AfD: Meuthens Demontage

Der AfD-Chef setzte Spaltungsideen in die Welt. Am Ende musste er aber wieder beidrehen. Der großen Mehrheit in der Partei ist die Einheit mit der Rechtsaußen-Fraktion letztlich doch wichtiger als die Abgrenzung zum radikalen „Flügel“.

Mittwoch, 08. April 2020
Rainer Roeser

Die AfD-Spitze hätte es bei einem schlichten Bekenntnis gegen alle Ideen zur Spaltung der AfD belassen können: Der Bundesvorstand „bejaht die Einheit der Partei und spricht sich gegen jegliche Bestrebung aus, diese zu gefährden“ – so wie es tatsächlich auch in jenem Beschluss steht, den ihre Führungsleute am Montag veröffentlichten. Doch damit allein sollte es nicht sein Bewenden haben. Das persönliche Mea Culpa des Parteichefs samt Besserungsgelübde durfte nicht fehlen. Auf der Internetseite der AfD ist es nun nachzulesen: „Bundessprecher Jörg Meuthen hat eingeräumt, mit seinem Interview in ‚Tichys Einblick‘ einen großen Fehler begangen zu haben. Meuthen erklärt, die Diskussion nicht weiter zu führen. Er bekennt sich zur Geschlossenheit der AfD als einheitlicher Partei und bekräftigt, ausschließlich in diesem Sinne gemeinsam vorzugehen.“

Wohl selten in der jüngeren Parteiengeschichte hat sich ein Vorsitzender schwarz auf weiß dermaßen seine Fehler und Begrenztheiten vorhalten lassen müssen. Freilich: Er hatte sich selbst in diese Lage manövriert. Sehr rasch war klar geworden, dass er mit seinem Versuch, eine Aufspaltung der AfD in einen angeblich „bürgerlich-konservativen Teil“ und einen „Flügel“-Teil zu ventilieren, in den eigenen Reihen – abgesehen von einzelnen Stimmen aus der zweiten und dritten Reihe – auf schroffe Ablehnung stieß.

Meuthen stimmt in Einheits-„Mantra“ ein

So gesehen war es ein Akt der Selbstdemontage, den Meuthen praktizierte. Am Ende blieb nur der Rückzug. Ein trotziges Beharren hätte ihn unmittelbar das Amt gekostet. Sogar zur Einheit der AfD musste er sich bekennen. Dabei hatte er noch vor einer Woche über die „Torheit“ gelästert, „wie alte Sozialistenkader permanent das Hohelied der Einigkeit zu singen“. Dass „nur eine Einheit den Untergang der Partei abwenden könne“, war ihm lediglich wie eine „quasi als permanentes Mantra verbreitete Hypothese“ erschienen. Ein paar Tage später stimmte er in den Chor ein.

Dass es so kommen würde, hatte sich bereits angedeutet, als Meuthens provokante Thesen noch gar nicht auf dem Nachrichtenmarkt angelangt waren. Am Abend vor der Veröffentlichung seines Interviews auf der rechtskonservativen Internetseite „Tichys Einblick“ publizierte sein Ko-Bundessprecher Tino Chrupalla eine Erklärung, die auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland und die stellvertretende Parteisprecherin Alice Weidel unterzeichnet hatten. Was sich vordergründig wie eine der vielen Positionsbestimmungen in Zeiten von Corona las, war weit mehr als das.

„Gesamtdeutsche Volkspartei“

„Es gibt nur eine AfD!“, schrieb das Trio, das auch an der Spitze der Bundestagsfraktion steht, unter der Überschrift „Mit vereinten Kräften für unser Land!“. „Souverän und geschlossen“ müssten die AfD und vor allem deren Führungsgremien auf Versuche der Ausgrenzung und Diffamierung reagieren. Die Auflösung des „Flügels“ bedeute „die Rückkehr zur inneren Einheit der Partei und ist ein wichtiger Schritt zur Bündelung unserer Kräfte als freiheitlich-soziale Partei“, erklärten Gauland, Chrupalla und Weidel, die bereits wussten, dass Meuthen per Interview eine Anleitung zur Parteispaltung verkünden wollte. „Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere gemeinsam beschlossenen politischen Ziele wieder in den Vordergrund zu stellen und uns gemeinsam zu unserem freiheitlich-sozialen Kurs zu bekennen“, notierten sie. Nur so könne die AfD „gesamtdeutsche Volkspartei“ werden.

„Jeder weiß, dass der Flügel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv Wählerstimmen im bürgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, dass die ordoliberalen Ansichten des bürgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatspaternalistisch geprägten Wählermilieu des Flügels verhindern“, war anderntags in Meuthens Interview nachzulesen. Ohne die „wechselseitige Hemmung“, so Meuthen, würden sich die Parteien rechts der Union „längst auf einem Niveau bewegen, wie es etwa die Lega von Matteo Salvini und die Fratelli d ́Italia in Italien spielen“. Hierzulande bleibe man davon aber „durch permanente interne Kämpfe und die Abschreckung weiterer Wählerschichten leider immer noch weit entfernt“.

Geschwächter Parteichef

Meuthens Rechnung klang einfach: „An eine AfD ohne Flügel würde die Union scharenweise sich als konservativ verstehende Wähler verlieren, und für die beliebige und mutlose FDP, die sich ja nur noch mit der verschreckten AfD-Klientel über Wasser halten kann, wäre das wohl unmittelbar existenzbedrohend.“ Auf der anderen Seite könne nach einer Aufspaltung der „Flügel“ der Linkspartei im Osten vermutlich weitere Wähler abnehmen.

Vordergründig las sich Meuthens Aufspaltungsplädoyer wie die Stellungnahme eines starken Vorsitzenden, dem niemand in der Partei etwas anhaben kann. Doch bei Lichte betrachtet war es schon zu diesem Zeitpunkt mit seiner Stärke nicht weit her. Beim Bundesparteitag Ende letzten Jahres hatte Meuthen erleben müssen, dass jene Funktionäre, die allzu schroff gegen den „Flügel“ Front machten, bei den Vorstandswahlen durchfielen. Die Macht des „Flügels“ in der neuen Führungsspitze wurde größer, nicht kleiner.

Empfindliche Schlappe beim „Rentenkonzept“ erlebt

Auch als der Bundesvorstand am 20. März die Auflösung des „Flügels“ forderte, geschah dies nicht in der von Meuthen verlangten schroffen Version, sondern als „Erwartung“ formuliert und mit längerer Fristsetzung. Unterm Strich war es kein Sieg derer, die die AfD als „bürgerlich“ darstellen wollen. Seine wohl empfindlichste Schlappe aber erlebte Meuthen, als die AfD ihr „Rentenkonzept“ präsentierte. Seine neoliberal-marktradikalen Ideen waren als unverbindlicher „Ausblick“ ganz ans Ende verbannt. Nicht einmal jene AfDler, die sich in dem von Meuthen so genannten „bürgerlichen Lager“ verorten, hatten ihrem Bundessprecher folgen mögen.

Die Diskussion über sein Interview machte seine Isolation überdeutlich. Öffentlich sprangen ihm nur Funktionäre aus der zweiten Reihe bei. „Ich stehe zu Jörg Meuthen!“, beteuerte etwa Uwe Junge, ehemals Vorsitzender in Rheinland-Pfalz und bei der Wahl des Bundesvorstands gescheitert. Über eine „gütliche Trennung von offensichtlich unversöhnlichen Lagern“ müsse man doch nachdenken dürfen, meinte Junge: „Ich jedenfalls möchte mich von ,Parteifreunden', die permanent ,Einheit' schreien, nicht mehr als Halber, als Bettnässer oder Feindzeuge beschimpfen lassen und ausgeschwitzt werden.“ Wer Meuthen in Frage stelle, stelle die AfD als bürgerlich konservative Partei insgesamt in Frage.

Tadel von Parteigranden

Schon etwas zurückhaltender formulierte Georg Pazderski, Ex-Landeschef in Berlin und nicht wieder in den Bundesvorstand gewählt: Meuthen rege „nichts weiter als eine Diskussion an“, erklärte er treuherzig. „Wenn wir Denkverbote auferlegen, dann sind wir nicht besser als die Altparteien.“ Unglücklich für ihn, dass Meuthen selbst deutlich machte, dass es ihm keinesfalls nur um unverbindliche Gedankenspiele und Diskussionen ging. Der Nachrichtenagentur sagte er zu seinen Aufteilungsvisionen: „Wir sollten in Ruhe darüber diskutieren, aber dann auch bis Ende des Jahres zu einer Entscheidung kommen.“

Der Rest war Ablehnung. „Wenig zielführend und extrem unpolitisch“, schimpfte Gauland über Meuthens Überlegungen. Chrupalla tadelte: „Wer eine Diskussion über die Zukunft der Partei anstoßen will, der tut dies erstens in den zuständigen Gremien und zweitens ergebnisoffen.“ Weidel erinnerte daran, dass die AfD vor wichtigen Wahlen im kommenden Jahr stehe: Wenn sie sich zuvor in ihre Einzelteile zerlege, habe sie „alles verspielt, was die letzten Jahre aufgebaut wurde“.

Höcke-Vertrauter: „Meuthen außerhalb der Partei neu verortet“

Sogar Leute, auf die Meuthen ansonsten stabil bauen kann, gingen auf Abstand. Die AfD vereinige „das demokratische Spektrum rechts der Mitte. Sie muss rote Linien zu extremistischen und nicht politikfähigen Personen ziehen. Das ist der richtige Weg – und der einzige“, ließ die stellvertretende Parteichefin Beatrix von Storch wissen. Roland Hartwig, Leiter einer AfD-internen Arbeitsgruppe „Verfassungsschutz“ und einer der parlamentarischen Geschäftsführer im Bundestag, mutmaßte, Meuthen werde „durch diese Aktion an politischem Gewicht in der Partei“ verlieren.

Der, um den es vor allem geht, „Flügel“-Vormann Björn Höcke, hinterließ den Hinweis, er finde es „töricht und verantwortungslos“, wenn „einige wenige in der einzig relevanten Oppositionskraft nichts Besseres zu tun“ hätten, „als die Einheit unserer Partei in Frage zu stellen“. Das „Abspalten von relevanten Gruppen oder gar die Spaltung der Partei“ wäre „ein fatales Zeichen, es wäre ein Zeichen des Scheiterns“, so Höcke. Sein Adlatus Jürgen Pohl konstatierte, Meuthen habe sich „politisch neu verortet – und das außerhalb der Partei. Wenn ihm diese Partei nicht mehr gefällt, dann muss er halt die Konsequenzen ziehen“.

Meuthen-Projekt: „Der Dritte geht“?

Andere „Flügel“-Anhänger machten sich bereits nicht ganz ernsthafte Gedanken, welchen Namen ein Meuthensches Parteienprojekt haben könnte. „Blaues Ende“ nennt sich eine Facebook-Seite, die sich gegen den AfD-Chef richtet – angelehnt an Frauke Petrys „Blaue Wende“. Ein Meuthen-Gegner aus Baden-Württemberg schlug in Anspielung auf Petrys „Die Blauen“ Meuthen „Die Lauen“ vor. Alternativ und in der Erwartung, Meuthen könne Bernd Lucke und Petry folgen, käme seiner Meinung nach auch „Der Dritte geht“ infrage.

Doch noch spricht wenig dafür, dass Meuthen tatsächlich geht. Der „Jungen Freiheit“ sagte er nach seinem Zurückrudern: „Die Mehrheit wünscht ganz eindeutig ein weiteres Arbeiten als eine einheitliche Partei.“ Das werde man nun gemeinsam tun. Und er fügte hinzu: „Damit ist die Diskussion beendet.“ Dass das womöglich für seine Spaltungsideen gilt, mit Sicherheit aber nicht für seine Position an der Spitze der AfD, könnte ihm bewusst sein.

Kategorien
Tags