AfD-Landeschefin im „Warnstreik“

Die Landesvorsitzende fühlt sich durch ihre Fraktion gemobbt. Der Fraktionschef wirft ihr „partielle Arbeitsverweigerung“ vor. Zweieinhalb Wochen vor der Kommunalwahl präsentiert sich Schleswig-Holsteins AfD als Chaostruppe.

Mittwoch, 18. April 2018
Rainer Roeser

Wer durch die Pressemitteilungen der schleswig-holsteinischen AfD-Fraktion blättert, könnte denken, dass die Partei im Mai 2017 gar nicht mit fünf, sondern nur mit vier Abgeordneten ins Kieler Landeshaus eingezogen ist. Fraktionschef Jörg Nobis wird dort zitiert, sein Vize Claus Schaffer, der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Schnurrbusch und schließlich – ganz ohne Fraktionsfunktion – der Nur-Abgeordnete Frank Brodehl. Die Nummer fünf fehlt hingegen seit vier Monaten.

Man muss im Archiv der Pressemeldungen weit in die Vergangenheit gehen, um ihren letzten Beitrag zu finden. „Wirksame Maßnahmen gegen die Afrikanische Schweinepest“, forderte die Landtagsabgeordnete Doris von Sayn-Wittgenstein am 20. Dezember vorigen Jahres. Seither ist von ihr im Pressedienst der Fraktion nichts mehr zu finden. Ihren Sitz im Umwelt- und Agrarausschuss hat sie abgegeben. Die Teilnahme an Fraktionssitzungen setzte sie „bis auf weiteres“ aus. Nobis sprach schon Anfang Februar von einem „Warnstreik ihrerseits“ und einer „partiellen Arbeitsverweigerung“. Mittlerweile währt der „Warnstreik“ bereits vier Monate.

Kandidatin des völkisch-nationalistischen „Flügels“

Dass Sayn-Wittgenstein die Fraktion meidet, ist schon deswegen bemerkenswert, weil sie als Landeschefin der AfD zwischen Nord- und Ostsee amtiert. Ausgerechnet gegen Nobis hatte sie beim Parteitag im Juli 2017 die Wahl gewonnen – gegen den also, der ihr in der Fraktion vorsitzt. Von deren Mitgliedern sieht sie sich mittlerweile schlecht behandelt. „Ich fühle mich als Abgeordnete gegängelt“, verriet sie „dpa“. Über Konflikte mit Mitarbeitern, „die meinten, sie müssten sich in der Fraktion parteipolitisch betätigen“, berichtete sie – und man darf vermuten, dass es sich um Betätigungen handelte, die sie als Angriff auf ihre Person verstand. Die Fraktionsführung halte das Verhalten dieser Mitarbeiter für hinnehmbar.

Kein Wunder ist es, dass der Konflikt zum Jahreswechsel eskalierte. Anfang Dezember hatte die 63-Jährige einen Auftritt, der sie schlagartig bekannt machte. Beim Bundesparteitag präsentierte der völkisch-nationalistische „Flügel“ die sogar manchen Delegierten zuvor völlig unbekannte Sayn-Wittgenstein als Kandidatin für den AfD-Vorsitz. (bnr.de berichtete)

Radikale Rede auf dem Parteitag

Chancen hatte ihr kaum jemand eingeräumt. Den Strategen des „Flügels“ ging es darum, Georg Pazderski, der in der Partei als eine Art „Oberrealo“ agiert, mit einem schwachen Abstimmungsergebnis zumindest zu beschädigen, im optimalen Fall gar ganz als AfD-Chef zu verhindern. Das Manöver gelang – auch dank der radikalen Rede, die Sayn-Wittgenstein an diesem Tage hielt. „Ich möchte nicht, dass wir in dieser so genannten Gesellschaft ankommen. Das ist nicht unsere Gesellschaft“, rief sie von der Bühne herab. Zur Frage künftiger Koalitionen sagte sie: „Ich wünsche nicht, dass ich Koalitionsgespräche anbieten muss, sondern dass die anderen um Koalitionsgespräche betteln.“ Zur „Identitären Bewegung“ fiel ihr ein, es könne doch nicht angehen, dass „Gruppierungen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie vielleicht den Volkstanz üben, eine besondere Heimatliebe an den Tag legen“. Am Ende fehlte Sayn-Wittgenstein nur eine einzige Stimme. Ihre Wahl hätte die AfD vor eine neuerliche Zerreißprobe gestellt.

„Eine Art polizeiliches Verhör“

Zwei Welten prallen in Kiel aufeinander. Hier die Landesvorsitzende mit radikalen Tönen, dort eine Fraktion, über deren Vorsitzenden es im „Hamburger Abendblatt heißt“, er sei zwar radikal in der Sache, aber „leise im Ton“. Drei der vier anderen Abgeordneten agieren im Landtag ähnlich zurückhaltend. Allerdings, wenn man der Landeschefin glauben darf, nur solange die Scheinwerfer eingeschaltet sind. Hinter verschlossenen Türen geht es ruppiger zu. In einem Rundschreiben hielt sie fest: „Als ich am 5. Dezember 2017 zur Fraktionssitzung im Kieler Landtag erschien, sollte ich mich für meine auf dem Bundesparteitag gehaltene Rede vor den Kollegen rechtfertigen. In einer Art polizeilichem Verhör wurde mir u.a. vorgehalten, der ,Identitären Bewegung' das Wort geredet zu haben.“

Ihre Gegner beherrschen die Fraktion, sie – zumindest bisher – den Landesvorstand. Auf dessen Homepage wird derzeit die Werbetrommel für die Kommunalwahl am 6. Mai gerührt. Die AfD kandidiert für alle elf Kreistage, außerdem in den Großstädten Kiel und Lübeck. Abgesehen von Norderstedt und Kaltenkirchen wird die Partei in den vielen kreisangehörigen Kommunen nicht auf den Stimmzetteln stehen. Besonders schmerzhaft aber für die AfD: Auch in den kreisfreien Städten Flensburg und Neumünster hat es nicht gereicht. Sayn-Wittgenstein erklärt das in einem recht amateurhaften Video, das Anfang der Woche online gestellt wurde, so: Man habe „als verantwortungsvolle Partei“ dort davon abgesehen, Kandidaten aufzustellen, „um sie nicht einer Gefahr für Leib und Leben auszusetzen“. Die AfD als Opfer darzustellen: Bislang hat es häufig funktioniert.

„Mutbürger“ für die Kandidatenliste gesucht

Tatsächlich spricht aber viel dafür, dass die Personaldecke der Partei, die zwischen Lauenburg im Süden und Westerland im Norden nach eigenen Angaben rund 1000 Mitglieder zählt, zu dünn für mehr und erst recht für wirklich flächendeckende Kandidaturen ist. „Wir hatten in Neumünster nicht genügend Kandidaten, um das hinzubekommen“, verriet der örtliche AfD-Vorsitzende Kay Albrecht den „Kieler Nachrichten“. Die AfD hätte demnach nur neun der 22 Wahlkreise in der Stadt besetzen können. Zudem hätten sich nicht genügend Bewerber gefunden, die im Rat dann auch tatsächlich fünf Jahre durchgehalten hätten. Albrecht: „Das wäre eine Super-Blamage geworden.“ Sogar per Facebook suchte die AfD „Mutbürger aus Neumünster“, um die Kandidatenliste zu füllen. Ergebnis: 18 Likes, aber nicht genug Kandidaten.

Angesichts des Streits an der Spitze, der noch angereichert wird durch Spekulationen, woher genau die Landesvorsitzende ihren adligen Namen hat, wirkt der Kommunalwahlkampf der AfD wenig dynamisch. Eine eigentlich für den 24. Februar geplante Auftaktveranstaltung sagte die Partei wieder ab. Im Terminkalender des Landesverbandes steht bis zum Wahltag in gut zwei Wochen nur eine größere Aktion. Bundessprecher Jörg Meuthen soll am 28. April in Henstedt-Ulzburg auftreten. Der rüffelte unlängst die Parteifreunde in Niedersachsen wegen des chaotischen Bildes, das sie im letzten Jahr abgaben. In Schleswig-Holstein, dem Land der „warnstreikenden“ Vorsitzenden und ihrer Gegner, die polizeiähnliche „Verhöre“ führen, könnte er seine Rede mit minimalen Änderungen noch einmal halten.

Kategorien
Tags