlichkeitssimulation verfing bei den Hamburger Wählern nicht. In den Umfragen habe die AfD konstant bei etwa sieben Prozent gelegen, sagte Nockemann dem NDR. Nach Thüringen seien die Zahlen jedoch im Zuge einer „unseligen Kampagne“ und als Ergebnis jener „maximalen Ausgrenzungskampagne“ gesunken. Wolf klagte gegenüber dem „Tagesspiegel“, Thüringen habe dazugeführt, „dass AfD-Politiker öffentlich unverhohlen als Nazis bezeichnet wurden“.
Geschadet hat der AfD offenbar auch, dass nach dem Terroranschlag von Hanau die Mitverantwortung der Partei für ein Klima, das solche Taten möglich macht, in den Blickpunkt rückte. „Wir sind in die Nähe eines irrsinnigen Attentäters gerückt worden, dem wir angeblich durch unsere Formulierungen Munition geliefert hätten“, klagte Nockemann. „Etwas so Wirres, etwas so Verdrehtes und Schändliches uns gegenüber habe ich eigentlich in noch gar keinem Wahlkampf wahrgenommen.“ Er wolle nicht ausschließen, dass dadurch das Ergebnis ein bis zwei Prozent nach unten gedrückt worden sei.
Selbstkritik angedeutet
In der Tat hatten Infratest dimap zufolge 87 Prozent der Wähler moniert, dass sich die AfD nicht genug von rechtsextremen Positionen distanziere. Jörg Meuthen und Tino Chrupalla, die beiden Bundessprecher, hatten am Sonntag versucht, mit einer neuen Tonlage auf das Dilemma ihrer Partei zu reagieren. In einem mittags veröffentlichten Brief an die Mitglieder schrieben sie: „Um es ganz deutlich zu sagen: Die Tat von Hanau ist ein rassistisches Verbrechen. Ihr Motiv war Ausländerhass.“ Die AfD dürfe und werde es nicht zulassen, „dass extremistische Gewalttäter den gesellschaftlichen Frieden zerstören“. Sie werde es aber auch nicht zulassen, dass die AfD ausgegrenzt und in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt werde.
Selbstkritik zumindest andeutend, schrieben Meuthen und Chrupalla weiter: „Allerdings müssen wir uns auch fragen, warum es unserem politischen Gegnern gelingt, uns überhaupt mit solch einem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Dieser Frage müssen wir uns stellen, auch wenn es schwer fällt.“ Wer sich rassistisch und verächtlich über Ausländer und fremde Kulturen äußere, handele „ehrlos und unanständig und damit gegen Deutschland und gegen die AfD“. Es ist ein ernstes Problem für die AfD: In Hamburg ist sie offenbar noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, doch auch bundesweit sanken zuletzt die Umfragewerte. Dass sich die Partei aber deswegen eine verbale Mäßigung verordnen lässt, darf man anzweifeln.