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AfD & JA-Strategietreffen: Ethnisches Volksverständnis und wie man Staatsbürger wieder los wird
Im Mittelpunkt des Strategietreffen der Jungen Alternative Bayern mit AfD-Landtagsabgeordneten und Aktivisten aus dem extrem rechten Vorfeld stand die Frage der „Remigration“ unerwünschter Personen aus Deutschland im Vordergrund. Mittlerweile sind die Inhalte der Vorträge öffentlich – es sind einige bemerkenswerte Aussagen gefallen.
Die Junge Alternative Bayern hat sukzessive die Vorträge veröffentlicht, die bei ihrem „Strategietreffen“ im Büro der Nürnberger AfD gehalten wurden. Der Ort sollte ursprünglich geheim gehalten werden. Die Verbreitung dürfte jedoch von Beginn an das Ziel gewesen sein. Es handelt sich also um Inhalte, von denen die Referierenden und die bayerische AfD-Jugend der Meinung sind, es öffentlich so verbreiten zu können. Das unterscheidet das Treffen etwa von anderen Zusammenkünften wie in Potsdam oder den Schwabenkongress in Dasing.
Die Videos sind an manchen Stellen erkennbar geschnitten und bearbeitet. So wird der extrem rechte Youtuber „Der Schattenmacher“ nur verpixelt gezeigt. Bei Daniel Halemba, gegen den die Staatsanwaltschaft Würzburg unlängst Anklage erhoben hat, wird eine Äußerung über die Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, mit einem Tierlaut überblendet. Der Landtagsabgeordnete ging selbst davon aus, dass der Wortlaut strafrechtlichen Ärger verursachen könnte. Gefilmt hat der Schwandorfer Stadtrat Thomas Deutscher.
„Schicksalsfrage Remigration“
Es gehört zur Strategie der Identitären Bewegung und nahestehender Kreise, bevorzugt solche Begriffe zu wählen, die für die Mehrheit der Gesellschaft noch irgendwie akzeptabel klingen und perfekt geeignet sein, sie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und dort populär zu machen. Ein weiteres Beispiel neben „Remigration“ wäre etwa „Ethnopluralismus“.
Ebner hatte sich für ihr Buch undercover bei den Identitären eingeschleust und Sellner bei einem anderen „Potsdam“-Moment erwischt, als er im Kreise weiterer Kader davon sprach, Verständnis für die Judenfrage der 1920er Jahre zu haben, die bekanntlich in der Shoah endete.
Ganz in diesem Sinne beginnt der oberbayerische AfD-Landtagsabgeordnete Benjamin Nolte mit der Begriffsgeschichte von „Remigration“, die laut Untertitel „die Schicksalsfrage“ sein solle. Während seine Folie beim Thema „Entzug der Staatsbürgerschaft“ noch von „grundsätzlich etwas komplizierter“ spricht, was ja reale Möglichkeiten andeutet, ist sein mündlicher Vortrag hier eindeutiger. Es sei „schwierig bis unmöglich“, egal wie laut eine solche Maßnahme etwa gegenüber Teilnehmern an Demos zum Nahost-Konflikt geäußert werde. Auch an einer anderen Stelle muss Nolte mündlich seine Folien korrigieren. Remigration brauche keine Rechtsgrundlage. Gemeint sei eigentlich keine neue, so der Burschenschafter.
Fanatiker auf Richterposten setzen
Mit dem angeblichen Versehen wäre Nolte allerdings auf Linie des extrem rechten Youtubers „Schattenmacher“ gewesen. Wenn die AfD 60 Prozent Zustimmung im Land hätte, das Militär auf ihrer Seite und eine hörige Polizei, könnte sie nicht integriert angesehene Staatsbürger mit Migrationshintergrund einfach zur Ausreise zwingen. Wortlaut: "Dann ist die Ansage klar: Ihr geht jetzt oder sonst!" Das noch in ein Gesetz zu gießen, hielt er für nachträgliche Kosmetik. Entscheidend sei die Macht.
Für den Youtuber waren auch die unterschiedlichen Chancen asiatischer oder afroamerikanischer Menschen zum Besuch einer höheren Bildungseinrichtung angeblich „teils genetisch, teils kulturell“ bedingt. Andererseits empfahl er, wenn die AfD mal Zugriff auf Richterposten hätte, dort nicht die besten Juristen hinzuschicken, sondern die „größten Fanatiker, die zu 100 Prozent auf Parteilinie“ sein sollten. Ähnliches gelte auch für die Auswahl von Kandidaten für die Parlamente, die sich der Parteilinie stets unterzuordnen hätten.
Nolte verwies dann auch die besseren Chancen bei Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft, auf die auch schon die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy in Potsdam hingewiesen haben soll. Sie habe aufgrund dieser taktischen Überlegung ihren Widerstand gegen Mehrfach-Staatsangehörigkeiten aufgegeben, wird sie von Correctiv zitiert. Huy und Nolte teilen sich im oberbayerischen Weilheim ein AfD-Büro. Nolte bot die Räumlichkeit, die mutmaßlich aus den den beiden Abgeordneten überlassenen öffentlichen Mitteln betrieben wird, auch gleich als Ort für Folgetreffen an.
Wie man auch Staatsbürger los wird – angeblich
Ein laut Nolte historisches, aber „interessantes Beispiel“, wie auch ohne Ausbürgerungen unerwünschte Staatsbürger das Land wieder verlassen würden, nannte er als erstes Beispiel der Kategorie „Lösungen und aktuelle Modelle“ die Fidschi-Inseln. Die Kategorie war mit dem Bild eines Aktivisten mit der inzwischen als White Power bekannten Geste unterlegt. Nolte erzählte die wechselhafte Geschichte des Inselstaats wie folgt:
Die Briten hätten nach ihrer Übernahme als Kolonie im großen Stile Arbeitskräfte aus Indien auf die Insel geholt, um Zockerrohr abzubauen. Auf den ersten Wahlsieg von einer indischen Partei 1987 habe das von indigenen Melanesiern dominierte Militär die Macht an sich gerissen und eine Verfassung mit Vorrechten für diese Bevölkerungsgruppe verabschiedet, etwa Monopol auf Landerwerb. Nach weiteren diskriminierenden Gesetzen „wanderten fast alle Inder wieder ab“, so Nolte, die Geschichte des Landes stark verkürzend und teilweise falsch darstellend. Die nach weiteren Militärputschen und internationalen Sanktionen erlassene Verfassung betont die Gleichberechtigung unabhängig der Herkunft. 1997 wurde der erste indischstämmige Premierminister aus den Reihen der multiethnischen Labour-Party ins Amt gewählt.
Die Nolte-Erzählung hierzu klingt halbwegs kompatibel mit den Sellner in Potsdam zugeschriebenen Aussagen, wonach es „einen hohen Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderten Gesetzen“ bedürfe. Nicht erwähnt hat der AfD-Politiker, dass die Vorrechte mit der Garantie der Menschenwürde und dem Gleichheitsgrundsatz, die es verbieten, Staatsbürger aufgrund der Herkunft zu diskriminieren, kaum vereinbar sind. Die NPD hatte bereits Ähnliches gefordert. Eigentum an Grund und Boden solle nur von (ethnisch verstandenen) Deutschen erworben werden können, während Ausländer aus dem Sozialversicherungswesen in eine eigene Kasse auszugliedern seien.
Weitere Ausführungen Noltes widmeten sich Teilaspekten der Migration, etwa dem menschenrechtlich höchst umstrittenen britischen Ruanda-Plan. Während diese Regelung auf Asylsuchende und sich ohne Papiere nach Großbritannien begebende Personen abzielt, machte Nolte daraus kurzerhand einen Plan für „alle Migranten“. Einwände des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte seien für die britische Regierung nur optional.
Ethnisches Volksverständnis kommt immer wieder deutlich heraus
Am Ende rechnete er vor, wie etwa der in der AfD-Spitzen in Ungnade gefallene Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich auf seine „millionenfache Remigration“ als Forderung käme. Der größte Block an Menschen, die unbedingt Deutschland verlassen sollen, sind die ukrainischen Geflüchteten. Und beim Rest der Ausländer, Nolte sprach hier von sechs bis acht Millionen Menschen, könne man ja differenzieren und sich genau anschauen, wen man davon noch loswerden wolle.
Nolte störte sich auch an defensiven Reflexen, in die Parteikollegen am Infostand gerne verfallen würden. Arbeiten, Steuern zahlen und sich an Gesetze halten, reiche ihm nicht aus, damit jemand willkommen sei, so der 35-Jährige mit Blick auf einen in England in eine Gemeindevertretung gewählten mutmaßlichen Islamisten. Beim Blick auf die Kriminalstatistik wollte Nolte Staatsbürger mit Migrationshintergrund noch bei den nichtdeutschen Tatverdächtigen obendrauf zählen.
Alle geforderten Anstrengungen beim Grenzschutz und der Remigration seien aber vergebens, wenn sich „die Geburtenrate der autochthonen Deutschen nicht drastisch ändere“. Sie stellen für Nolte eine Gruppe höherer Wertigkeit innerhalb der Staatsbürgerschaft dar. Der stellvertretende Landesvorsitzende der JA Bayern, Philipp Compte, ebenfalls Burschenschafter, hatte die Forderung nach Remigration mit den rein optischen Eindrücken begründet, die er auf dem Weg vom Bahnhof zum Tagungsort gewonnen hätte.
Ausländerfeindliche Parolen dem Vorfeld überlassen
Ein weiterer Vortrag kam vom schlagzeilenträchtigen Landtagsabgeordneten Daniel Halemba, gegen den wegen diverser Vorwürfe Ende Mai Anklage erhoben worden war. Sein Vortrag über „Repression“ war durchgängig von einer Opferrolle geprägt. Die Vorwürfe gegen das Europa-Spitzenduo Maximilian Krah und Petr Bystron seien alle konstruiert und von Geheimdiensten entworfen. Der Parteikollege Frank Magnitz sei mit einem Kantholz oder einem anderen Gegenstand niedergeschlagen und Parteichef Tino Chrupalla von Linksextremisten mit einer Nadel gestochen worden. Eingeständnisse gab es nur, dass die Kommunikation beim angeblichen Vorfall mit Alice Weidel nicht gut war, die sich statt in einem Safe House im Urlaub auf Mallorca befand.
Angehörige der Jungen Alternative sollte sich in der Öffentlichkeit mit Bedacht verhalten. Er spielte hier vor allem Vorfälle um „Ausländer raus“-Rufe in Verbindung mit dem Lied des italienischen DJs Gigi D'Agostino an, wie sie etwa in einer Diskothek in Greding am Rande eines Parteitags der AfD aufkamen. Halemba spielte solche Vorfälle nicht nur herunter, er meinte, die JA könne solche Aktionen „ruhig dem Vorfeld“ überlassen, was nach einer arbeitsteiligen Strategie klingt. Ansonsten freute sich der Würzburger Burschenschafter über den „metapolitischen Erfolg“ durch die Diskussion um das Sylter Video. Sein Landtagskollege Rene Dierkes aus dem AfD-Landesvorstand hatte die Beteiligten gar zur Bewerbung für sein Landtagsbüro aufgefordert.
Der bayerische AfD-Landesvorsitzende Stephan Protschka hatte im Januar unter dem Druck des Skandals die Parolen noch gegenüber Medien als unsäglich und unmöglich bezeichnet und für den Fall, dass AfD-Mitgliedern eine Beteiligung nachgewiesen werde, harte Konsequenzen angedroht. Halemba selbst genießt im Landesverband und der Fraktion trotz der Schlagzeilen weiter die Rückendeckung der Spitze, auch gegen weitergehende Sanktionswünsche aus dem Bundesvorstand.
Kein Potsdam, aber verbotsrelevant
Das Strategietreffen in Nürnberg lieferte zwar anders als Potsdam weniger plakative Aussagen über die Vertreibung von Staatsbürgern mit Migrationshintergrund, zeigte aber dennoch, wie weit sich Personen aus den oberen Rängen der AfD in Bayern trauen, Gedankenspiele öffentlich zu machen. Die Inhalte des Treffen dürften auch wesentlich mehr dem Kern der Parteivorstellungen zu dem Thema entsprechen, als etwa Erklärungen des Bundesvorstandes zu Staatsvolk und Identität, denen bereits auch in dem Prozessen zur Einstufung der AfD durch Verfassungsschutzbehörden eine hohe prozesstaktische Motivation nachgesagt wurde. Staatsbürger mit Migrationshintergrund wurden auch in Nürnberg nicht als gleichberechtigt angesehen und die Einteilung in Bürger erster und zweiter Klasse kam deutlich heraus. Verbotsrelevant sind aber bereits schon diese gegen die Menschenwürde und Demokratieprinzip verstoßenden Einteilungen und nicht erst die explizite Formulierung von Vertreibungsplänen. Zudem zweigte sich rudimentär in einzelnen Aussagen Halembas das arbeitsteilige Vorgehen von AfD und Vorfeld.